Saturday, February 13, 2021

#KeinKantinentweet Nr. 50


Werwolfsuppe mit geröstetem Roggenbrot

Durch zwei Tweets von 4Horsemen #stayathome (@j_potatoe) und Carsten Paetz (@stromab) [1] erinnerte ich mich an meine Urururgroßmutter aus den Karpathen. Und an die Werwolfsuppe, zu der unten mehr steht.

Die vegane Form der Werwolfsuppe ahmt diese ewige Suppe nach, bei der immer ein Rest aufbewahrt und beim nächsten Kochen mit frischen Zutaten ergänzt wurde. Es handelt sich um Slow-Food, d.h. Es köchelt lange und man muß überlegen, was wann weshalb in die Suppe kommt.

Werwolfphase: in dieser Phase legen wir den Grundstock gegen den Werwolf und für den Geschmack. Olivenöl sehr heiß werden lassen und kleingehackte rote Zwiebeln, Knoblauch und eine scharfe Chilischote sowie Kreuzkümmel anbraten. Wenn die Zwiebeln sich bräunen, kleingehackte Tomaten beigeben. Hitze belassen. Allerdings darf es nicht anbrennen.

Frühe Kochphase: geraffelte Möhren, rote Linsen, Salz und Wasser beigeben, aufkochen und dann köcheln lassen. Bald schon den Spitzkohl dazugeben und dann habe ich mit etwas Rote Beete Sud geschummelt. Später die Sellerie-Stifte beigeben.

Familiengeheimnis: und jetzt plaudere ich das Familiengeheimnis aus. Eine geschälte und gewürfelte Birne in den Topf geben. Urururgroßmutter Agathe hatte im Originalrezept abgetropftes Birnenkompott genommen. Hatte ich aber nicht im Haus.

Mittelere Kochphase: zunächst die Suppenflüssigkeit kosten und gegebenenfalls mit Chili oder Kreuzkümmel nachwürzen. Dann die härteren, dunkelgrünen Porreestücke, die Kidneybohnen und die Gemüsepaprika zugeben.

Späte Kochphase: die zerkleinerte Spitzpaprika, die Porreestücke, drei kleingehackte Knoblauchzehen und den Blumenkohl zugeben. Gegebenenfalls nachsalzen.

Nach etwa zwei Stunden kann man auftischen. Ich habe dunkles Roggenbrot als Beilage geröstet. Und dann habe ich das Koriandergrün vergessen. Es hat trotzdem herrlich geschmeckt. Ich glaube, die Idee, einen Rest einzufrieren, kann ich vergessen.



Das Rezept und die Geschichte dazu hat mir vor langer Zeit meine Großmutter mütterlicherseits erzählt. Nach dem 2. Weltkrieg hatte sie beim belgischen Botschafter als Köchin gearbeitet. Sie konnte wahnsinnig gut kochen und brachte meine Mutter schier zur Verzweiflung, wenn sie ihr ein Rezept diktieren sollte. Auf Fragen wie „Wieviel nehme ich denn davon?“ antwortete sie mit „so nach Gedanken“ oder „so viel Du eben brauchst“. Ich aber hatte mir Geschichte und Rezept in den späten 1960iger Jahren notiert. Ich habe die Suppe allerdings in eine vegane Form übertragen.

Meine Urururgroßmutter hieß Agathe – nach der Heiligen und Märtyrerin Agatha, über die ich bereits berichtet hatte [2]. Sie war Köchin bei der Gräfin von H***. Es muss in einem Winter des frühen 19. Jahrhunderts gewesen sein. Die Gräfin von H*** hielt sich mit ihrem Gesinde in Petroșani auf. Man erwartete eine weitere Verschlechterung des Wetters. Die Gräfin beschloß aufs Schloß in den Bergen beim Rezetat zurückzukehren. Die Gräfin liebte Agathes Werwolfsuppe. Von dieser Suppe war immer etwas vorhanden und wurde bei jedem Kochen mit neuen Zutaten ergänzt.

Bibbernd saß Agathe beim Kutscher vorne und hielt die Suppe in einem irdenen Topfe und in einer Kiepe verpackt zwischen den Knien. Nachdem sie zunächst gut voran gekommen waren, ging es nach Einbruch der Dunkelheit nur langsam vorwärts. Es schneite – und wie! Dann wieder rissen die Wolken auf und der Mond grinste heimtückisch. Da heulten die Wölfe – ganz in der Nähe. Der Kutscher drosch auf die bereits trotz der Kälte dampfenden Pferde ein.

In einer Kurve stürzte Agathe mitsamt der Suppe unbemerkt vom Kutschbock in den Schnee. Sie rappelte sich auf. Im trügerischen Licht des Mondes sah sie den Weg zur Kapelle, die zwischen der Weggabelung und dem Schloß lag. Sie eilte durch den hohen Schnee und wähnte eine riesige Gestalt hinter sich. Aber sie erreichte die Kapelle und entzündete eine weitere Kerze. Das Weihwasser war eingefroren, doch da sie Angst vor dem Werwolf hatte, den sie hinter sich vermutet hatte, taute sie etwas Weihwasser auf. Dabei hörte sie grauenhafte Schreie – Todesschreie. Auf geweihtem Grund aber fühlte sie sich sicher. Als es wieder ruhiger war, wagte sie sich mit einer Fackel auf den Weg zum Schloß. Fast wäre sie über die Leichen von drei jungen Burschen gestolpert. Geistesgegenwärtig malte sie jedem ein Kreuz mit Weihwasser auf die Stirn und betete ein Ave Maria und ein Vater unser. Dann sputete sie sich in Richtung Schloß.

Mit pochendem Herzen klopfte sie an die Pforte. Ein alter Gefolgsmann, der dem Grafen noch im Felde gedient hatte, öffnete eine Tür und zog Agathe hinein auf den Schloßhof. Die Gräfin von H*** war überglücklich, Agathe zu sehen und trug ihr auf, die Suppe aufzuwärmen. Ein Schelm, der Böses dabei denkt!


Links und Literaturangaben:
[1] https://twitter.com/j_potatoe/status/1359607613969866755  https://twitter.com/stromab/status/1359639719450148864  
[2] https://rheumatologe.blogspot.com/2020/07/st-apollinaris-und-agatha-in-kall.html

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