Monday, February 26, 2024

Das WinzHaus – Zen und Walden


Kapitel 8 – Zen und Walden

Eigentlich müßte Walden der Titel für dieses Kapitel sein, aber es ist doch mit Zen verbunden. Ich könnte jetzt auf die meditativen Vorzüge eines WinzHauses in der Natur zu sprechen kommen, aber dafür ist noch nicht der richtige Zeitpunkt.

Ich las das Buch Zen and the Art of Motorcycle Maintenance von Robert M. Pirsig [2] auf einer Reise durch Europa ca. 1976/1977. Ich hatte vorher bereits Eugen Herrigels Buch Zen in der Kunst des Bogenschießens [3] gelesen. Damals war ich übrigens noch der Überzeugung, das hätte etwas mit Zen zu tun. Es gab dann viele Bücher mit Zen in der Kunst von irgendetwas, ja ich dachte sogar daran, daß Zen in der Kunst von Jeans flicken ein guter Titel für irgendeine esoterische Absonderlichkeit wäre. Dieses Zen in der Kunst von … ist auf dem Boden eines Missverständnisses entstanden, denn Eugen Herrigel sprach kein Wort Japanisch, als er von einem japanischen Bogenmeister unterrichtet wurde. Herrigel nahm an, daß es sich um einen Zen-Meister handeln würde, was das war Awa Kenzo (1880-1939) nicht, er war Kyūdō-Meister [4]. Awa Kenzo wollte eine ganzheitliche Veränderung des Bogenschützen im Sinne einer religiösen Erleuchtung erreichen. Er nannte seine Lehre Daishadōkyō (
大射道教) – Große Lehre vom Weg des Schießens. Das erklärt das Missverständnis. In der Folge wurden im Westen alle möglichen Künste mit Zen verbunden. Die Frau von Eugen Herrigel, Gusty L. Herrigel, fand dann Zen in der Kunst des Blumenweges. Ich weiß allerdings nicht, ob es bei ihr ein „es blumt“ gibt, denn bei Herrigel gibt es ein „es schießt“. Wie verrückt dies ist, zeigt Inken Prohl in ihrem Buch Zen für Dummies [5] viel besser auf, als das an dieser Stelle erfolgen könnte. Um aus der Abschweifung zurück zu finden -: durch Pirsigs Buch habe ich damals Henry David Thoreau und Walden, or Life in the Woods entdeckt – und damit sind wir wieder in der Nähe des WinzHauses.

Thoreau baute sein WinzHaus am Walden Pond [6]. Der See ist ein Überbleibsel der Eiszeit vor 10-12.000 Jahren und heute ein Schutzgebiet. Damals (1840iger Jahre) war er noch Wildnis. Thoreau baute sich diese Hütte, von der eine Kopie aufgestellt wurde und lebte über zwei Jahre dort und beschrieb dies in dem Buch Walden, or Life in the Woods, das ich in in dem Buch The Portable Thoreau gelesen hatte [7]; es wurde in diesen Sammelband vollständig aufgenommen. Henry David Thoreau wurde 1817 in Concord, Massachusetts, geboren [8]; Walden Pond liegt etwa 3 km von der Stadtmitte entfernt. Und Thoreau starb auch in Concord mit nur 44 Jahren. Er führte ab 1837 Tagebuch und das bis zu seinem Tod. Von ihm stammt der Satz: „A man is rich in proportion to the number of things which he can afford to let alone.“ [9] Über Ralph Waldo Emerson [10] wurde Thoreau in die transzendentalistische Bewegung eingeführt, für die das Zurück zur Natur ein wichtiger Bestandteil ihrer Lebensanschauung war, um es überstürzt gekürzt auszudrücken. Das Grundstück für die Hütte von Thoreau gehörte Emerson. Thoreau lebte dort zwei Jahre und zwei Monate. Die Hütte hatte er selbst errichtet. Er lebte von landwirtschaftlichen Produkten, also einer Gartenwirtschaft. Ich dachte, ich hätte früher in Waldon gelesen: „Nine bean-rows will I have there, a hive for the honey-bee,“ [11], aber das stimmt nicht. Thoreau ließ sich von der Natur inspirieren und zog sich dorthin vor den Torheiten der Gesellschaft zurück. Kurz vor einem Ort reicht meistens aus; es war bei den Tang-Poeten ähnlich. In seinem Experiment kam Thoreau zu dem Ergebis, daß sechs Wochen Arbeit im Jahr ausreichten, um für den Lebensunterhalt zu sorgen.

