Blog von Dr. med. Lothar M. Kirsch / 祁建德 // Rheumatic Diseases / Fibromyalgia / Travels / Languages / Poetry
Thursday, July 26, 2012
Geschichten von K. - Die Treppe.
K. fand sich auf einer Treppe wieder. Es war eine Treppe, die immer ein StockWerk höher ging in vier Abschnitten, die ein Quadrat bildeten. In der Mitte war leerer Raum, der den Blick nach oben und unten ermöglichte, aber es war nach wenigen StockWerken schon nichts mehr zu sehen. Und auch die Einteilung in StockWerke war irgendwie willkürlich, denn nirgendwo hatte K. eine Tür entdeckt, die ein StockWerk signalisieren würde, die irgendwo hinführen würde oder sogar eine StockWerksBezeichnung tragen würde; trotzdem sah K. im Aufsteigen eines Quadrates jeweils ein StockWerk, möglicherweise auch wegen der Drehung um 360°. Vielleicht würde sich höher oder tiefer doch eine Tür finden.
Das TreppenGeländer was aus schwarz lackierten EisenStangen gearbeitet. Die TreppenStufen und –Absätze waren aus Beton gegossen. Die Wände hingegen waren aus BackSteinen gemauert und wiesen Unregelmäßigkeiten auf. Von der unverputzten Decke hingen auf jedem ViertelAbsatz nackte GlühBirnen, wovon aber keine ausgebrannt war. Trotzdem war das Licht trügerisch und auf den Stufen waren vielen Schatten zu sehen.
K. war es völlig unklar, wohin die Treppe führte. Sie schien aus dem Nirgendwo zu kommen und ins ferne Ungewiß zu führen. Er beschloß, die Treppe aufwärts zu gehen, wahrscheinlich, um aus dem Dunkel in´s Licht zu gelangen. Er hörte einige Zeit auf das Geräusch seiner Füße, wie sie im groben Staub auf dem Beton kratzten, dann auf das Keuchen seines Atems. Dann hörte er in die Stille, als er sich auf einem Absatz ausruhte. Dann aber bemerkte er, wie jemand von oben kam. Allein die TatSache, daß er nicht allein auf der Treppe war, erfüllte ihn mit Freude.
Es kam ihm der Kellner eines Restaurants entgegen, das er in der AltStadt häufig frequentiert hatte. Ein italienisches Restaurant, „Da Giovanni“, in dem der Besitzer an der Kasse saß und K. immer von dem Kellner mit dem italienschen Akzent bedient wurde, auf dessen Namen er sich nicht besinnen konnte. Aber da er immer ein gutes TrinkGeld gegeben hatte, hoffte er, daß sich dieser erinnern würde. Aber der Kellner blickte durch ihn hindurch und seine Lippen blieben verschlossen. Dies änderte sich auch nicht, als K. ihm nachlief und in zuerst anredete und dann anbrüllte. Er stellte sich ihm in den Weg, aber der Kellner ging um ihn herum, eine Berührung vermeidend. Da ließ K. ab von ihm und ging enttäuscht weiter die Treppe hinauf.
Er traf noch mehr Leute auf der Treppe. Immer wieder nach einigen StockWerken kam ihm jemand entgegen. Die Abstände waren nicht vorauszuberechnen und es kam auch niemand, wenn er sich seinerseits nicht die Treppe hoch bemühte. Es kamen Freunde und weniger geläufige Bekannte. Es kam die BankAngestellte, die im letzten Sommer dieses lustige gelb-schwarz-gestreifte Kleid getragen hatte, eben in diesem Kleid. Er begnete Hans-Peter, den er seit der StudienZeit nicht mehr gesehen hatte und der sich überhaupt nicht verändert hatte. K. erkannte auch Personen, die er nur einmal in einer StraßenBahn betrachtet hatte, wieder, als sie sich an ihm vorbeiBewegten.
Und das war ihm auch klar -: er überholte niemanden und niemand überholte ihn. Diejenigen, die er kannte, konnten ihm nicht antworten oder seinen Weg teilen. Also mußte er einen Unbekannten finden, der ihm antworten konnte oder sein WegGefährte bzw. seine WegGefährtin werden konnte. Mehrfach hatte K. versucht, die Treppe hinunter zu gehen, aber da kamen ihm nur diejenigen seiner Bekannten entgegen, die er zuvor bereits getroffen hatte, nur in umgekehrter ReihenFolge. Also mußte weiter hinauf. Zwischendurch rief er hinauf, aber er bekam keine Antwort.
Dann allerdings änderte sich etwas. K. fand ein HinweisSchild, das kaum zu entziffern war, ein verblichenes PappSchild, auf dem aber noch zu lesen war: „Restauration – nach oben“. K. fühlte plötzlich den Hunger, den er zuvor unwissentlich unterdrückt hatte. Er stieg StockWerk um StockWerk höher, ohne daß der Hinweis wiederholt wurde. Auch blieben jetzt die Begegnungen aus. Schließlich aber fand er die Restauration. Es handelte sich um eine Nische, die auch aus BackSteinen bestand und nur zwei Steine tief in BrustHöhe maß. Dort war wieder ein PappSchild, diesmal von jüngerem Datum, mit der Aufschrift „Restauration“. Daneben lagen einige Brote mit Belag und Wasser konnte aus einer MetallSchale, die in der Nische befestigt war, mit einem Becher, der angekettet war, geschöpft werden. Der Hunger ließ ihn die Speisen in Giovannis Restaurant vergessen. Aber er nahm sich Zeit für sein erstes Essen auf der Treppe.
Schließlich, es mochten Tage vergangen sein, traf er jemanden, den er noch nie gesehen hatte. Dieser stellte sich vor mit dem Namen Albert. Er wußte nicht zu sagen, wie lange er nun auf der Treppe war, allem Anschein nach jedoch wesentlich kürzer als K., der sich schon als Wissender empfand. Albert hatte sich ebenso wie K. plötzlich auf der Treppe wiederGefunden. Er war allerdings noch kaum weitergegangen, ein wenig aus Faulheit, wie er zugab, denn er war sehr korpulent. K. unterdrückte seine Müdigkeit in dem Gespräch, denn er war in den letzten Stunden ein gutes Stück treppauf gelaufen. Albert hatte sonst noch keine Begegnung gehabt. K. berichtete ihm, daß er laufend Bekannte und Freunde träfe, die sich aber nicht mit ihm unterhalten konnten. K. weckte das Interesse von Albert, der nun sofort losstürmte und nicht auf K. warten wollte. Nach ein oder zwei Minuten waren weder sein Keuchen noch seine Schritte mehr zu hören. K. hatte ihm noch einige Male hinterherGerufen, aber Albert hatte sich nicht mehr gemeldet.
Nachdem sich K. eine Weile ausgeruht hatte, ging er weiter treppauf. Es mochte eine halbe Stunde vergangen sein, da kam ihm Albert entgegen, aber er sah nun durch ihn hindurch. K. erkannte, daß er jetzt ein Bekannter war und ihn nicht sehen konnte. Wenn er nochmals jemanden träfe, so dürfte er sich unter keinen Umständen von ihm trennen.
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