Friday, February 16, 2024

Paulus und Barnabas in Lystra

 




Gestern trafen wir uns zu einem Bibelkurs, der den Text der Ökumenischen Bibelwoche 2022/2023 „Kirche träumen“ [1] zur Grundlage hat. Die Bibel kann man ja auch alleine lesen, mag man nun einwenden. Stimmt! Andererseits lebt das gemeinsame Lesen von den Fragen der Teilnehmer und der Diskussion und gerade diese Diskussionen haben mich dazu angeregt, nochmals den Text durchzugehen und mit neuen Ideen zu diskutieren.

Der Text steht im 14. Kapitel der Apostelgeschichte und beschreibt die Geschehnisse und den Besuch der Apostel die Paulus und Barnabas in der Stadt Lystra. Die Texte unter [1] zitieren meistens die Übersetzung der Neuen Genfer Bibel, aber ich zitiere gerne aus der Lutherbibel 2017 [2]. Der Text gliedert sich in drei Teile. Zu Beginn steht eine Wunderheilung. In Lystra gibt es einen von Geburt aus gelähmten Mann, der noch nie gegangen war. Als Paulus das Evangelium predigt und sieht, daß dieser Mann Vertrauen zu Jesus gefaßt hat, befiehlt er ihm.: „Steh auf!“ Das macht der Mann und kann fortan gehen. Und schon geht der Text in einem zweiten Teil weiter. Die Menschen von Lystra verwundern sich und sprechen in der lykaonischen Sprache, daß Barnabas und Paulus Götter sein müßten und nennen Barnabas Zeus und Paulus Hermes; weiterhin meinen sie, diesen Göttern müssten sie Opfer bringen. Stiere für das Opfer werden zum Heiligtum vor der Stadt geführt. Die Apostel verstehen dies zunächst nicht, aber als sie darauf hingewiesen werden, zerreißen sie ihre Kleidung. Und sie sagen, das so nicht gehe, denn sie seien auch nur Menschen. Sie erklären – nun wieder Streng nach der Genesis des Alten Testaments –, daß Gott den Himmel und die Erde geschaffen hat – und interessanterweise wird hier auch das Meer erwähnt. Die Menschen sollten nicht mehr den alten Göttern dienen sollten, sondern den lebendigen Gott empfangen. Die aufgebrachte Menge läßt sich dadurch beruhigen. Und damit geht die Perikope in einen dritten Teil über. Es kommen Juden aus Antiochia und Ikonion und wiegeln die Menge auf, so daß Paulus gesteinigt wird. Die Menge nimmt an, daß Paulus tot ist und schließt ihn vor die Stadt. Paulus wacht jedoch wieder auf und geht im Kreise seiner Jünger wieder zurück in die Stadt. Die Apostel bleiben heute über Nacht und gehen am nächsten Tag nach Derbe.

Wenn wir uns nun einmal das Bild anschauen, das ich aus dem Atlas antiquus [3] kopiert habe.  Können wir die Ortschaften einmal näher anschauen, die unsere aktuelle Bibelstelle von Bedeutung sind. Wir können die Stadt Seleucia sehen, die nahe der Stadt Antiochia liegt. Und von startete die erste Missionsreise des Paulus; Antiochia war der Ort, in dem man erstmals den Begriff Christen verwendete. Und in Silicien sehen wir eine Hafenstadt, die ebenfalls Sileucia heißt, aber die interessiert uns jetzt überhaupt nicht. Uns interessiert erst einmal, daß es einen Landstrich mit dem Namen Lycia gibt. Nordöstlich davon liegt Pamphylien und darüber Pisidien. Und im Norden von Pisidien gibt es noch ein Antiochia, das aber auch von Lukas im 13. Kapitel so benannt wird [4]. Nicht unbeachtet möchte ich lassen, daß es auch dort ein Seleucia gibt, nämlich südwestlich von Antiochia. Aber auch dieses Seleucia interessiert nicht uns nicht weiter. Paulus und Barnabas gingen zunächst nach Ikonion gegangen und von dort nach Lystra. Ikonion und Lystra liegen in Lykaonien und auch die Stadt Derbe. Die Aufwiegler kamen als aus dem Antiochia in Pisidien, das aber auch etwa 160 km entfernt liegt [5].

