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Friday, July 8, 2022

Pu'er Tee und das Buch zum Tee von Martina Seifen

 



Pu'er Tee (普洱茶) oder meinetwegen auch Pu Erh Tee (veraltete Schreibweise) wird gerne als Schlankheitstee angesehen, so auch in dem Buch von Martina Seifen [1]. Wie man auf dem Foto erkennen kann, hat es verramscht nur 0,99 € gekostet, aber auch das ist maßlos. Gut, ich wollte mich wieder einmal über ein Teebuch ärgern. Aber andererseits interessierese ich mich schon seit längerer Zeit für diesen Tee und sein Marketing-Phänomen des Gewichtsverlustes.

Das Buch umfaßt 128 Seiten im Großdruck. 40 Seiten behandeln TCM (Traditionelle Chinesische Medizin), 20 Seiten ein Diät-Programm, auf neun Seiten kann man Schauerlichkeiten wie Eistee aus Pu'er Tee überblättern, eine „kleine chinesische Küchenkunde“, Inhalt, Vorwort und mehr füllen weitere Seiten. Weniger als ein Drittel des Buches behandelt das eigentliche Thema.

Im Vorwort steht „In China gilt er seit 1700 Jahren als der Geheimtip […].“ Tipp oder Tip? Vielleicht war das 1999 sogar noch richtig. Die Zahl 1700 ist gar nicht so falsch, denn die Geschichte reicht wirklich bis in die Zeit der Drei Reiche zurück [2]. Dieser chinesische Artikel zur Geschichte des Pu'er Tees berichtet über die große Entfernung vom (Han-)chinesischen Kulturland und die Schwierigkeiten nach Yunnan zu gelangen, so daß die Bedeutung des Pu'er Tees erst in der Ming- und Qing-Zeit erkannt wurde. „Seit kurzem ist er auch bei uns in aller Munde: Pu-Erh-Tee, der rote Tee aus Yunnan [...]“. Ich wage zu bezweifeln, daß er in aller Munde ist oder war. Der rote Tee – der Aufguss von Pu'er Tee ist rotbraun – , aber das gilt auch für unseren Schwarztee, weshalb Schwarztee in China und anderen ostasiatischen Ländern roter Tee (红茶) genannt wird. Pu'er Tee gehört in China zur Kategorie schwarzer Tee (黑茶) [3]. „Er soll den Cholesterinspiegel senken [...]“. [4] Was etwas soll und was es dann macht sind verschiedene Dinge. Mittlerweile gibt es  Studien an Ratten und auch Hypothesen, aber nicht eine Studie an Menschen ist in Sicht.

„Seit es Tee in China gibt – seit rund 5000 Jahren - [...]“. Da sind sie wieder einmal, die berüchtigten 5000 Jahre. Gerne (allerdings nicht hier) wird eine Legende zu Shen Nong (神農) angeführt, der im Jahr 2737 v. Chr. den Tee entdeckt haben soll, als zufällig Teeblätter in den Wasserkessel gefallen waren und das Getränk den Durst löschte [5]. Es geht aber immer um die Durchdringung einer Idee und die kann nicht hoch gewesen sein. „Der Chinese trinkt Tee nicht nur, [...]“ - das ist so eine bescheuerte Verallgemeinerung, daß ich verzichte, weiter darauf einzugehen. Dann kommt plötzlich ein Hinweis, daß Pu'er Tee dem chinesischen Volk erst seit 50 Jahren bekannt ist, denn da war das magische Jahr 1949, „als Mao Tse Dong den Kaiser entmachtete […].“ Hechel! Hechel! Ich bin kurz vor der Schnappatmung. Auch 1999 schrieb man den Vorsitzenden Mao: Mao Zedong oder früher Mao Tse-tung (毛泽东). Die Qing-Dynastie und damit das chinesische Kaiserreich endete 1912. Es gab Restaurationsversuche, aber die Republik und später Volksrepublik bzw. auch weiter die Republik hatten seit 1912 Bestand.

