Monday, March 25, 2024

Rose Ausländer – Ein Leben in die WortWelt hinein

 



Die Gedichte von Rose Ausländer begleiten mich schon seit Jahrzehnten, wahrscheinlich hat mich besonders die Verdichtung angesprochen. Balladen haben mir nie so viel geben können, wie das kurze Gedicht. Das ist einer der Vorzüge des Haiku, obwohl auch dies seinen Ursprung in der lange langen Renga-Dichtung hat [1].

Warum habe ich mich jetzt, erst jetzt oder sogar schon jetzt entschlossen, über Rose Ausländer zu schreiben? Ich habe den Film „Der Traum lebt mein Leben zu Ende - Das Leben der Dichterin Rose Ausländer“ von Katharina Schubert [2] gesehen. Ich wollte früher schon über Rose Ausländer und andere LyrikerInnen der Bukowina schreiben, dachte aber, ich sollte die Landschaft und Czernowitz erst besuchen. Ein solcher Besuch muß aber auf unbestimmte Zeit verschoben werden, denn wegen des Krieges geht es nicht mehr. Die Gefahr ist dort zwar geringer als in Kiew, das ca. 500 km entfernt liegt, aber man hat Binnenflüchtlinge aufnehmen müssen. Und dann kam noch Meerbusch ins Spiel, und zwar über die Fähre von Kaiserswerth nach Meerbusch-Nierst, die bei einem Bezug zum Rhein im Film zu sehen war. Außerdem hatte ich gerade Ulysses von James Joyce gelesen und da steht [3]: „BLOOM Aurora borealis oder eine Stahlgießerei?“ Ich hatte es einmal in Meerbusch genau umgekehrt erlebt, da war einmal eine Aurora borealis (rot) zu sehen und ich dachte, es wäre der Lichtschein einer Stahlgießerei in Duisburg. So merkwürdig es klingt, aber ich schreibe gerade über Rose Ausländer (u.a.), weil James Joyce zum 16.06.1904 etwas über eine Aurora borealis eingefallen war.

Der Film ist sehenswert. Ich fand auch auch Bilder von Orten, die ich kenne. Das jüdische Viertel, das später zum Ghetto wurde, sieht ähnlich aus wie die Überreste in Odessa. Die Landschaft sieht aus wie im Buch von Anatoliy Babiychuk (Анатолій Бабійчук) über Horaivka (Гораївка) [4]. Da ich in der Ukraine mehr in Städten unterwegs war, jedoch durch die Ukraine im Zug gefahren bin, war mir das Buch von Anatoliy Babiychuk eine gute Ergänzung. Horaivka liegt in der Mittelukraine, etwa 80 km nordöstlich von Czernowitz. Der Autor und Fotograf zeigt mehr die Menschen im dörflichen Alltag, allerdings auch Landschaft.
Der Film wird der Person Rosa Ausländer gerecht. Es ist nur wenig Bild- und Filmmaterial zur Dichterin vorhanden, aber die Interviews mit Helmut Braun, dem wesentlichen Verleger der Dichterin, konnten dieses Problem gut überbrücken. Ich habe viel Neues erfahren, als was ich aus Kurzbiografien oder dem Wikipedia-Eintrag bislang erfahren hatte.

Nähern wir uns der Region Bukowina. Rosa Ausländer schrieb: „Grüne Mutter / Bukowina / Schmetterlinge im Haar“ [5]. Die Bukowina (ukrainisch Буковина, polnisch Bukowyna), Bukowina) ist eine historische Landschaft nordöstlich der Karpaten, die im Deutschen auch  Buchenland genannt wird. Ich stamme aus dem Vorort Buchforst in Köln und so hat Buchenland für mich eine romantische Färbung, so ähnlich wie das Auenland in Herr der Ringe. Die Bezeichnung Bukowina ist auf die k. u. k.-Monarchie / Österreichisch-Ungarische Monarchie zurückzuführen, während dieser Zeit wurde das Gebiet mit dem Zentrum Czernowitz so verwaltet [6], wobei das Wort schon viel früher geprägt worden war. Heute liegt der nördliche Teil in der Ukraine und der südliche Teil in Rumänien. Historisch aber war die Stadt, was wir heute multikulti nennen, denn es herrschte Kultur- und Sprachenvielfalt. Ich wage zu behaupten, daß sich dies positiv auf die Vielzahl von DichterInnen bzw. LyrikerInnen ausgewirkt hat. Mir sagen aus der langen Liste [6] nur etwas:
    Paul Celan (1920–1970) – für mich immer noch ein Superstar [7]
    Alfred Kittner (1906–1991) – Briefwechsel mit Rose Ausländer
    Alfred Margul-Sperber (1898–1967) – ist mir ein Begriff wegen „Ins Leere gesprochen“ [8]
    Selma Merbaum (1924–1942) – starb 18ährig am Fleckfieber, ihr Werk zählt zur Weltliteratur [9]
    Moses Rosenkranz (1904–2003) – sein Buch „Bukowina“ zeigt auf dem Titel eine Karte, er wurde fast 99 Jahr alt [10]
     Immanuel Weissglas (1920–1979) – er schrieb das Gedicht ER [11], die Todesfuge von Paul Celan gilt als Antwort auf dieses Gedicht.