Kommen wir nach diesem geografischen Exkurs zu einer linguistischen Abschweifung. Welche Sprachen haben Paulus und Lukas gesprochen? Paulus ist mit dem Griechischen (Koiné vom  Altgriechischen ἡ κοινὴ διάλεκτος, übersetzt der allgemeine Dialekt) aufgewachsen und hat als  Pharisäer Hebräisch gelernt [6], aber ob er Aramäisch gesprochen hat, ist ungewiss. Vielleicht hat er noch zusätzlich etwas Latein verstanden beziehungsweise gesprochen. Für Lukas Können wir annehmen, dass er nicht nur Griechisch sprach, sondern auch ein sehr gutes Griechisch sprach, wie man aus seinen Texten ableiten kann. Welche anderen Sprachen er beherrschte, bleibt ebenso ungewiss. Hat er Latein gesprochen oder Ovid z.B. nur in der in einer griechischen Übersetzung gekannt? Das ist unklar, aber wir werden diesem Problem noch einmal begegnen. In der Gegend Lykaonien wird, wie Lukas ausführt, Lykaonisch gesprochen. Aber was für eine Sprache ist Lykaonisch? Ist es verwandt mit dem Lykischen, das in der Gegend von Lykien gesprochen wurde?  Forschen wir hier einmal kurz nach; und mit Forschen meine ich, was können wir auf zum Beispiel über Wikipedia oder andere Internetquellen erfahren.

Lykisch [7] war eine indogermanische Sprache und stand verwandtschaftlich dem Luwischen am nächsten. Wahrscheinlich ist sie schon im 2. Jahrhundert v. Chr. ausgestorben. Man kannte die Sprache auch über hittitische Texte. Das Luwische [8] könnte Ausgangssprache für das Lykische, das Pisidische und das Sidetische sein, die in der Gegend um Lykaonien gesprochen wurden. Vielleicht ging auch das Lykaonische aus dem Luwischen hervor. Dies aber ist sehr spekulativ.
Wenn ich mich lakonisch zum Lykaonischen äußere, dann liegt es daran, daß die Sprache unklassifiziert ist. Ich fand zu Lykaonisch aber einen englischen Wikipedia-Artikel [9]. Man ist sich relativ sicher, daß die Sprache noch im 1. Jahrhundert n. Chr. existierte.

In der Diskussion konnten wir uns dem Problem nähern. Die damalige Bildungsschicht, aber weitere Schichten, hatten in der Antike die Notwendigkeit polyglott zu sein. Ich hatte so etwas Ähnliches in Taiwan erlebt und darüber schon einmal vor einem Jahr berichtet [10]. Ich war Taipei zu Gast. Die Mutter meiner Freundin hatte gerade zwei Freundinnen zu Besuch und die drei Frauen sprachen durcheinander Taiwanesisch, ein südchinesischer Dialekt/Sprache, Hochchinesisch (bzw.  Mandarin) und Japanisch. Nur, um auf die Antike zurückzukommen, weder Barnabas noch Paulus sprachen Lykaonisch.

Die Wunder geschehen durch Gott und nicht durch die Menschen. Simon der Magier war jemand, der sich den Heiligen Geist kaufen wollte, um Wunder zu vollbringen [12]. Gott straft z.B. Aaron und Mose ab, die in der Geschichte vom Haderwasser das Wunder des Wasser, das aus einem Felsen entspringt, dies nicht Gott zuschreiben [13]. Deshalb zerrissen sich Barnabas und Paulus das Obergewand – eine Geste der Trauer, des Entsetzen – vor der Volksmenge, die sie als Götter verherrlichen wollte. Wie aber ist die Volksmenge zu verstehen? Wie setzt sie sich zusammen? Sie setzt sich aus Heiden, Juden und Konvertiten zusammen. Als sich die Kunde von der Wunderheilung des Gelähmten wie ein Lauffeuer verbreitete, verfielen die Lykaonier wieder in ihre Sprache und sagten zu sich, daß die beiden Wundertäter Götter sein müßten und nahmen an, das Barnabas Zeus und Paulus Hermes wären. Im Arbeitsbuch wird dies auf einen Abschnitt in Ovids Metamorphosen zurückgeführt [14]. Ich las die Stelle im Internet nach [15]. Da ich das große Latinum habe, war es für mich umso erschreckender, wie schwierig dieser Text ist und ich war froh, daß ich parallel die Übersetzung lesen konnte. Trotzdem konnte ich mich nicht mit der Aussage im Arbeitsbuch anfreunden. Ich fand sie zu weit hergeholt. Ich fand aber in meiner Bibliothek eine Ovid-Ausgabe auf Latein (für den Schulgebrauch), die wir aber in der Schule nicht benutzt hatten [16]. Ich war völlig überrascht, den Band zu besitzen. Dort wird neben dem bereits erwähnten Text auch die Verwandlung lykischer Bauer in Frösche beschrieben. Ovid hatte Kleinasien und insbesondere die Gegend, die für uns von Interesse ist, besucht. Deshalb finde ich es nicht mehr von so weit hergeholt. Wahrscheinlich ist die Argumentation im Arbeitsbuch doch stichhaltig. Erleben wir hiermit die Wendung von Saulus zu Paulus? Nein, denn Paulus hatte immer schon beide Namen: den jüdischen Saulus und den römischen Paulus.

