Polynesische Impressionen [1] -
Eine Reise in die Südsee
Meerbusch-Lank/Tonga
Jedes Jahr reise ich in die Ferne, ins ferne Ungewiß. Ich gebe es zu, das Reisen ist mein Laster. Ende 1994 flog ich erneut in die Südsee und ich möchte Ihnen in diesem Artikel ein wenig darüber berichten.
Ich könnte Ihnen von dieser Reise auch über die Feierlichkeiten während des Galungan-Festes und den Bergtempeln Balis, der herrlichen Kathedrale von Christchurch (Neuseeland) , den 52 Kirchen auf dem Weg vom Flughafen Faleolo nach Apia (West Samoa) oder der Kathedrale dort, die man auf einem Schiff schon aus 20 km Entfernung sehen kann, berichten; aber ich möchte Ihnen einige Erlebnisse im Königreich Tonga und besonders von der Fahrt zu einer kleinen Insel Tongas schildern.
Tonga
Tonga - was verbirgt sich hinter diesem Namen? Etwa 170 Inseln mit 688 km2 Fläche gehören zum Königreich Tonga im Südpazifik. Diese Inseln liegen verstreut auf einer Wasserfläche von 362.000 km2 . Die Hauptstadt Nuku'alofa liegt auf der größten Insel, Tongatapu. Köln und Nuku'alofa sind etwa 16.685 km von einander entfernt. Die Bewohner von Tonga sind Polynesier. Tonga ist konstitutionelle Monarchie nach britischem Beispiel und wird seit 1965 von König Taufa'ahau Tupou IV. [2] regiert.
Die Tagestemperaturen schwanken tägl ich zwischen 23-30° C ohne wesentliche jahreszeitliche Änderungen. Die Regenzeit dauert von November bis April.
Nuku'alofa hat etwa 30-35.000 Einwohner und die einzige Stadt auf Vava'u, Neiafu, hat etwa 5.000 Einwohner. Vava'u ist der Name der Hauptinsel der gleichnamigen Inselgruppe, sie liegt etwa 300 km nördlich von Tongatapu. Die Ha'apai-Gruppe liegt etwa auf halbem Weg. Die Niuas - ich lernte Bewohner dieser Inselgruppe kennen - liegen nochmals 300 km nördlich von Vava'u.
Auf Tonga kommt eine Krankenschwester/Pfleger auf 463 Einwohner (Deutschland l:130) und auf einen Arzt/Ärztin kommen 2.380 Einwohner (Deutschland 1:377). Die Tonganer sind vorwiegend Christen, die Freien Wesleyaner machen 43%, die Katholiken 16% und andere Konfessionen 41% au . Die Nationalhymne heißt: „Koe fasi oe tu'i oe otu Tonga".
Christlicher Glaube und Geschichtliches
Im westlichen Ausland werden mit exotischen Reisezielen, wie es Tonga nun einmal ist, die Einwohner mit Wilden oder Heiden assoziiert. Das ist eine völlig verkehrte Vorstellung. Tonga wird von sehr gläubigen Christen bewohnt. Der Sabbat/Sonntag ist ein Fest des Herrn und wird im biblischen Sinne gefeiert. Der öffentliche Verkehr liegt brach und es gibt auch keine internationalen Flüge; in anderen Ländern macht man an dieser Stelle Zugeständnisse an den Tourismus. Übrigens ist es in Samoa ähnlich. Die Kirchen in Tonga (wie auch in Samoa) sind sonntags voll und man kann den melodischen polynesischen Chorälen lauschen. Die christliche Missionierung begann mit der Arbeit der London Missionary Society. Die ersten Versuche 1817 und in den Jahren darauf waren nicht fruchtbar. 1826 starteten die Wesleyaner einen neuen Versuch, der 1829 mit dem Erfolg einer Taufe von sieben jungen Männern durch die Gruppe um Nathanial Turner
gekrönt wurde. Einer dieser Männer war derNeffe des jungen Herrschers Taufa'ahau, der 1831 getauft wurde und den Namen George (Siaosi) annahm. Unter seinem Einfluß wurden nach und nach die Bewohner konvertiert. Zu dieser Zeit begannen auch andere Konfessionen zu missionieren. König George regierte übrigens bis 1893, dann kam George Tupou II., 1918 bestieg Königin Salote den Thron und ihr Sohn Taufa'ahau Tupou IV. ist erst der vierte Regent seit über 150 Jahren.