Mich hatte Rose Ausländers Gedicht „In Memoriam Chane Rauchwerger“ besonders berührt, da es vom Hungermarsch durch Transnistrien berichtet, durch das ich mit der Eisenbahn gefahren bin. In Transnistrien kamen fast alle verschleppten Juden an Hunger, Kälte oder Mord um. Es ist im Gedicht auch vom Wunderrabbi von Sadagora die Rede. Da hatte ich einen Bezug zu Paul Celan, der sich als „aus Czernowitz bei Sadagora“ in einem Gedicht in „Die Niemandsrose“ [12] bezeichnete. Wer war nun der Wunderrabbi? Es war Israel Friedmann von Ruschyn (1797-1850) [13], nach dem die Synagoge von Sadagora benannt wurde [14], die im 2. Weltkrieg erheblich beschädigt wurde und erst 2026 restauriert worden ist. Schon nach dem Ersten Weltkrieg nahm die Bedeutung des Wunderrabbis und des Ortes ab. Rose Ausländer in dem Gedicht [15]: „...  o weiser Wunderrabbi von Sadagora / Chane Rauchwerger glaubte an dich / wo warst du / damals / wo war dein Wunder“. Das Problem solch einer Lebensgeschichte ist der richtige Zugang und ich weiß ihn nicht, einerseits erklärt sie viel, aber manchmal will man zu viel mit ihr erklären und wird der Dichterin nicht gerecht.

Rose Ausländer (geb. 11.05.1901 in Czernowitz, Österreich-Ungarn, gestorben 03.01.1988 in Düsseldorf;) wurde als Rosalie Beatrice Scherzer) geboren. Sie lebte in Österreich-Ungarn, Rumänien, den USA, Österreich und Deutschland [16]. In den 1960iger Jahren reiste sie viel, besonders in Europa, aber auch in die USA und nach Israel. Ob sie in Düsseldorf angekommen, ist möglich, aber auch unsicher, da sich ihr Bewegungsumfang nach einem Oberschenkelhalsbruch immer mehr einschränkte und sie ab 1977 bettlägerig war. Davor hatte sie eigentlich immer mit gepackten Koffern gelebt. Sie fühlte sich mehr so zu Hause wie in der Kindheit. Rose Ausländer:
„Mein Vaterland ist tot / sie haben es begraben / im Feuer // Ich lebe / in meinem Mutterland / Wort“ [17]. In den Jahren 1949-1956 schrieb sie nur auf Englisch; da habe ich noch nicht von gelesen, aber das werde ich nachholen.
Hier noch einige Daten:
1921 Auswanderung nach New York zusammen mit Ignaz Ausländer
1923 Heirat mit Ignaz Ausländer, Trennung 1926, Scheidung 1930
1927 ist sie acht Monate in Czernowitz, um die kranke Mutter zu pflegen, sie lernt Helios Hecht kennen
1928 Rückkehr in die USA, zusammen mit Helios Hecht
1931 Rückkehr nach Czernowitz, um die kranke Mutter zu pflegen
1935 Aberkennung der US-amerikanischen Staatsbürgerschaft, Trennung von Helios Hecht
1941/1944 im Getto der Stadt Czernowitz
1946 Auswanderung nach New York
1948 erneute US-amerikanische Staatsbürgerschaft
1964 Übersiedlung nach Wien
1965 Düsseldorf
1971 Einzug ins Nelly-Sachs-Haus
1977 Abbruch fast aller Außenkontakte

Helmut Braun lernte die Dichterin 1975 kennen und verlegte ihre Gedichte in seinem Verlag, der später zu Fischer ging. Es war ein glückliches Zusammentreffen und ich ich bin der Überzeugung, daß wir weniger von Rose Ausländers Gedichten rezipiert hätten, wenn er nicht den Schritt auf sie zu gemacht hätte. Bertolt Brecht schrieb: „Aber rühmen wir nicht nur den Weisen, / Dessen Name auf dem Buch prangt!“ [18] Nun ja, Brecht hatte dabei an Laotse gedacht – und ich denke an Helmut Braun und danke ihm.

