Blog von Dr. med. Lothar M. Kirsch / 祁建德 // Rheumatic Diseases / Fibromyalgia / Travels / Languages / Poetry
Thursday, January 3, 2013
Das Leid mit Übersetzungen von Gedichten
Ich habe mich wieder einmal geärgert, sonst würde ich mich wahrscheinlich nicht aufgerafft haben, dies hier zu schreiben. Es geht um die Übersetzung von Gedichten, hier am Beispiel von Alain Bosquet: Eines Tages nach dem Leben. Der Verlag hat die Gedichte in Französisch und Deutsch herausgegeben und auch bei den Übersetzern nicht gespart, immerhin stammen einige Übersetzungen von Paul Celan, den ich, es mag jetzt etwas hochgeschraubt klingen, sehr verehre. Darum ärgere ich mich ja auch so sehr! Die Übertragungen sind also nicht neu, denn Paul Celan verstarb 1970. Die folgenden Zitate sind aus: Alain Bosquet: Eines Tages nach dem Leben, Horst Heiderhoff Verlag, 1983.
Syncopes
Das Gedicht beginnt: «Tu es la tragédienne qui mérite / vingt suicides par jour; ...» Daraus wird: „Der Lohn für deine Trauerspiele wäre / ein zwanzigfacher Tod von eigner Hand an einem Tage -“. Warum nicht: „Du bist die Tragödin, die täglich / zwanzig Selbstmorde verdient ...“?
„Lahm sind die Vögel“ steht für: «… et les oiseaux / qui n’osent plus bouger». Also bei mir sind das „die Vögel, die sich nicht mehr wagen zu bewegen (oder: rühren)“.
„Ihr Aug, von einem Schattenwort umflort, / ...“ könnte ich mir sehr gut in einem Gedicht von Paul Celan vorstellen, aber hier steht es für: «…, les yeux cernés de verbes tristes, /...» („die Augen umringt von schwermütigen Worten“). Bosquet spricht von Augen, Celan wählt die Einzahl, wobei gerade das Aug typisch für ihn ist. Die französische Wendung lautet: avoir les yeux cernés, also Ringe (oder Schatten) unter den Augen haben. Aug steht bei Celan ohne Apostrophe, denn ich meine, er stört sich an der zweisilbigen Einzahl von Auge, deshalb nicht Aug’ (wie etwa der Löw’ bei Tucholsky). Hand/Hände, Fuß/Füße, Ohr/Ohren, also Aug/Augen (klappt allerdings nicht mit den Nieren, die auch paarig sind).
Im letzten Vers benutzt Bosquet den Singular «... un vieux poème ...»; dies wird zu „alten Reimen“.
Ohne Titel
Das nächste Gedicht beginnt: «Ton désespoir, cette soif de gazelle; / ...» - „Deine Verzweiflung – Durst, den keiner stillt“. Da die Gazelle in einem späteren Gedicht nochmals auftaucht, warum sie hier verschweigen? „Deine Verzweiflung, dieser Durst der Gazelle, ...“ – ist doch möglich!
Zweite Zeile: «... / ta volupté, ce don que tu démens, /…» - „… / die Wollust, die du schenkst – du strafst sie Lügen. /“. „…/ deine Wollust, diese Gabe, der du widersprichst, / …“.
«…/ c’est toi qui ne veux pas qu’on les appelle / de leur prénom des reptiles dormants.» Bei Celan: „…/ Und sie zu nennen, bist du nicht gewillt, / weil sie den Namen eines Tieres trügen.“ Warum nicht: „.../ du willst nicht, dass man sie bei ihren / Vornamen schlafender Reptile ruft.“
«… tu m’expliques / ta tragédie: …» wird zu „... Und dein Mund erklärt: ...“. Hier, wie auch im folgenden Gedicht, kommt es zu einer Häufung von „und“, aber Bosquet hat keine Kopula gewählt.
«… / comme on coupe des fleurs paralysées.» wird zu „... / es waren Blumen, die man abgeschnitten.“ Ich sehe darin: „ .../ als ob man gelähmte Blumen abschnitte“.
Ohne Titel (2)
Im nächsten Gedicht möchte ich nur an einer Zeile rummäkeln: «… / enterre mes syllabes sous ta peau: / ...» wird zu „... / Und heb in dir ein Grab aus meinen Reimen: / ...“. ".../ begrabe meine Silben unter deiner Haut: / ..." wäre auch möglich gewesen, n´est-ce pas?
Das Gedicht von Bosquet enthält nicht ein "et", aber die Übersetzung von Celan enthält sechsmal das Wort "und". Die deutsche Übersetzung wird auf jeden Fall länger sein, da heißt es doch mit jedem Wort zu geizen.
Ohne Titel (3)
«… Tu ne peux l´ouvrir / sans consulter d´abord les deux gazelles / qui vivent dans tes yeux. ...» wird zu „Doch sie zu öffnen wird dir erst Bescheid, / wenn die Gazellen deiner Augen du befragt / ...“. Vielleicht: " ... Du kannst sie nicht öffnen / ohne erst die beiden Gazellen zu befragen, / die in deinen Augen wohnen. ..."
Schade! Da versaut es mir den Bosquet und den Celan! Denn zugegeben, Französisch ist eine meiner schwachen Sprachen. Da wäre eine genaue, textgetreue Übersetzung für mich wichtig.
Wenn ich dann aber lese: "Beidhändige Frühe / holt sich mein Aug / dann erscheinst du - // ...", bin ich wieder zufrieden.
Zurück zum Übersetzen von Lyrik. Mich hat das "Museum der modernen Poesie" gleichermaßen fasziniert und entsetzt. Was sich da an Fehlern und Absonderlichkeiten angesammelt hat - und immer wurde die erste Auflage nachgedruckt, nie wurde sie überarbeitet. Aber das ist schließlich eine ganz andere Geschichte.
27.05.2015:
Gestern las ich:
Thomas Eichhorn: Das Übersetzen und Arno Schmidt. In: Bargfelder Bote, Lfg. 389-390 / Mai 2015, S. 3-16.
Eichhorn analysiert die Übersetzungspraktiken von Arno Schmidt und gibt Beispiele von Lyrik-Übersetzungen, z.B. Edgar Allen Poe. Ich fühlte mich bestätigt. Er zeigt Mängel bei der Umformung der Sprachstruktur, Deutung des Wortsinns und insbesondere den Mangel an Wirkungsäquivalenz in den Übersetzungen Arno Schmidts. Er mahnt an, dass die Übersetzung nicht das Original verfremden solle. Auch ein Originalitätsstreben des Übersetzers tut dem Original nicht gut.
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Ganz Recht, ich ärgere mich auch gerade über ein miserabel übersetztes Gedicht aus dem Holländischen, wobei ich nichtmal Holländisch kann! Man erkennt aber auf den ersten Blick, ob Struktur, Rhythmus und Reim stimmen oder eben nicht. Und ein paar Wörter kann man auch verstehen und sieht, dass sie logisch und "gefühlt" nicht übereinstimmen, sondern dass der Experte Übersetzer seine Ideologie drübergestülpt hat oder einfach lustlos geschludert.
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