Friday, August 4, 2023

K. und das Verlies

K. wachte in einer Zelle auf. Er lag am Boden auf HolzBohlen, bedeckt mit einer WollDecke, die Arme unter dem Kopf. Er fühlte sofort KopfSchmerzen, dumpfe KopfSchmerzen, als ob man ihn niederGeschlagen hätte. Aber als er am Kopf nachFühlte, fand sich von außen keine Verletzung. Wahrscheinlich hatte man ihn mit Drogen betäubt. Er trug ein grobes Hemd mit Ärmeln, das ihm bis über die Knie reichte.
Die Zelle bestand aus einem ZiegelGeviert, auf einer Seite verputzt oder aber hinter dem Putz verbarg sich etwas anderes. An allen vier Wänden fehlten Fenster oder  Tür. Von hoch oben leuchtete ein starkes Licht aus den Ecken und aus der Mitte. K. konnte über dem Licht nichts erkennen.
Er trank von dem Wasser, das sich in einer Ecke befand. Er aß von dem Brot, das etwas weiter daneben auf einem Teller lag, den er nicht vom UnterGrund abheben konnte. Noch einmal füllte er Wasser aus einem kurzen RohrStück in den BlechBecher. Es ertönte ein schrilles Signal, als er ihn nicht sofort zurückGestellt hatte.
K. erinnerte sich noch an sich selbst, nicht aber an die Zeit, bevor er aufgewacht war. Sein vorheriges Leben war ausgelöscht. Zelle, Boden, Teller, Brot, Wasser – er  konnte alles benennen, aber er hatte keine konkrete Erinnerung an irgendeinen Gegenstand, daß er ihn vorher irgendwo gesehen hätte. Er konnte sich einen Baum vorstellen, aus dem Bohlen gemacht worden waren, aber K. konnte kein Bild von einem Baum in seiner Erinnerung finden. Er konnte sich ein Buch vorstellen, aber er wußte keinen BuchTitel zu benennen. Auch konnte er sich nicht an irgendein Buch und seinen Inhalt erinnern. Er wußte, was Fernsehen war, aber er konnte sich an keine Sendung, an keinen NachrichtenSprecher oder NachrichtenSprecherin erinnern. Und er erinnerte sich, dass es so etwas wie ein Telefon existierte, aber hier gab es keins.
Manchmal summte er vor sich hin, aber er kannte das Lied nicht mehr, ihm fiel überhaupt kein Lied ein. Nicht ein Lied, das er hätte aus der Erinnerung singen können.
Es verging Zeit und K. versuchte sich über sich selbst klarer zu werden. Aber er konnte sich einfach nicht an die Zeit vorher erinnern – er hatte diese Zeit verloren. Er konnte sich nur erinnern, daß es solch eine Zeit gegeben hatte. Seit er in der Zelle war, konnte er sich an alles erinnern, aber was gab es schon, an daß er sich erinnern wollte?! Und er überlegte, ob nicht das Leben überhaupt so wäre, daß man sich an die Zeit vor der Geburt nicht erinnern könnte. Aber solche Überlegungen führten ihn nicht weiter. Er hatte auch keine Möglichkeit, die Zeit nachzuhalten. Er wußte nicht, ob Stunden zu Tage und Tage zu Wochen wurden. Er konnte nicht irgendwo etwas einritzen, denn ihm fehlte etwas zum Einritzen. Manchmal nahm er den Becher fort von seinem Platz, nur um die Sirene zu hören. Es war so still um ihn. Und nichts von aus der außerhalb Zelle drang zu ihm, mit Ausnahme des Brotes, daß immer da lag, wenn er eine Nacht geschlafen hatte. Schlief er nicht, so kam auch kein Brot, es kam erst, wenn er auch fest schlief. So konnte K. auch nicht entdecken, wie das Brot auf den BlechTeller kam.
Da bislang niemand ein Verhör durchGeführt hatte und es wenig wahrscheinlich war, daß dies noch kommen könnte, und niemand irgendwelche Forderungen an ih stellte, außer vielleicht, daß die BlechTasse sofort wieder an seinen Platz zu stellen ist, überLegte K., welche Forderungen er selbst an sich stellen könnte. Er machte zunächst Inventur: dies ist mein Hemd, dies ist meine Decke, mein Teller, mein Becher. Er kam nicht weit und ob er diese Dinge sein Eigentum nennen konnte, stand ebenso wenig fest.
K. versuchte in einer der Ecken hoch zu klettern, aber schon nach einem Meter Höhe war der Alarm schrill und laut zu hören. UmherGehen, LiegeStütze, Sitzen, Springen, KnieBeugen waren allerdings möglich, ohne den Alarm auszulösen.
Dann begann K. an einer Stelle auf dem Putz zu klopfen, so mit dem FingerKnöchel. Das gab einen Klang, so hohl, eher leise, verhalten. Da der Alarm nicht darauf reagierte, machte K. weiter. Er klopfte so manchen Tag und da gab es einen Sprung im Verputz. Was fühlte er nun? SchaffensKraft, Freude, Hoffnung? K. kannte die Ausdrücke sofort, obwohl er sie nie gehört hatte, jedenfalls nicht seinem Gedächtnis nach. K. muße einige Wochen geklopft haben, bis sich ein Stück aus dem Verputz löste. Hinter dem Putz befand sich eine BretterWand, eine Wand aus FichtenHolz. Nur ein schwacher Geruch ließ die Fichte noch erahnen.
K. hatte nun in einer Ecke etwas Schutt angehäuft, aber es schien niemanden zu stören. Nur HochKlettern oder die BlechTasse fortNehmen schien den Alarm auszulösen. War er denn nicht unter Beobachtung? Oder war diese Beobachtung noch perfider, als er sich das vorstellen konnte? Mit einem Stück Putz konnte er schnell noch mehr Putz von der HolzWand lösen. Und bald machte er sich daran, eines der Bretter mit einem scharfen Stück Putz zu bearbeiten.
Nach den Brettern kam wieder Putz und dann Fels. Nach vielen Jahren aber war immer noch Fels da und K. fand nie aus dem Verlies heraus. Und K. fand nie heraus, woher er denn nun gekommen war.


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