Was finde ich faszinierend? Rose Ausländer schafft es, ihre Gedicht aus dem ersten Einfall immer wieder neu zu sehen. Sie kürzt, stellt um, versucht dem einzelnen Wort den richtigen Platz zuzuweisen, um so das Gedicht zu verdichten, prägnanter werden zu lassen. Schließlich hat sie sich in ein Leben in der WortWelt hineingewagt. Ungeheuerlich! Ich hoffe, daß es nicht nur uns sondern auch ihr zum Nutzen war.




Literatur und Anmerkungen:
[1] Das fängt ja gut an – ein Blogpost zu Rose Ausländer und ich fange direkt mit einer Abschweifung an. Das Renga (
連歌) ist eine japanische Gedichtform, das Kettengedicht. Es werden Tanka aneinander gereit. Das Tanka (短歌, wörtlich kurzes Gedicht) besteht aus dem Hokku  mit 5-7:5 Silben und dem Matsuku mit 7-7 Silben. Aus dem Hokku entwickelte sich das Haiku (俳句). Zwischen Tanka und Haiku besteht außer der Länge noch der Unterschied, daß in der reinen Form das Haiku eine Verbindung zur Jahreszeit haben sollte. https://de.wikipedia.org/wiki/Renga   
[2] „Der Traum lebt mein Leben zu Ende - Das Leben der Dichterin Rose Ausländer“, ein Film von Katharina Schubert (Regisseurin). Laufzeit: 1:30 Std. Mit Booklet / Begleittext „Der Steinbruch der Wörter“ von Helmut Braun. ASIN ‏ : ‎ 394403600X. Man kann sich den Film aber auch auf Youtube ansehen: https://www.youtube.com/watch?v=EqYLWI_g3XA
[3] James Joyce: Ulysses. Übers. von Hans Wollschläger. Suhrkamp Verlag,  Frankfurt am Main 2001. ISBN: 9783518412985. S. 592.
[4] Anatoliy Babiychuk (Анатолій Бабійчук): Horaivka (Гораївка). Fotoedition, (Wien) 2018. ISBN: 9783902993571.
[5] Bukowina I. https://www.lyrikline.org/de/gedichte/bukowina-i-545 
[6] Ich bin hier etwas kurz und damit ungenau im geografisch-historischen Teil, aber bei Interesse kann man sich mehr und genauere Daten hier ansehen: https://de.wikipedia.org/wiki/Bukowina 
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Celan
[8] Alfred Margul-Sperber: Ins Leere gesprochen – Ausgewählte Gedichte 1914–1966. Rimbaud, Aachen 2002.ISBN 3-89086-792-8.
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Selma_Meerbaum-Eisinger
[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Moses_Rosenkranz Moses Rosenkranz: Bukowina. Gedichte 1920–1997. Rimbaud, Aachen 1998. ISBN: 978-3-89086-828-8.
[11] Das Gedicht ER ist hier einsehbar:  
http://www.planetlyrik.de/immanuel-weissglas-poesiealbum-334/2017/12/
[12] Paul Celan: Die Gedichte. Kommentierte Gesamtausgabe, suhrkamp taschenbuch 3665.
Suhrkamp, Frankfurt am Main 2012. ISBN: 9783518456651. S. 135.
[13] https://de.wikipedia.org/wiki/Israel_Friedmann
[14] https://de.wikipedia.org/wiki/Chassidische_Synagoge_(Sadagora)
[15] Rose Ausländer: Schweigen auf deine Lippen. Späte Gedichte aus dem Nachlass. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1994. S. 120.
[16] https://de.wikipedia.org/wiki/Rose_Ausl%C3%A4nder
[17] Mutterland http://wwwalt.phil-fak.uni-duesseldorf.de/frauenarchiv/fka_neu/gedichte/articles/auslaender/index.php?text=mutterland
[18] Bertolt Brecht: Die Gedichte in einem Band. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. ISBN: 3-518-02269-5. S. 660-663 (663).

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