Thursday, May 30, 2024

Kall: nach der Flut ist vor der Flut

Bahnhof Kall / Bahnhofsstraße 2021


Die Bahnhofsstraße in Kall [1] hatte schwer unter der Flut 2021 gelitten. Vieles ist wieder aufgebaut und sogar ausgebaut worden. Schneller, höher, stärker? [2] Gewisse Dinge hat man schnell erledigt, anstatt weniger Häuser, hat man zusätzlich höhere Häuser in die Bahnhofsstraße gesetzt. Wie ich hörte, waren die Gelder dazu bereits vor der Flut bewilligt. Diese Gelder wollte man nicht verlieren und so hat man gebaut. Man hätte nach der Flut die Sachlage neu überdenken können, denn nach der Flut ist vor der Flut. Man hat diese Chance aber nicht wahrgenommen. Man hat eine Häuserschlucht gebaut. Aktuell ist man immer noch mit dem Straßenbau in der Bahnhofsstraße beschäftigt.

Bahntrasse 2021 zwischen Sötenich und Kall


Fortgespülte Straße in Tibet 2018

Die Bahnstrecke von Kall nach Urft entlang der Urft hatte ebenso gelitten. Zwischen Sötenich und Kall konnte man besonders gut sehen, was Wasser an  Stein und Stahl ausrichten kann. Das ist keine neue Erkenntnis, dies wurde bereits vor etwa 2500 Jahren im Daodejing beschrieben: das weiche Wasser besiegt das Starke, das Feste, das Harte [3]. An der Urft hatte das Wasser sich seinen Weg gesucht und in der Breite des Tales nach Überwindung der Trasse gefunden. In Tibet hatte ich sehen können, wie die mäandernden Zuflüsse des Yarlung (Brahmaputra) begradigt wurden und damit floß das Wasser schneller ab, so daß es ganze Straßen mit sich riss. Jetzt baut die Deutsche Bahn zum Schutz der Trasse einen Betondamm. Das ist im Prinzip löblich, denn die Schienen sind unterspült worden und die Gleise sahen nach der Flut abenteuerlich aus. Aber, da braucht man nicht alttestamentarischer Prophet zu sein, die Wassermassen werden bei einer neuen Flut schneller fließen und mehr Kraft entwickeln. Ich kann mir vorstellen, daß dann der Schaden an der Trasse durch die Gefahr der Unterspülung zunehmen wird.

Der Damm der Trasse bei Sötenich - Mai 2024

Schneller, höher, weiter werden nun die Fluten nach Kall rollen und rauschen, um dort schneller, höher, weiter Schaden anzurichten, um schneller, höher, weiter Gemünd und noch schneller, höher, weiter andere Orte zu erreichen.

Was hätte ich denn gemacht? Ich hätte versucht, den Abfluß des Wassers zu verlangsamen. Kann man Bäche entgradigen? Manche, wie der Kuttenbach, sind normalerweise Rinnsale, aber bei Regen stürzen die Wassermassen schnurgerade zu Tal. Kann man Rückhaltewehre schaffen, die nur im Ernstfall Wasser zurück halten? Kann man nicht Aufforsten?

Vielleicht habe ich die geheimen Maßnahmen nur nicht wahrgenommen, die gegen eine neue Katastrophe ergriffen wurden, allein mir fehlt der Glaube. Am meisten würde mich die erneute Zerstörung des Buchladens in Kall betrüben.




Anmerkungen:

[1] Die Bahnhofsstraße steht hier pars pro toto für sämtliche Schäden.
[2] Citius, altius, fortius ist das olympische Motto, das schneller, höher, stärker bedeutet, aber im allgemeinen Sprachgebrauch eher mit schneller, höher, weiter übersetzt wird. Ähnlich wie bei der Rede Winston Churchills, desses Titel Blood, Toil, Tears and Sweat [Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß] gerne als Blut, Schweiß und Tränen zitiert wird.
[3]
天下莫柔弱于水,而攻坚强者莫之能胜,其无以易之。弱之胜强,柔之胜刚,天下莫不知,莫能行。Das bedeutet, frei übersetzt: Nichts auf der Welt ist weicher und schwächer als Wasser, und doch gibt es nichts, was es übertreffen könnte, wenn es darum geht, Hartes und Starkes zu überwinden. Leicht durchdringt es, das Schwache überwindet das Starke, das Weiche überwindet das Harte. Alle wissen es, aber niemand wendet es an.


.

No comments:

Post a Comment