Monday, February 12, 2024

Erlebnis Deutschland – St. Peter und Paul in Hadmersleben

 


Wieder einmal hatte ich mich vom Navi treiben lassen, ich wollte aus Berlin in den Harz. Und da kam ich durch oder beziehungsweise erst einmal an Hadmersleben vorbei. Hadmersleben gehört zum Bistum Magdeburg und ich bin zuvor noch nie dort gewesen. Dort sah ich nun von Ferne die beiden Türme der Katholischen Pfarrkirche St. Peter und Paul, früher die Kirche der Benediktinerinnen-Abtei. Ich war völlig überrascht, als ich aus der Ferne, das Land ist flach, dieses imposante Bauwerk sah, so daß mich diesmal nicht eines dieser braunen Hinweisschilder zu einer ausgesprochen interessanten Sehenswürdigkeit geführt hat.

Ich kam zunächst in den Betriebshof und sah, daß man von dort aus überhaupt nicht zur Kirche kam. Außerdem war der Zutritt eigentlich verboten, da es um Privatbesitz handelt, aber ich sah jemanden aus einer Werkhalle kommen und sprach ihn an. Es war ein sehr freundlicher Mann und der sagte mir, ja, ich hätte recht, hier entlang käme ich nicht zu der Kirche, aber ich sollte außen  rechts herum gehen. Es könnte allerdings sein, daß die Kirche bereits geschlossen wäre. Vielleicht wäre sie aber offen und vielleicht würde ich die Frau Hofmann treffen. Wenn ich die Frau Hofmann träfe, dann wäre das gut, denn die wüßtewüßte richtig gut Bescheid über die Kirche. Ich dankte dem Mann herzlich und ging in Richtung Kirche. Die Straße verfügt über einen schönes altes Kopfsteinpflaster.




Ich kam von Süden zum Kircheneingang und sah zwei Frauen auf einem Vorplatz, der früher wahrscheinlich ein Friedhof gewesen war. Die Tür war offen und ich ging hinein. Man konnte nach oben gehen oder direkt unten in das Hauptschiff; ich ging sofort nach oben auf eine Empore. Da kamen bereits die beiden Frauen in die Kirche. Die eine blieb unten stehen und die andere kam herauf zu mir. Und … das war Frau Hofmann. Die Frau unten war ihre Schwester und die Schwester verließ uns dann, aber Frau Hofmann hat mir eine wahnsinnige Führung beschert, von der ich heute noch in der Erinnerung eine Gänsehaut bekomme. Ich habe selten jemanden erlebt, der so freudig über eine Kirche Auskunft gab. Und ich war erstaunt über ihr großes Wissen. Sicherlich kann man sich in der Kirche mit einen „Schnell Kunstführer“ [2] versorgen, den Franz Schrader [3] verfaßt hat. Darin findet man neben einem umfassenden Text zu Kunst, Geschichte, Architektur einen Grundriss der Kirche sowie Fotos. Man bekommt so viel an Informationen, daß man sich beschränken muß. Die meisten Informationen wird man, sobald man sie gehört bzw. gelesen hat, auch schnell wieder vergessen haben; zum Nachschlagen aber ist das Heftchen unschlagbar. Diese Kirche wurde bereits im Jahr 961 gegründet wurde und zwar durch beziehungsweise für den sechsjährigen Otto II. Und diesen alten Teil der Kirche kann man noch besuchen. Ich verrate kein bestimmt kein Geheimnis, daß im Winter dort die Messe stattfindet.

Ein Benediktinerinnen-Kloster, das in dieser Gegend die Zeit der Reformation und den Dreißigjährigen Krieg als katholische Einheit überdauert hat, ist eine Seltenheit. Die Klosteranlage wurde später durch einen Gutshof und Gebäude erweitert; dort ist noch das Wappen der Äbtissin Blume, zwei Felder mit Rosen und zwei Felder mit den Insignien der Apostel Petrus und Paulus, zu sehen. Wikipedia [4]: „Hier wohnte die Mutter des Komponisten Georg Philipp Telemann, Maria Haltmeier vor ihrer Vermählung. Ihr künftiger Ehemann, Heinrich Telemann, war 1668 Rektor der Stadtschule Hadmersleben.“ 1809 wurde das Kloster aufgelöst, aber die Pfarrei blieb bestehen. „1981 wurde mit der Restaurierung von Kapitelsaal, Kreuzgang, Parlatorium, Äbtissinnenzimmer, Treppenturm, Loggia und Tapetensaal begonnen.“ Mehr zum „Kulturhistorisches Museum Kloster Hadmersleben“ kann man im Internet erfahren [5].
 