Mit „Wohnst du noch oder lebst du schon?“ warb einmal IKEA. Thoreau lebte am Walden Pond und wohnte in der Hütte dort. Sie war klein, bescheiden und karg. Es hatte einen Kamin, einen Schreibtisch mit Stuhl [12] und ein Bett; so ähnlich ist auch die Hermit's Cabin augestattet, von der noch die Rede sein wird. Die ursprüngliche Hütte existiert nicht mehr, aber es wurde eine Nachbildung gebaut, die man besichtigen kann [13]. Die Hütte hatte eine Fläche von ca. 14 m². Das ist nicht viel, aber für ein WinzHaus bereits ausreichend.

Was war das faszinierende an Walden noch vor der März-Revolution von 1848? Walden lag etwas abseits von der damaligen Zivilisation, aber doch nah genug für mögliche Versorgung und Besuche. Die Faszination reicht bis in die Jetztzeit [14]. Henry David Thoreau beschreibt die Natur und die Geräusche der Natur. Ich meine, daß er Momente erlebte, den Mihály Csíkszentmihályi mit Flow beschreibt. Oder vielleicht auch das, was bei vielen Menschen eine Gänsehaut auslöst wie bestimmte Musikstücke, Literatur, ein Buchenwald im Frühjahr, der Nebel in seiner Stille über einem See [15], …

Für all dies sind weder Walden noch WinzHaus notwendig, aber sie erleichtern es doch.



Links und Anmerkungen:
[1] Hinweise auf das Projekt finden sich in der Einleitung: https://rheumatologe.blogspot.com/2024/01/das-winzhaus-einleitung.html
[2] Robert M. Pirsig: Zen and the Art of Motorcycle Maintenance: An Inquiry into Values. Corgi Books, Ealing 1976. ISBN 0-552-10166-4.
[3] Ich hatte die deutsche Ausgabe aus dem Otto Wilhelm Barth Verhag (München 1953) ca. 1975 ausgeliehen, mir aber später die englische Übersetzung in Taiwan gekauft: Eugen Herrigel: Zen in the Art of Archery. Vintage Books, New York 1971.
[4] Ich habe hier einen Textteil aus Zen in der Kunst Bäume zu köpfen abgewandelt. https://rheumatologe.blogspot.com/2020/07/zen-in-der-kunst-baume-zu-kopfen.html
[5] Inken Prohl: Zen für Dummies. Wiley-VCH, Weinheim 2010, ISBN 978-3-527-70501-6. Inken Prohl ist eine deutsche Religionswissenschaftlerin und Japanologin. Sie ist als Professorin in Heidelberg tätig. https://de.wikipedia.org/wiki/Inken_Prohl
[6] https://en.wikipedia.org/wiki/Walden_Pond
[7] Henry David Thoreau: The Portable Thoreau, edited by Carl Bode. Penguin Books, Harmondsworth 1977. ISBN-10: ‎ 0-14-015-031-5.
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Henry_David_Thoreau
[9] Ich übersetze es mit: Jemand ist reich in Proportion zu den Dingen, auf die er verzichten kann.
[10] Ralph Waldo Emerson (1803-1882) war ein US-amerikanischer Philosoph und Schriftsteller.
https://de.wikipedia.org/wiki/Ralph_Waldo_Emerson
[11] Das Zitat stammt aus dem Gedicht The Lake Isle of Innisfree von William Butler Yeats und mit den beiden Zeilen „And a small cabin build there, of clay and wattles made; / Nine bean-rows will I have there, a hive for the honey-bee,“ wäre es Programm für Thoreau. Wahrscheinlich habe ich auch nur an Thoreau gedacht, als ich das Gedicht einmal gelesen habe, denn das Gedicht wurde erst 1888, also nach dem Tode von Henry David Thoreau, geschrieben.
[12] Eigentlich drei Stühle, denn er schreibt: „I had three chairs in my house; one for solitude, two for friendship, three for society.“ S. 390, a.a.O. Ich weiß nicht, wo die beiden anderen Stühle waren.
[13] https://cozeliving.com/tiny-house-movement/ hat eine Abbildung, aber im Wikipedia-Artikel [6] ist ein ähnliches Bild in besserer Auflösung.
[14] Fringe bedeutet Randzone, Grenzbreich; die Fersehserie spielte teilweise in einem Paralleluniversum, in dem alles so ist wie hier nur mit kleinen Unterschieden. Und der erste Besuch im Paralleluniversum erfolgte auf dem vereisten Walden Pond. Fringe – Grenzfälle des FBI https://de.wikipedia.org/wiki/Fringe_%E2%80%93_Grenzf%C3%A4lle_des_FBI   
[15] Tja, gerade eben beim Schreiben, ich wünsche es jedem beim Lesen.

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