Wednesday, June 5, 2024

St. Germanus in Wesseling

 


Als ich dieser Tage in Wesseling gewesen bin, fiel mir auf, daß die Kirche St. Germanus [1] geöffnet war. Eine Reihe von baulich ähnlichen Kirchen, wie etwa St. Elisabeth in Köln-Höhenberg (aus dem Jahr 1910) [2] oder St. Engelbert in Köln-Gremberg (aus dem Jahr 1936) [3] hatte ich bislang nicht besuchen können, weil sie immer geschlossen sind. Also nahm ich dieses Angebot dankend an. Solche Besuche dienen meinem kulturhistorischen Interesse und während einer Messe ist dies unangebracht.

Bereits im 10. Jahrhundert gab es am Ort („Waslicia“) eine Pfarrkirche, etwa 150m oder 500m nördlich des heutigen Gebäudes, und schon damals war St. Germanus Schutzpatron. Diese Kirche wurde wahrscheinlich 1733/1734 restauriert und/oder erweitert. Die aktuelle Backsteinkirche wurde zwischen 1891 und 1894 im neoromanischen Stil errichtet. Sie ist 42m lang und 21m breit [4]. Sie hat zwei Seitenschiffe, ein „nicht auskragendes Querschiff“ [5] und eine halbrunde Apsis. Die Wesselinger nennen ihre Kirche auch „Wesselinger Dom“; zur Größe werde ich später noch abschweifen. Die Kirche liegt sicher vom Hochwasser; man kann dies vielleicht an einem Bild vom Rhein er gerade viel Wasser führt, abschätzen.


Das Geläut im Nordturm ist vierstimmig – e¹, fis¹, gis¹ und a¹ – in dieser Tonfolge schon seit dem 19. Jahrhundert, aber seit 1964 mit neuen Glocken.

Bleiben wir erst einmal bei Tönen und zwar bbei der Orgel. Bereits 1820 wurde eine gebrauchte Orgel des Kölner Orgelbauers Engelbert Maaß in die damalige Kirche eingebaut und 1894 in den Kirchenneubau übernommen. Allerdings wurde von Johannes Klais 1925 eine komplett neues Orgel installiert. Zuletzt wurden im Jahr 2013 vier Register aus einer abgelegten Klais-Orgel eingebaut.  Wenn man vom Geviert (direkt vor dem Chorraum) zurück zu Kircheneingang schaut, kann man die Orgelpfeifen auf der Empore sehen, insbesondere wir gut sie zu der Rosette passen.


Damit sind wir bei den Kirchenfenstern, die zum größten Teil von Eduard Horst in den Jahren 1958 – 1963 geschaffen wurden. Die Rosette auf der Orgelempore stellt St. Gregor I dar. Das Jüngste Gericht (Mt 25,33ff) ist ein Fenster im Querschiff, das mir ebenfalls sehr gefallen hat. Alle Fenster und dann auch noch in besserer Qualität, kann man sich auf der Homepage der Forschungsstelle Glasmalerei des 20. Jh. e.V. ansehen [6].


St. Germanus ist der Schutzheilige der Kirche. Uns mag Germany von „Germany zero points“ geläufig sein, aber gemeint ist Germanus, der Name. Frankophilen Lesern mag die französische Form St. Germain und zwar als Quartier Saint-Germain-des-Prés in Paris geläufiger sein, aber es geht auf den Namen und etymologisch auf die Bedeutung „leiblicher Bruder“ zurück. Nun gibt es mehrere Heilige mit dem Namen Germanus, aber gemeint ist der spätantike Bischof Germanus von Auxerre (ca. 378-448, vielleicht aber schon 437 in Ravenna verstorben) [7]. Ich hatte mich gewundert, daß er als Bischof von Auxerre, das liegt südwestlich von Paris auf etwa der Hälfte des Weges nach Lyon, in Ravenna auf einer Petirionsreise für die Region Armorica starb.
Vor seiner Abkehr von weltlichen Dingen war er Befehlshaber oder einer Vorform des Herzogs von Armorica (dem heutigen Gebiet der Bretagne und Normandie) und nahm an Feldzügen teil [8]. Nachdem die Römer Britannien verlassen hatten, ging unter anderem Germanus dorthin, um dem Pelagianismus Einhalt zu gebieten [9]. Darüber berichten walische Quellen [10]. Der Pelagianismus nahm an, daß es grundsätzlich möglich sei, „ohne Sünde zu sein (lateinisch: posse sine peccato esse)“ [11]. Das ließe eine Erlösung ohne Gott zu und wurde dementsprechend als Häresie eingestuft. Germanus ist Schutzpatron gegen mehrere Krankheiten (z.B. Irrsinn) sowie gegen Meineid; oh, da könnte er für manchen Politiker interessant sein.

