Michael Braun hat den LYRIK-Taschenkalender 2015 herausgegeben und zusammen mit Henning Ziebritzki alle am Taschenkalender beteiligten Autoren und Kommentatoren mit je einem Gedicht vorgestellt. Er ist mir jetzt wieder in die Hände gefallen. Auch dieser Kalender lädt ein zum Annotieren und Assoziieren, zum Erstellen von GegenEntwürfen. Vielleicht so auch ein wenig wie Daniel Spoerris: An Anecdoted Topography of Chance (1966 Something Else Press, New York / Cologne). Diese Annotationen stammen aus den Jahren 2014/2015 und 2020/2021.
02. KW
Rolf Dieter Brinkmann: Improvisation 3 (u.a. nach Han Shan)
Quark!
Ein Lied zu singen
Nicht in der Absicht
Ein Lied zu singen
Schnee auf dem Berg
Und die TempelGlocke ruft
Weiter sitzen
Mit dem Finger ins Wasser geschrieben
Der Berg bleibt Berg
Immerhin gibt es bereits Tattoos mit weißer Farbe. Oder BambusBilder mit roter Tusche.
Schnee
in den
Schnee
Dein
AbBild
Malen
Mit
Kaltem
Finger
Und das
Bild
VerWehen lassen
Im
SchneeGestöber
山 als Bild -: eigentlich sind es drei Berge. Die Trinität. Oder eine andere Assoziation -: Trini Lopez. Ja, und natürlich Improvisation 3.
Nach Han Shan (寒山) oder der Zen-Lehre (禪) – Leere würde mir jetzt besser gefallen – wäre das erste Terzett falsch, denn es wäre ein Lied zu singen, ohne die Absicht zu haben oder auch ohne nicht die Absicht zu haben, ein Lied zu singen.
人問寒山道,寒山路不通。
Menschen fragen nach dem Weg zu Han Shan, aber keine Straße führt dorthin.
02. KW
Kommentar: Sylvia Geist
Die Mathematik hatte verboten, 0 durch 0 zu teilen, da der bloße Akt die 0 zur 1 werden läßt.
JahreLang vor dem schneeBedeckten Berg -: der Berg ändert sich, der Sitzende ändert sich.
Berg, Wand, Mauer -: sitzen, sinnen; ohne die Leere zu erWarten, wird sich die Leere einStellen.
Vor dem Berg sitzend
Oder vor der Wand sitzend
Berg um Berg um Berg
Jeder PinselStrich
Mehr Weiß auf weißem Papier
Das weißeste Weiß
oder -:
Jeder PinselStrich
Mehr Weiß auf weißem Papier
Der Weiseste weiß
„Ermutigung zur Vergeblichkeit“ - da ist ist wunderSchön gesagt, denn es gibt den Grund des Lebens an. Ein Stern im Andromeda-Nebel braucht solche Ermutigung nicht; uns aber tut sie gut.
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