Gestern hielt ich einen Vortrag über die ankylosierende
Spondylitis (M. Bechterew) und im Diskussionsteil kam wieder einmal die Frage
nach dem Radonstollen – jemand hatte in Bad Gastein Erfahrungen gesammelt und
wollte diese weitergeben, da die Medikamente doch so gefährlich sind.
Radonstollen oder Heilstollen werden besonders in
Österreich und Deutschland immer noch betrieben. Sie stammen aus einer Zeit, in
denen die Medizin den entzündlich-rheumatischen Erkrankungen nicht viel
entgegenzusetzen hatten und solche Erkrankungen häufig in den Rollstuhl
führten. Seit 1912 werden in Bad Kreuznach Patienten mit Radon behandelt. Dr.
Hans Jöckel, der Nestor der Radonstollen-Therapie, vergleicht die radioaktive
Belastung im Stollen mit der eines Aufenthaltes im Gebirge. Also warum nicht
gleich in Gebirge fahren? Ist diese Therapieform noch zeitgemäß?
Und wie gefährlich könnte sie sein? Die
Radonstollen-Therapie ist keine anerkannte Methode und wird auch nicht weltweit
eingesetzt. Das Bundesamt für Strahlenschutz weist auf Risiken hin, die in
bestimmten Häusern für eine Radon Exposition bestehen. Nach dem Rauchen birgt
Radon das zweithöchste Risiko für die Entwicklung eines Lungenkrebses.
Osteoporose, Fibromyalgie, degenerative und
entzündlich-rheumatische Erkrankungen des Bewegungsapparates, ja auch Gicht,
alles soll besser werden; schlecht heilende Wunden, Sklerodermie, Heuschnupfen,
Asthma usw. ebenso. Das zeigt, wie unspezifisch die Therapie mit Radon ist. Und
- ist es überhaupt das Radon, das da wirkt?
Man geht davon aus, dass die Radioaktivität eine
Wirksamkeit entfalten würde. Das ist aber ein Glaube an Magie, denn sonst müssten
Tschernobyl oder Fukushima überlaufen sein. Und wenn es der Stollen an sich
ist, warum dann nicht Einfahrten in stillgelegte Salzbergwerke oder
Steinkohlebergwerke im Ruhrgebiet?
An folgender Veröffentlichung kann man das gut erklären,
was Stephen Bennett als "Quack Science" bezeichnet. Moder, A., Hufnagl, C., Lind-Albrecht, G.,
Hitzl, W., Hartl, A., Jakab, M. and Ritter, M. (2010) ‘Effect of combined
Low-Dose Radon- and Hyperthermia Treatment (LDRnHT) of patients with ankylosing
spondylitis on serum levels of cytokines and bone metabolism markers: a pilot
study’, Int. J. Low Radiation, Vol. 7, No. 6, pp.423–435.
In der Zusammenfassung (Abstract) findet sich die
folgende Passage:
"We
therefore performed a study on 33 AS patients to investigate the effect of
LDRnHT on serum levels of bone metabolism markers and cytokines involved in
chronic inflammatory disorders. It is shown that TGF-β1, TNF-α, IL-6, OPG and RANKL levels significantly
increased after LDRnHT and that the ratio of OPG over RANKL is significantly
elevated."
Da wurden also Zytokine (bestimmte Botenstoffe) gemessen
und die hatten sich verändert. Sehen wir einmal über die geringe Zahl von
Patienten hinweg. Die Studie hat keine Kontrollgruppe. Sämtliche Veränderungen
werden auf den Heilstollen zurückgeführt und nicht auf die z.B. gleichzeitig
durchgeführt Rehabilitationsbehandlung. Es hätte sich leicht eine
Kontrollgruppe finden lassen. Die Ergebnisse sind wohlgemerkt korrekt erhoben
worden, aber sie sagen so überhaupt nichts über die Behandlung im Heilstollen
aus.
Eine interessante Beobachtung ist die Zahl sogenannter
Pilotstudien, denen dann keine weiteren Studien gefolgt sind. In einer Studie
von A. Franke et al. wurde sieben Jahre lang gescreent, also ca. 25 Patienten
pro Jahr (DOI 10.1007/s00296-006-293-6). Aber vielleicht müssen wir nur
genügend lange warten.
Anlässlich der "Jahrestagung der Österreichischen
Gesellschaft für Rheumatologie und Rehabilitation" am 24. und 25. November
2006 in Wien wurde eine Pilotstudie zu "Fibromyalgie – Schmerz und
Erschöpfung / Verlauf nach Gasteiner Heilstollentherapie im Rahmen der
Kurbehandlung" vorgestellt. 21 Patienten wurden im Rahmen eines
multimodalen Therapiekonzepts untersucht, das neben den Stolleneinfahrten auch
aktivierende Elemente und Schulungsmaßnahmen beinhalteten. "Der Rücklauf
auf die Nachbefragung bei T3 (4 Monate nach der Kur) betrug 76 % (16 von 21
Patienten)." Zu diesem Zeitpunkt erfasst man einen Effekt, den ich den
Kegeltoureffekt nenne. Da ist auf jeden Fall eine Besserung festzustellen.
Die Exposition einer Radonstollenkur wurde mit 1,8 mSv
angegeben, wobei die mittlere natürliche Strahlenbelastung pro Jahr 2,4 mSv
beträgt [G. Lind-Albrecht und S. Rotheimer-Hering in Journal für
Mineralstoffwechsel 2005; 12 (4)]; das sind immerhin 75% der jährlichen
natürlichen Exposition, die noch dazukommt. Nach Berechnungen der Betreiber
besteht kein erhöhtes Risiko etwa für die Entwicklung von Krebs. Trotzdem wird
vor Radon gewarnt.
Warum nicht in den Keller gehen, dort seine Radon-Dosis
abbekommen und man ist geheilt? Nein! Ich halte die Therapie im Radonstollen
für überholt. Es sind sicherlich Effekte vorhanden, die aber nicht unbedingt
dem Radon und seiner Radioaktivität zuzuordnen sind. Deshalb sollte zugunsten
von effektiveren Therapien, die mittlerweile existieren, und zur Reduktion der
Strahlenexposition darauf verzichtet werden. Ich rate von der
Heilstollentherapie ab.
Zur Gefahr von Radon:
Umgearbeitet von:
PS. Ich erinnerte mich gerade, dass wir hier im
Rheinischen Rheuma Zentrum noch sehr alte Literatur besitzen. In der
Zeitschrift für Rheumaforschung (übrigens Ex libris Dr. Fritz Hartmann) wurde
im Band 20 (1961) auf S. 319 ein Artikel von R. Günther aus Bad Gastein
zitiert: Klinische Erfahrungen mit Radonthermen. Er berichtete über die
Beobachtungen an 1500 Patienten: „Eine spezifische Radonwirkung konnte an dem
genannten Krankengut nicht sicher nachgewiesen werden, da die verschiedenen am
Kurort einwirkenden Einflüsse zu zahlreich sind.“ Berichtet von G.A. Schoger
(Bad Münster am Stein)
.