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Saturday, December 11, 2021

Tee als Heilmittel – eine erste Annäherung

 



Auf Twitter fand ich einen Hinweis für Impfgegner, auf den Ralf Reski im Scherz hingewiesen hatte [1]. Wenn man sich gegen COVID-19 mit einem mRNA-Impfstoff impfen ließe, könne man den Impfstoff mit 2-3 l grünem Tee wg. des Gehalts an „Catechinen und Saponinen“ ausschwemmen. Das hätte Dr. Alexey Agranovsky von der Lomonosov Moscow State University herausgefunden; Alexey Agranovsky (Алексе́й Анато́льевич Аграно́вский) existiert wirklich [2] und 56 wissenschaftliche Artikel sowie drei CDs (Musik) listet der russische Wikipedia-Artikel auf. Das brachte mich dazu, einige Aufzeichnungen zu Tee und Medizin bzw. Tee als Heilmittel wieder hervor zu holen,, erneut zu recherchieren, um noch mehr darüber zu erfahren. Da werden historische Befunde angeschnitten werden und dann auch neue Studien herangezogen werden.


Ich hatte hier schon einmal auf den Gehalt von Antioxidantien im Tee hingewiesen [3]. Dummerweise existieren aber keine Studien, die Wirkungen in-vivo am Menschen, wie sie so besungen oder beschworen werden, belegen könnten. Das hieße allerdings auch nicht, daß keine dieser Wirkungen möglich wäre. Schauen wir nach!


Edith Heischkel-Artelt berichtet u.a. über Tee im Spiegel der medizinischen Literatur des 17. Jahrhunderts [4]. Sie berichtet über Cornelis Dekker, genannt Bontekoe, einen Arzt, der z.B. schrieb: „So muss man den Leib tapffer und beständig befeuchten, oder es ist mit dem Leben und der Gesundheit aus“. Gegen den Durst empfahl er 18-20, bei Fieber 40 Täßchen Tee täglich. E.  Heischkel-Artelt zitiert nach einem Werk, das posthum 1701 in Bautzen erschienen ist. Bontekoe weiter: „Er [der Tee] stärkt das Gedächtnis, schärft den Verstand und alle Sinne und ist auch denen besonders nützlich, die Schwierigkeiten beim Lernen und Studieren haben.“



Karl Wassenberg erörtert in seiner Dissertation [5] u.a. die Bedeutung des Tees in Ostfriesland des 17. und 18. Jahrhunderts bei der Bekämpfung der Alkoholprobleme. Und in diesem Zusammenhang erscheint erneut Bontekoe, der in calvinistischer-puritanischer Tradition gegen die „Trunckenheit“ gewettert hatte.


Jonas Hanway schrieb „An Essay on Tea, Considered As Pernicious to Health ...“ [6], einen Anhang zu seinem Werk …, das sich kurzweilig lesen läßt. Es handelt sich um Briefe, die gedruckt wurden. Das Original ist als abfotografiert einsehbar. In seiner Suche nach Argumenten gegen Tee überlegt er z.B., daß Tee für Skrobut verantwortlich wäre. Über Vitamin C in Tee hatte ich schon einmal berichtet [7]. Er enthält zu wenig Tee, um eine gute Quelle für Vitamin C zu sein. Wenn ich mir jedoch vorstelle, ich würde an Skorbut auf einem Segelschiff im 18. Jahrhundert leiden, dann wäre ich über Tee in Ermangelung einer besseren Quelle schon dankbar.


F. Marquis lobt die Eigenschaften des Tees [8], aber er weist auch auf die Kontroversen zwischen den Ärzten hin. Er umreißt das naturwissenschaftliche Wissen der damaligen Zeit über den Tee. „Lemery sagt in seiner Abhandlung über Nahrungsmittel: den Genuß des Thees sieht man mit Recht als heilsam an, weil seine Wirkung gut und nur selten nachtheilig ist.“


Wenn ich noch kurz in meine chinesische Lieblingsepoche abschweifen darf. Lu Yu (陸羽) beschäftigt sich im Chajing (茶經) nicht mit medizinischen Fragen zum Tee. Und in den 300 Gedichten der Tang-Zeit (唐詩三百首) kommt das Zeichen für Tee () auch nur in einem Gedicht vor [9]. Damals trank man Wein.