„Bei alldem hat die TCM nichts mit esoterischem Hokuspukus zu tun, [...].“ Was denn sonst? Ein netter Artikel in Englisch dazu ist von Stephen Barrett auf Quackwatch [6].

„Die alten Chinesen tranken Tee immer und überall […].“ Und die jungen Chinesen? Scherz beiseite, gerade wurde doch noch behauptet, daß die unterprivilegierte Bevölkerung gar keinen Zugang zu Tee hatte, und nun doch? Immer und überall? Ich kann mich noch erinnern, wie zur Zeit der Großen Proletarischen Kulturrevolution (无产阶级文化大革命) die Werktätigen mit heißem Wasser in Thermoskannen zur Feldarbeit gingen  - und nicht mit Tee.

Dann erfahren wir von der Erkenntnis westlicher Wissenschaftler, daß Pu'er Tee Cholesterin senken kann – was allerdings noch längst nicht nachgewiesen ist. Aber: „Die Chinesen wissen das schon lange […].“ Nein, man hatte keine Vorstellung von Blutfetten, Cholesterin und konnte deshalb auch so etwas nicht wissen.

In dem Kapitel „Grüner, schwarzer, roter Tee – Unterschiede in der Herstellung“ steht so viel Ungereimtes, daß ich es nicht auseinander nehmen möchte. Besser nicht lesen. Wir sind bei chinesischem Tee und beim Schwarztee ist von Dhools die Rede, die Terminologie wird also indisch. Der umfangreiche Wikipedia-Artikel zu Pu'er Tee ist viel besser als das Buch geeignet, über Pu'er zu informieren [7]. Frau Seifen führt den Begriff „postfermentierter Tee“ ein, den ich so noch nicht gelesen habe. Pu'er Tee wurde in Ziegel oder andere Formen gepresst, um ihn u.U. über Jahre transportieren und lagern zu können. Dabei konnten Mikroorganismen langsam den Tee weiter fermentieren. Heute versucht man, durch mehr Feuchtigkeit den Prozess zu beschleunigen. Das wiederum führt zu Problemen.

Bei den Inhaltsstoffen geht Frau Seifen auf den Nutzen ein. Es ist fraglich, daß nennenswerte Mengen an Riboflavin oder Pantothensäure über den Tee aufgenommen werden. Fluor soll zur Vorbeugung von Karies dienen. Zu möglichem Schaden steht da nichts. Paßt nicht ins Weltbild. Man hat in Tibet und der Mongolei Menschen mit Fluorose gefunden, denn dort wird (?) bzw. wurde viel Ziegeltee konsumiert [8], der bisweilen zu viel Fluor enthält. Außerdem kann der Tee reich sein an Aflatoxin und die sind sehr ungesund. Die „gesunden“ Inhaltsstoffe werden dann noch einmal wiederholt – es wird dadurch nicht besser. Es sollen auch „Harnsäuren“ gesenkt werden. Es gibt DIE Harnsäure – eine –  und die ist für die Entstehung von Gicht wichtig [9].

Ich komme zum Kapitel „Tee mit Milch und Zucker“. „In China, wo Tee schon seit 3000 Jahren getrunken wird […].“ Also zunächst hatten wir die Zahl 5000, dann 1700 und danach 3000. Und nun? Vielleicht sollte ich mir Ulrichs Rat zu eigen machen: „[...] ich kann dir bloß noch einmal sagen, du nimmst das Denken zu ernst.“ [10] Ansonsten steht bei Frau Seifen auch weiter nur Geschwafel, z.B. vom chinesischen und europäischen Gaumen – gaum zu glauben.

Man könne das Teetrinken auch lassen und dafür Kapsel einnehmen. Das ist nun sehr enttäuschend! Und dann kommt ein Diät-Teil? Ich habe doch gelesen, daß Pu, der Bär, nein: Pu'er Tee („Der chinesische Schlankheitstee“) schlank macht. Wenn ich zusätzlich eine Diät benötige, kann der Tee doch nicht viel bewirken!?

