Sunday, September 3, 2023

Kijimea Liquid

Kijimea hatte im Wochenspiegel eine ganzseitige Anzeige [1]. Der größte Teil ging für ein Reizdarm-Produkt drauf und dann kam der Anzeigenteil, der mich interessierte: „Flüssigkeitsmangel: was tun? Hoffnung für Betroffene kommt nun aus der Forschung“. Wenn die Begriffe Hoffnung und Forschung in einer Anzeige zusammenfallen, werde ich ganz kribbelig, denn dahinter verbirgt sich häufig Abzocke. Mal sehen, wie es sich bei Kijimea Liquid verhält.

Der Text beginnt mit einer Hinführung zum Problem Flüssigkeitsmangel (Dehydration). Dafür wird eine Arbeit aus dem Jahr 2005 [2] zitiert, wahrscheinlich soll es wissenschaftlich fundiert wirken, aber worüber geht der Artikel nun wirklich? Der Artikel geht über Hypertonizität, d.h. über
höhere Konzentration von gelösten Teilchen im Plasma als normal. Das hat etwas mit Flüssigkeitsmangel zu tun, aber diesen Zustand durch noch mehr gelöste Teilchen anstatt Wasser zu verbessern, macht einen doch nachdenklich.

Der zweite Artikel wird zu der Aussage „Mögliche Folgen: Vergesslichkeit, verminderte Konzentrationsfähigkeit und abnehmende körperliche Leistungsfähigkeit“ zitiert [3]. Die Studie berichtet über Defizite im Verständnis für eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr bei älteren Menschen und empfiehlt eine angemessene Aufklärung und Beachtung der Flüssigkeitszufuhr.

Kijimea Liquid wird nun als „einzigartiger Nährstoffkomplex aus Elektrolyten und Mikronährstoffen“ beworben. Wenn Sie sich einen Kaffee aufbrühen und etwas Zucker hinein geben, dann wird jede Tasse einzigartig. Und wenn Sie einen Teelöffel Muskatnuss hinzutun, dann ist der so einzigartig, daß man ihn wegschütten wird. Worauf will ich hinaus? Die Einzigartigkeit ist nichts Besonders, sondern wird durch die Beigabe verschiedener Stoffe, die überhaupt nichts mit der Flüssigkeitsaufnahme zu tun haben, erreicht und zwar deshalb, damit man das Produkt vermarkten kann.

Was ist denn drin in Kijimea Liquid? Ich wähle jetzt aus den Bestandteilen aus, aber hier ist die vollständige Liste [4]. Dextrose ist der Hauptbestandteil – kennen Sie vielleicht besser als Traubenzucker. Der Name Liquid läßt an eine Flüssigkeit denken; denn „Liquid“ stammt aus dem Lateinischen von „liquere“, was "fließen" oder "flüssig sein" bedeutet. Im Allgemeinen bezeichnet „Liquid“ eine Flüssigkeit. Die müssen Sie aber erst herstellen, denn sie bekommen Braustabletten. Die weiteren Inhaltstoffe sind Zitronensäure, „Natriumbicarbonat“ und „Kaliumhydrogencarbonat“. Zwischen Bicarbonat und Hydrogencarbonat besteht kein sachlicher Unterschied und es ist bezeichnend, daß man sich nicht auf eine Schreibweise, Hydrogencarbonat wäre sinnvoller, geeinigt hat.
Natriumhydrogencarbonat kennen Sie bestimmt als Natron, das als Treibmittel beim Backen  verwendet wird. Die chemische Formel für Natriumbicarbonat ist NaHCO3. Die chemische Formel für Kaliumhydrogencarbonat lautet KHCO3. Wenn die Brausetablette in Wasser aufgelöst wird, reagieren die Zitronensäure, Natriumhydrogencarbonat und Kaliumhydrogencarbonat miteinander und es entsteht Kohlendioxidgas (CO2), so daß es sprudelt. Im Endeffekt sind die Elektrolyte, die Sie sich teuer kaufen, für den Mechanismus Braustablette notwendig.

Nun wird der SGLT-1-Cotransporter eingeführt und ihm eine „geniale“ Eigenschaft angedichtet. Wenn man in der Werbung genial schreibt, dann kann sich nicht Gutes dahinter verbergen. Der SGLT-1-Cotransporter ermöglicht den Transport von Glukose und Natrium gleichzeitig in die Zellen des Dünndarms, wodurch die Glukose effizient in den Blutkreislauf gelangen kann. Er ist nicht direkt an der Aufnahme von Wasser beteiligt. Der Werbetext bezieht sich auf indirekte Zusammenhänge zwischen der Glukoseaufnahme und der Wasseraufnahme, da die Aufnahme von Glukose durch den SGLT-1-Cotransporter osmotische Kräfte erzeugen kann, die zur Wasseraufnahme beitragen können. Das kann aber bei einer Hypertonizität nicht sinnvoll sein, denn da wird Wasser benötigt. Es gibt kein zugelassenes Medikament, das auf den SGLT-1-Cotransporter wirkt. Es gibt jedoch mehrere selektive Natrium-Glukose-Kotransporter-2-Inhibitoren [5], die zur Behandlung von Typ-2-Diabetes zugelassen sind.