Kommen wir nach diesen historischen Exkursen näher zu heutigen Auffassungen. In dem Artikel „Health Benefits of Chinese Tea“ [10] werden folgende Vorteile benannt:
    * verbessertes Gedächtnis, kognitive Funktion und Stimmung
    * verringert das Herzinfarktrisiko um 30%
    * fördert ein gesundes Gleichgewicht von Körpergewicht und Stimmung
    * senkt das Schlaganfallrisiko um 10 % (N= 65.917 Erwachsenen in China)


Für verbessertes Gedächtnis, kognitive Funktion und Stimmung gibt es auch entsprechende Studien und Meta-Analysen, die aber selbst sehr vorsichtig formulieren („might improve“, „further results from well-designed and well-conducted cohort studies are required“) [11].


Auch für das reduzierte Risiko an Herzinfarkten kann man Studien anführen, obwohl hier noch weniger greifbare, sichere Ergebnisse vorliegen [12].

Tee und Abnehmen ist ein interessantes Thema, aber es ist schließlich nicht der Tee, der ausschlaggebend ist. Pu Er Tee (普洱茶), ein fermentierter Tee, wird dabei gerne angeführt. Aber das ist insgesamt ein gesondertes Thema, insbesondere Pu Er Tee [13].


Die Studie zur Reduktion des Schlaganfallrisikos, deren Ergebnisse vorgestellt wurden, aber die nicht zitiert wurde, konnte ich nicht finden. Aber ich habe eine Studie mit der doppelten Anzahl von Probanden gefunden [14], deren Autoren schlussfolgern: „Bei chinesischen Erwachsenen war ein höherer Konsum von Tee, insbesondere von grünem Tee, mit einem geringeren Risiko für ischämische und hämorrhagische Schlaganfälle verbunden.“


Man kann Tee, besonders grünen Tee, als gesundes Getränk zur Vorbeugung verschiedener Erkrankungen empfehlen. Ein Heilmittel aber sehe ich nicht im Tee.