Und schließlich kommen noch die Rezepte. Eistee – könnte es schlimmer sein? Fitness-Tee – da ist dann der „gesunde“ Traubenzucker im Eistee. Es kommt immer noch schlimmer: „Pu-Erh-Tee scharf“. Das soll Pu'er Tee mit schwarzem Pfeffer (黑胡椒) sein. Der schwarze Pfeffer ist in China eher eine rezente Entdeckung. Das gilt genauso für die Muskatnuss. Und weitere Tee-Rezepte mit Kardamom, Zimt, Nelken, Vanille. Oder die Orangenscheibe, denn die hat einen „Vitamin-C-Gehalt“  –  ja wieviel von dieser Kostbarkeit soll denn in der Orangenscheibe stecken?

Schließlich, das darf ich nicht verschweigen, finde sich in dem Buch „Pu Erh Tee / Der chinesische Schlankheitstee“ noch dieser Eintrag: „Lychees / Beliebte chinesische Frucht […] Man kann sie frisch oder in Dosen kaufen.“ Lychees sind mehrere, die Einzahl ist Lychee oder Litschi von lizhi
(荔枝). Aber, daß man sie frisch oder in Dosen kaufen kann – da wäre ich nie drauf gekommen!

Das Buch wird aktuell für 0,40 € feilgeboten [11]. Sie wollen es kaufen? Wahrscheinlich haben Sie gerade sechs Richtige im Lotto gewonnen.




Links und Anmermerkungen:
[1] Martina Seifen: Pu Erh Tee. Der chinesische Schlankheitstee. Econ & ListTaschenbuch, München 1999. ISBN: 3-612 -20652-4.
[2] https://baike.baidu.com/item/%E6%99%AE%E6%B4%B1%E8%8C%B6%E5%8E%86%E5%8F%B2/6315492
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Pu-Erh   
[4] Hou Y, Shao W, Xiao R, Xu K, Ma Z, Johnstone BH, Du Y. Pu-erh tea aqueous extracts lower atherosclerotic risk factors in a rat hyperlipidemia model. Exp Gerontol. 2009 Jun-Jul;44(6-7):434-9. doi: 10.1016/j.exger.2009.03.007. Epub 2009 Apr 5. PMID: 19348878.
„But it isn't known if pu-erh tea has these benefits in humans.“ steht hier: https://www.webmd.com/vitamins/ai/ingredientmono-1169/pu-erh-tea  
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2095754822000321
[5] https://rheumatologe.blogspot.com/2022/04/ein-buch-zu-der-kunst-tee-richtig-zu.html
[6] Stephen Barrett: Why Traditional Chinese Medicine Diagnosis Is Worthless. https://quackwatch.org/acupuncture/reports/diagnosis/
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Pu-Erh. Darüber hinaus gibt es einen lesenwerten Artikel in Englisch zu gepreßten Tees, zu denen Pu'er Tee gehört: https://en.wikipedia.org/wiki/Compressed_tea.
[8] Jin Cao, Xuexin Bai, Yan Zhao, Jianwei Liu, Dingyou Zhou, Shiliang Fang, Ma Jia, Jinsheng Wu: The Relationship of Fluorosis and Brick Tea Drinking in Chinese Tibetans. In: Environmental Health Perspectives. Band 104, Nr. 12, 1996.
J. Cao, Y. Zhao, J. Liu: Brick tea consumption as the cause of dental fluorosis among children from Mongol, Kazak and Yugu populations in China. In: Food Chem. Toxicol. Band 35, Nr. 8, 1997, S. 827–833.
Zitierung übernommen von [3].
Für Wissensdurstige hier noch ein besonderer Tee – ein Link zum Wikipedia-Artikel zur Fluorose: https://de.wikipedia.org/wiki/Fluorose
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Harns%C3%A4ure
[10] Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften. Roman. Hrsg. von Adolf Frisé. Rowohlt,  Reinbek (bei Hamburg) 1974. ISBN 3-498-09275-8. S. 376.
[11] https://www.booklooker.de/B%C3%BCcher/Martina-Seifen+Pu-Erh-Der-chinesische-Schlankheitstee/id/A02yfpDH01ZZp


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