Die Bezeichnung „Wesselinger Dom“, Gespräche in der letzten Woche und die Rückbesinnung auf einen Besuch in Ostbelgien in der Pfarrkirche St. Vitus in St. Vith, also die Kirche, über die ich immer noch nicht berichtet habe, veranlaßte mich nun, über Größe und Notwendigkeit von Gotteshäusern nachzudenken. Ich bin der Überzeugung, daß die beiden Weltkriege eine entscheidende Bedeutung für die Dimensionierung der Kirchen (egal ob katholisch oder evangelisch) Mitte des 20. Jahrhundert hatten. Wenn wir einmal von Weihnachten und Ostern absehen, sind die Kirchen heute überdimensioniert. Und darüber hinaus gibt es auch mehr, als das Personal bespielen könnte. Die evangelische Kirche hat noch den Vorteil, daß sie im Rheinland PrädikantInnen zuläßt, die wenigstens die Gottesdienste (mit Abendmahl, Taufe) übernehmen können. Das geht in der katholischen Kirche nicht. PastoralrefentInnen können allenfalls eine Andacht halten. Wir befinden uns in einer Übergangszeit, die viele Gotteshäuser aber wenige Besucher hat. Dies wird sich ändern, schon weil es sich die Gemeinden nicht leisten können, Kirchen für wenige Male im Jahr zu heizen und zu unterhalten. Sollen jetzt die Kirchen säkularisiert und verkauft werden, vielleicht abgerissen werden, um einen weiteren Discounter dorthin zu setzen? Nein! Das sei ferne! Diese Kirche haben etwas mit den Ortschaften zu tun, mit der lokalen Geschichte und dem Erscheinungsbild. Man würde auch nicht Schloß Falkenlust (viel zu nah an der Autobahn gebaut) [12] abreißen, nur weil die Demokratie den Feudalismus abgelöst hat. Wer aber soll es bezahlen? „Ich weiß es nicht“[13].

Deshalb empfehle ich nach diesem Besuch in der Pfarrkirche St. Germanus in Wesseling: wenn Sie eine offene Kirche sehen, gehen Sie hinein und schauen Sie sich alles an, solange das noch geht. Und wenn Sie trotz Woelki in der evangelischen oder der katholischen Kirche [14] sind, warum nicht auch einmal am Gottesdienst oder an der Messe teilnehmen?


Links und Anmerkungen:
[1] St. Germanus in Wesseling  https://de.wikipedia.org/wiki/St._Germanus_(Wesseling) und https://www.kkiw.de/wir-fuer-sie/kirchen/st.-germanus/  
[2] Die dreischiffige Backstein-Hallenkirche St. Elisabeth wird Wikipedia-Artikel über Köln-Höhenberg kurz beschrieben. https://de.wikipedia.org/wiki/H%C3%B6henberg_(K%C3%B6ln)#St._Elisabeth  
[3] Zu St. Engelbert in Köln-Gremberg (es gibt noch eine gleichnamige Kirche in Köln-Riehl) gibt es eine Broschüre zum 50jährigen Bestehen aus dem Jahr 1986. https://ig-humboldt-gremberg.de/wordpress/wp-content/uploads/2015/08/stenelbert.pdf [ja, mit Schreibfehler abrufbar!]
[4] Oh, wieder einmal die ominöse 42. Dazu mehr: Zweiundvierzig (42) https://rheumatologe.blogspot.com/2024/01/zweiundvierzig-42-1.html
[5] Mir war schon klar, was dies ist, aber die Formulierung stammt nicht vor mir. Mit aus- oder vorkragen bezeichnet man überragen. Für unseren Zusammenhang kann der Vergleich des Grundrisses, wie in https://www.glasmalerei-ev-web.de/pages/b6742/b6742.shtml gezeigt, mit diesem schematischen Grundriss romanischer Kirchen https://artefax.de/kunsterziehung/romanik.html interessant sein.
[6] Die Forschungsstelle Glasmalerei des 20. Jh. e.V. mit Sitz in Mönchengladbach ist ein Zentrum für die Dokumentation und Erforschung der Glasmalerei. https://www.glasmalerei-ev-web.de/pages/b6742/b6742.shtml  
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Germanus_von_Auxerre
[8] Hier ist der französische Text von Wikipedia viel ergiebiger: https://fr.wikipedia.org/wiki/Germain_d%27Auxerre
[9] In diesem Zusammenhang ist der englische Text von Wikipedia weitreichender: https://en.wikipedia.org/wiki/Germanus_of_Auxerre
[10] Newell, E.J.: The History of the Welsh Church. Elliot Stock, London 1895. p.37, zitiert unter [9] und hier kann man es im Detail nachlesen:
https://archive.org/details/ahistorywelshch00newegoog/page/n52/mode/2up?view=theater  
[11] https://de.wikipedia.org/wiki/Pelagianismus Im Englischen ist der Begriff pelagianism, nicht zu verwechseln mit plagianism.
[12] Mehr dazu in: Rückzugsorte –  https://rheumatologe.blogspot.com/2023/10/ruckzugsorte.html
[13] Dieter Roth hat einmal einen Essay zu der Frage "Wer war Mozart?"geschrieben, den ich über die Fernleihe der Universitätsbibliothek Köln ausleihen wollte. Der rosa Ausleihschein kam zurück mit dem Stempel: Nicht ausleihbar! Und einem Vermerk: „Im übrigen lautet der ganze Essay: Ich weiß es nicht“. Dieter Roth: wer war mozart ein essay. Jons Helgasonar, [Reykjavik] [1971].
[14] Woelki als Begründung aus der Kirche auszutreten, findet sich nicht nur in der katholischen sondern auch in der evangelischen Kirche; jedenfalls in Köln.

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