Links, Anmerkungen usw.:
[1] https://twitter.com/ReskiLab/status/1469047695272730629
[2] https://ru.wikipedia.org/wiki/%D0%90%D0%B3%D1%80%D0%B0%D0%BD%D0%BE%D0%B2%D1%81%D0%BA%D0%B8%D0%B9,_%D0%90%D0%BB%D0%B5%D0%BA%D1%81%D0%B5%D0%B9_%D0%90%D0%BD%D0%B0%D1%82%D0%BE%D0%BB%D1%8C%D0%B5%D0%B2%D0%B8%D1%87 [muss so, weil Kyrillisch]
[3] https://rheumatologe.blogspot.com/2021/11/tee-und-antioxidantien.html
[4] Heischkel-Artelt, Edith. “Kaffee Und Tee Im Spiegel Der Medizinischen Literatur Des 17. Bis 19. Jahrhunderts.” Medizinhistorisches Journal 4, no. 3/4 (1969): 250–60. http://www.jstor.org/stable/25803263.
[5] Karl Wassenberg: Tee in Ostfriesland. Vom religiösen Zaubertrank zum profanen Volksgetränk.
Verlag Schuster, Leer 1991. ISBN: 3796302947
[6] Jonas Hanway: A journal of eight days journey from Portsmouth to Kingston upon Thames; through Southampton, Wiltshire, &c. with miscellaneous thoughts, Moral and Religious; In A Series Of Sixty-Four Letters: Addressed to two Ladies of the Partie. To which is added, AN Essay ON Tea, Considered as pernicious to Health, obstructing Industry, and impoverishing the Nation: With an Account of its Growth, and great Consumption in these Kingdoms. With Several Political Reflections; And Thoughts ON Public Love. In Twenty-Five Letters to the same Ladies. By a gentleman of the partie. London, printed by H. Woodfall, M.DCC.LVI. [1756])  https://babel.hathitrust.org/cgi/pt?id=njp.32101073815241&view=1up&seq=1
[7] https://rheumatologe.blogspot.com/2021/09/gruner-tee-und-vitamin-c.html
[8] F. Marquis: Taschenbuch für Theetrinker, oder der Thee in naturhistorischer, culturlicher, merkantilischer, medicinisch-diätetischer und luxuriöser Hinsicht. Nach Berard, vormaligem Director der französischen Handelscompagnie in China. Herausgegebn von F. Marquis und für den deutschen Geschmack zugerichtet und mit einer Abh. über den Paraguay- oder Yerba-Thee, ingleichen einem Auszuge von Siebolds Beschreibung des Thees in Japan vermehrt und durch Abbildugen erläutert von Fr. W. Westphal. Druck, Lithographie udn Verlag von Berh. Fr. Voigt, Weimar 1836. Nachdruck: VMA-Vertriebsges. Modernes Antiquariat, Leipzig 1985.
[9] In dem (langen) Gedicht (琵琶行並序) von Bo Juyi (白居易) ist ein Händler unterwegs nach Fuliang, um Tee zu kaufen (商人重利輕別離,前月浮梁買茶去).
[10] https://teachapter.com/2021/07/12/health-benefits-of-chinese-tea/ Die Quelle ist natürlich etwas industrielastig.
[11] Hier sind die entsprechenden Studien für erbessertes Gedächtnis, kognitive Funktion und Stimmung:
[11a] Baba Y, Kaneko T, Takihara T. Matcha consumption maintains attentional function following a mild acute psychological stress without affecting a feeling of fatigue: A randomized placebo-controlled study in young adults. Nutr Res. 2021 Apr;88:44-52. doi: 10.1016/j.nutres.2020.12.024. Epub 2021 Jan 2. PMID: 33744591. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33744591/
[11b] Kakutani S, Watanabe H, Murayama N. Green Tea Intake and Risks for Dementia, Alzheimer's Disease, Mild Cognitive Impairment, and Cognitive Impairment: A Systematic Review. Nutrients. 2019 May 24;11(5):1165. doi: 10.3390/nu11051165. PMID: 31137655; PMCID: PMC6567241. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31137655/
[11c] Mancini E, Beglinger C, Drewe J, Zanchi D, Lang UE, Borgwardt S. Green tea effects on cognition, mood and human brain function: A systematic review. Phytomedicine. 2017 Oct 15;34:26-37. doi: 10.1016/j.phymed.2017.07.008. Epub 2017 Jul 27. PMID: 28899506. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/28899506/
[12] Hier sind zwei Studien zu vermindertem Herzinfarktrisiko:
[12a] Dower JI, Geleijnse JM, Hollman PCh, Soedamah-Muthu SS, Kromhout D. Dietary epicatechin intake and 25-y risk of cardiovascular mortality: the Zutphen Elderly Study. Am J Clin Nutr. 2016 Jul;104(1):58-64. doi: 10.3945/ajcn.115.128819. Epub 2016 May 25. PMID: 27225434.
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/27225434/
[12b] Wang QM, Gong QY, Yan JJ, Zhu J, Tang JJ, Wang MW, Yang ZJ, Wang LS. Association between green tea intake and coronary artery disease in a Chinese population. Circ J. 2010 Feb;74(2):294-300. doi: 10.1253/circj.cj-09-0543. Epub 2009 Dec 17. PMID: 20019411.
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/20019411/
[13] Hier kann man sich schon einmal informieren: https://de.wikipedia.org/wiki/Pu-Erh Pu Er Tee ist fermentiert, während bei Oolong Tee und schwarzem Tee die Oxidation eine Rolle spielt.
[14] Tian T, Lv J, Jin G, Yu C, Guo Y, Bian Z, Yang L, Chen Y, Shen H, Chen Z, Hu Z, Li L; China Kadoorie Biobank Collaborative Group. Tea consumption and risk of stroke in Chinese adults: a prospective cohort study of 0.5 million men and women. Am J Clin Nutr. 2020 Jan 1;111(1):197-206. doi: 10.1093/ajcn/nqz274. PMID: 31711152; PMCID: PMC7223259. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31711152/


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