Kommen wir noch einmal auf den Text zurück [17]: „Aber dann kamen Juden aus Antiochia und Ikonion und redeten so lange auf die Bevölkerung von Lystra ein, bis sie sie auf ihre Seite gezogen hatten.“ Ist das antisemitisch? Ein klares Nein! Aber diese und andere Stellen sind antisemitisch benutzt worden [18]. Man kann sie vielleicht als antipharisäisch oder antijudäisch einordnen. Was mag den Stoßtrupp aus Ikonion und Antiochia motiviert haben? vielleicht die Verhinderung einer Spaltung oder auch die Wahrung der Deutungshoheit der Tora.

In der Erzählung des Lukas wird Pauous gesteinigt. Danach ist man normalerweise tot. Aber wer im Hollywood-Film aufgepaßt hat, der weiß, daß das so nicht gilt. Und wahrscheinlich haben wir Vorstellungen von der Steinigung, wie man sie in Leben des Brian [19] filmisch umgesetzt hat. Ich habe in der PAttloch foto-Bibel gelesen, daß der Verurteilte an Händen und Füßen gefesselt einen Abhang von mindestens vier Metern Höhe geworfen wurde, daß dann ein Felsbrocken auf ihn geworfen wurde und dann erst Steine geworfen wurden. Als Palästina unter römischer Herrschaft stand, durften jedoch die Juden keine Hinrichtungen durchführen, so daß etwa die Steinigung des Stephanus wie auch die Steinigung des Paulus eher Akte einer Lynchjustiz darstellen [20]. Die Steinigung des Stephanus hat Lukas viel umfangreicher geschildert, aber hier hat er auch den ersten Märtyrer dargestellt [21]. Stephanus wie auch Jesus Christus haben ihrer Mördern kurz vor dem Tod verziehen.

Was aber macht Pualus, als er nach der Steinigung erwacht? Er geht zurück in die Stadt! Man hätte erwartet, daß er sich vom Ort der Steinigung entfernt. Nicht so der Apostel. Der geht in die Stadt, übernachtet dort und geht erst am nächsten Tag nach Derbe, nur um auf dem Rückkweg wieder nach Lystra zu kommen, wie auch auf der zweiten und dritten Missionsreise. Chapeau, der Mann hatte Chuzpe!

Es folgt noch ein Vergleichstext, den ich schon im Evangelium als schwierig erachtete. Jesus zitiert zwei Stellen aus den Königsbüchern. Einmal geht es um den Besuch des Propheten Elia bei einer Witwe in Sarepta [22], dabei kommt es zu einem Speisenwunder (Mehl und Öl gehen nicht aus) und der einzige Sohn der Witwe wird vom Tod gerettet. Der Vers 21a wirkt aktuell befremdlich: „Und er [der Prophet] legte sich auf das Kind drei Mal“. Die zweite Textstelle steht im 2. Buch der Könige und ist betitel mit: „Elisa heilt den aramäischen Feldhauptmann Naaman und bestraft den Gehasi“ [23]. Es geht in beiden Stellen und Heilung außerhalb des Volkes der Israeliten. Jesus sollte einen Abhang hinabgestürzt werden und ging aber durch Menge hindurch.

In die Bibelwoche wurde der Text eingeführt als „ohne falschen Anspruch“ - ich meine, daß dies nur eine Facette des sehr anspruchsvollen Textes ist.