Geschichtlich interessierte mich noch Reinhard von Blankenburg († 2. März 1123) in Halberstadt, der von 1107 bis 1123 Bischof von Halberstadt gewesen war [6] – und in dem ich zugegebenerweise zuerst jemanden im Umfeld der Burg Blankenheim vermutet hatte. Die Grafen von Blankenburg und Regenstein sind wahrscheinlich u.a. als Lehnsgrafen Lothars III. [7] aufgestiegen. Hadmersleben gehörte zum Bistum Halberstadt. Und mein Interesse galt eher Lothar III. [8], ebenfalls zugegebenerweise.




Im Kirchensaal kann man die spätgotischen Figuren der Apostel Petrus und Paulus bewundern. Der bronzene Türzieher erinnerte mich an Klöster in Ladakh oder auch in der Mongolei [9]. Auf der Empore sind noch Schnitzereien des barocken Chorgestühls zu sehen. Die Orgel ist nicht mehr funktionsfähig, da die Kirche schon lange Zeit nicht mehr beheizt werden kann. Sehenswert ist das Untergeschoß, in dem im Winter die Messe stattfindet, denn dort sind die ältesten Teile des Bauwerks zu sehen. Dann gibt es noch einen Restbestand von den gotischen Glasmalereien; leider ist nur wenig über sie bekannt. Der Barockaltar zeigt u.a. den Namenszug der Äbtissin Anna Margaretha Blume (1679-1717). Da mußte ich natürlich an „Anna Blume“ von Kurt Schwitters [10] denken und auch an „Anna Livia Plurabelle“ von James Joyce (Teil von „Finnegans Wake“ oder auch als Einzelveröffentlichung [11]).

Erdene Zuu


Hadmersleben

Gut, für den Besuch in Hadmersleben muß man sich nicht mit James Joyce oder Kurt Schwitters vorbereiten oder mittelalterliche Genealogien studieren. Aber man sollte schon in den nächsten Jahren die Kirche St. Peter und Paul in Hadmersleben besuchen, denn niemand weiß, wie lange sich Frau Hofmann noch bereit erklären wird, Führungen zu machen – und ihre Führung war allein schon den Besuch wert.


Links und Anmerkungen:

[1] Die Einleitung zu dieser Serie von Blogposts findet sich unter: https://rheumatologe.blogspot.com/2024/01/erlebnis-deutschland-einleitung-und.html
[2] Franz Schrader: Ehem. Benediktinerinnenabtei-Kirche, heute kath. Pfarrkirche St. Peter und Paul, Hadmersleben. Kunstführer Nr. 2026. Schnell & Steiner, München und Zürich 1992.
[3] Franz Schrader (1919-2007) war ein römisch-katholischer Priester, Kirchenhistoriker und Leiter des Bistumsarchivs in Magdeburg. https://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Schrader_(Priester)
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Kloster_Hadmersleben  
[5] https://www.oscherslebenbode.de/Home/Kultur-Sport-Tourismus/Kultur/Museen/Kulturhistorisches-Museum-Kloster-Hadmersleben.php?object=tx,2962.1&ModID=9&FID=2962.181.1&NavID=2962.53&La=1
[6] Reinhard von Blankenburg von 1107 bis 1123 Bischof von Halberstadt. https://de.wikipedia.org/wiki/Reinhard_von_Blankenburg
[7] https://www.manfred-hiebl.de/genealogie-mittelalter/blankenburg_grafen_von/poppo_1_graf_von_regenstein_blankenburg_1164/poppo_1_graf_von_regenstein_blankenburg_+_1164.html  
[8] Lothar III. (vor 1075-1137) war seit 1106 Herzog von Sachsen, ab 1125 König und von 1133 bis 1137 Kaiser des römisch-deutschen Reiches. https://de.wikipedia.org/wiki/Lothar_III._(HRR)  
[9] Ich dachte hierbei besonders an das Kloster Erdene Zuu (Эрдэнэ-Зуу) in der Mongolei.
[10] AN ANNA BLUME - Merzgedicht 1 [10a] von Kurt Schitters [10b]. Mir ist der Humor von Kurt Schwitters in lebhafter Erinnerung, denn dieser Humor brachte mich einmal im Lesesaal der Kölner Universitätsbibliothek (UB) fast um den Verstand, als ich „Tran 27“ [10c] las und ich nicht laut lachen wollte. Ich hielt also die Luft an und prustete dann los, sehr zum Schrecken einiger Jurastudenten.
[10a] https://de.wikisource.org/wiki/Anna_Blume,_Dichtungen  
[10b] Kurt Schwitters (1887-1948) war ein deutscher Künstler, der unter dem Kennwort Merz, entstanden aus dem Wortteil Merz des Wortes Kommerz, ein dadaistisches „Gesamtweltbild“ entwickelte. https://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Schwitters
[10c] https://lyrikwiki.de/mediawiki/index.php/Kritiker_(Schwitters)
[11] James Joyce: Anna Livia Plurabelle. With a preface by Padraic Colum. Crosby Gaige,New York  1928. Kann man käuflich für über 7.000 € erwerben - muß man aber nicht: https://www.riverrun.org.uk/jj/ALP.pdf

 
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