1 kg Kijimea Liquid kostet zwischen 150-175€ nach meinen aktuellen (03.09.2023) Recherchen. 1 kg Traubenzucker ist schon für 3 € zu haben. Brauche ich beides nicht. Wenn ich dehydriert bin, greife ich zu Apfelschorle oder verdünntem Orangensaft. Aber wenn Sie unbedingt Kijimea Liquid kaufen wollen – nur zu! Nicht jedem ist zu helfen!


Links und Anmerkungen:
[1] https://wi-paper.de/show/5b3591d44e1d/epaper S. 14
[2] Stookey JD. High prevalence of plasma hypertonicity among community-dwelling older adults: results from NHANES III. J Am Diet Assoc. 2005 Aug;105(8):1231-9. doi: 10.1016/j.jada.2005.05.003. PMID: 16182639. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/16182639/  
[Übersetzung:] „Ergebnisse: Bei 40% der Stichprobe wurde eine leichte und bei 20% eine offensichtliche Hypertonizität beobachtet. Hypertonizität war positiv mit höherem Alter, hispanischer und afroamerikanischer Herkunft, beeinträchtigter Glukosetoleranz, Diabetes und Hämokonzentration assoziiert und invers mit Parametern der bioelektrischen Impedanzanalyse. Hypertonizität war bei jüngeren Erwachsenen mit einer höheren Gesamtwasseraufnahme verbunden, nahm jedoch bei älteren Erwachsenen ab. Schlussfolgerungen: Kliniker und Forscher sollten auf Hypertonizität und ihre Ursachen bei älteren Erwachsenen achten.“ Mit Hypertonizität wird ein Zustand beschrieben, bei dem die Konzentration von gelösten Teilchen in einer Lösung oder im Körper höher ist als normal. Es ist also etwas anderes als Buthochdruck, der oft als Hypertonie abgekürzt wird.
[3] Picetti D, Foster S, Pangle AK, Schrader A, George M, Wei JY, Azhar G. Hydration health literacy in the elderly. Nutr Healthy Aging. 2017 Dec 7;4(3):227-237. doi: 10.3233/NHA-170026. PMID: 29276792; PMCID: PMC5734130. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/29276792/
[Übersetzung:] „Schlussfolgerungen: Insgesamt hat unsere Studie gezeigt, daß es bei älteren Menschen erhebliche Defizite im Verständnis für eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr gibt. Eine angemessene Aufklärung und Beachtung der Flüssigkeitszufuhr können die Lebensqualität verbessern, Krankenhausaufenthalte reduzieren und die mit Flüssigkeitsmangel verbundenen Krankheitslast und Sterblichkeit verringern.“
[4] „Dextrose, Säuerungsmittel: Citronensäure; Inulin, Natriumbicarbonat, Säureregulator: Kaliumhydrogencarbonat; Vitamin C, Trennmittel: Polyethylenglycol; Aroma, Süßungsmittel: Sucralose; Niacin, Vitamin B12, Pantothensäure, Vitamin B6, B. bifidum HI-LA2810, Maisstärke. Eine Portion (2 Brausetabletten) Kijimea® Liquid enthält den hitzeinaktivierten Bakterienstamm B. bifi dum LA2810 mit 3 Millionen Bakterien.“ https://www.amazon.de/Kijimea%C2%AE-Liquid-Fl%C3%BCssigkeitsaufnahme-Nahrungserg%C3%A4nzungsmittel-Kohlenhydrat-Elektrolyt-L%C3%B6sung/dp/B0C5Y3KMMM/ref=sr_1_5?adgrpid=73038836804&hvadid=606750957971&hvdev=c&hvlocphy=9044700&hvnetw=g&hvqmt=e&hvrand=12816940524856517321&hvtargid=kwd-2081526621785&hydadcr=3721_2331472&keywords=kijimea+liquid&qid=1693759441&sr=8-5
[5] Und wenn Ihnen jetzt der Kopf raucht wegen all der Transporter, dann können Sie sich bei einem der Transporter-Filme mit Jason Statham
entspannen – der erste ist immer noch der beste.

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