Links und Anmerkungen:
[1] Wolfgang Baur: Ökumenische Bibelwoche 2022/2023. Kirche träumen. Teilnehmerheft. Zugänge zur Apostelgeschichte. Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn 2022. ISBN: 978-3-7615-6885-9. {Teilnehmerheft}
Und:
Markus Lau und Kerstin Offermann: Ökumenische Bibelwoche 2022/2023. Kirche träumen. Arbeitsbuch. Exegesen, Bibelarbeiten und Anregungen zur Apostelgeschichte. Texte zur Bibel 38.Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn 2022. ISBN: 978-3-7615-6884-2. {Arbeitsbuch}
[2] https://www.bibleserver.com/LUT/Apostelgeschichte14 Apg 14,8-20
[3] Heinrich Kiepert:Atlas antiquus. Zwölf Karten zur alten Geschichte. Verlag von Dietrich Reimer, Berlin 1892. Tab. IV. Asia Citerior. Ausschnitt.
[4] „Sie aber zogen von Perge weiter und kamen nach Antiochia in Pisidien und gingen am Sabbat in die Synagoge und setzten sich.“ https://www.bibleserver.com/LUT/Apostelgeschichte13 Apg 13,14
[5] Die Bahnstrecke Hürth-Kalscheuren über Kall und Gerolstein nach Trier-Ehrang ist übrigens auch 160 km lang.
[6] Paulus hat seine Ausbildung in Jerusalem erhalten und nach Lukas bei Gamaliel. Apg 22,3 und Apg 26,4
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Lykische_Sprache oder deutlich umfangreicher: https://en.wikipedia.org/wiki/Lycian_language
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Luwische_Sprache  
[9] https://en.wikipedia.org/wiki/Lycaonian_language
[10] Weltgebetstag 2023 –  https://rheumatologe.blogspot.com/2023/03/weltgebetstag-2023.html
[11] Das war bereits Thema und findet sich im Teilnemerheft auf S. 13-14, dahinter steht Apg 8,4-25.
[13] „Und Mose erhob seine Hand und schlug den Felsen mit dem Stab zweimal. Da kam viel Wasser heraus, sodass die Gemeinde trinken konnte und ihr Vieh. 12 Der HERR aber sprach zu Mose und Aaron: Weil ihr nicht an mich geglaubt habt und mich nicht geheiligt habt vor den Israeliten, darum sollt ihr diese Gemeinde nicht ins Land bringen, das ich ihnen geben werde. 13 Das ist das Haderwasser, wo die Israeliten mit dem HERRN haderten und er sich heilig an ihnen erwies.“ https://www.bibleserver.com/LUT/4.Mose20 4 Mose 20,11-13
[14] „Lukas spielt an dieser Stelle auf eine in Ovids Metamorphosen (VIII 618–724) erzählte Tradition vom Besuch des Zeus und des Hermes in einer phrygischen Stadt an, die das Götterpaar aber nicht aufnimmt; die Götter finden sodann beim alten Ehepaar Philemon und Baukis offene Türen und belohnen die zwei für ihre Gastfreundschaft, während die ungastliche Stadt bestraft wird – ein Schicksal, das die Leute in Lystra durch ihre Verehrung der vermeintlichen Götter vermeiden wollen.“ Arbeitsbuch, S. 129.
[15] Ovids Metamorphosen (VIII 618–724) auf Deutsch und Latein –  https://www.gottwein.de/Lat/ov/ovmet08611.php  
[16] Ovidius: Auswahl aus den Metamorphosen, Fasten und Tristien. Herausgegeben von Dr. Ernst Bernert. Ferdinand Schöningh, Paderborn o.J. ISBN: 3-506-10704-6.
[17] Teilnehmerheft S. 44.
[18] Mt 27, 25 oder Joh 8,44 oder 1Thess 2,15.
[19] „Das Leben des Brian (Originaltitel: Monty Python's Life of Brian) ist eine Komödie der britischen Komikergruppe Monty Python aus dem Jahr 1979.“ Trifft allerdings nicht jeden Humor. https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Leben_des_Brian  
[20] Aus dem Kopf zitiert, denn das betreffende Buch ist in Köln. Ich werde die zitierte Stelle noch einpflegen. Nun kann ich ergänzen: Pattloch Foto-Bibel. Live-Szenen aus dem Buch der Bücher. Pattloch-Verlag, Augsburg 1998. ISBN: 3-629-01046-6. S. 225. Ich gebe zu, daß es sich nicht um die verläßlichste Quelle handelt, aber eine andere Quelle fand ich im Buch nicht angegeben.
[21] https://www.bibleserver.com/LUT/Apostelgeschichte7 Apg 7,54-60
[22] https://www.bibleserver.com/LUT/1.K%C3%B6nige17 1 Kön 17,8-24
[23] https://www.bibleserver.com/LUT/2.K%C3%B6nige5 2 Kön 5,1-27

 

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