Von Nuku'alofa nach Vava'u
In Nuku'alofa wohnte ich im Beach House, einem kleinen Gasthaus. Hätte der englische Dichter W. Somerset Maugham das Beach House gekannt, dort hätte er sich einquartiert. Maugham (1874- 1965) verbrachte während des 1.Weltkrieges einige Monate auf verschiedenen polynesischen Inseln. Die Impressionen dieser Zeit finden sich wieder in Kurzgeschichten wie „Mackintosh“, „Red“, Honolulu“ oder „Rain“, der wohl berühmtesten Geschichte, die in einem kleinen Gasthaus in Pago Pago (Amerikanisch Samoa) während des Regens spielt. Auch ich erlebte den Regen von der Veranda des Beach Houses aus. Die Atmosphäre von den Kurzgeschichten Maughams insbesondere von „Rain“, schwang mit und ich erinnerte mich an Bilder aus der Verfilmung mit Joan Crawford (1934).
Während des Regens verbrachten die Töchter der Wirtsleute auch den Tag auf der Veranda mit ein wenig Arbeit, Scherzen, Haare flechten, Liegen, Nachmittagsschlaf oder Schwatzen. Von der Veranda blickt man auf Blüten, Palmen, Meer und Inseln; und trotz aller Südseeromantik auch auf die vorbeifahrenden Autos.
Oder man geht über die Straße und setzt sich zu den Jungen, die unter den Palmen Ball spielen oder auf der Kaimauer sitzen und lachen und reden. Wenn man aus der Stadtmitte (Nuku' lofa ist eigentlich mehr ein riesiges Dorf) zurückkommt, wird man von einem Baum mit roten Blüten (Fire Tree oder Crimson Glory) vor der offenen Veranda und dem rostigen Welldach empfangen. Wie kann jemand nur auf so etwas für ein Luxusklasse-Hotel verzichten?
Ich hatte beschlossen, von Nuku'alofa nach Vava'u mit der Fähre zu reisen; es handelt sich dabei um eine Strecke von ungefähr 300 km. Zwei Fährschiffe standen zur Verfügung: das eine hatte den Spitznamen „floating coffin“ (schwimmender Sarg) und das andere wurde „orange vomit“ (orange Kotze) genannt. Ich wählte die orange Kotze, die M.S. Olovaha, die sich als hochseetüchtiges Schiff erwies. Wie ich später erfuhr, ist die Olovaha ca. 1980 in Bremen vom Stapel gelaufen.
Einen Tag später, als der Fahrplan auswies, stach die M.S. Olovaha in See; ein wenig Flexibilität sollte man schon bei solchen Reisen mitbringen!
Die Weite des Pazifiks und ein leichter Wellengang im Regen! Etwa eine Stunde nach der Abfahrt kam uns ein Frachtschiff entgegen, das Nuku'alofa ansteuerte; es sollte die einzige Begegnung mit einem Schiff auf hoher See während der gesamten Überfahrt bleiben. Manchmal begegneten uns Möwen und andere Seevögel, die in den Wellentälern gegen den Wind segelten.
Überfahrt
Ich hatte einen Fensterplatz und eine Familie, die noch weiter als Vava'u unterwegs war, saß um mich herum und den Platz vor den Sitzreihen. Um den Notausgang war alles voll gestellt mit Kisten, Koffern, Blumen, Saatgut und anderen Dingen mehr. Die Familie bestand aus einem alten Herrn, der unter Elefantiasis des rechten Beines litt, einem jüngeren Mann, seiner Frau und seiner Schwester, einem Jungen und zwei Mädchen. Der alte Herr legte sich auf eine riesige Bettstatt zwischen zwei Sitzreihen. Die Frauen und Mädchen schliefen auf Matten vor einem Treppengeländer.
Da die Fähren nur alle vier bis sechs Wochen über Vava'u hinaus die nördlichen Inseln (Niuas) anlaufen, mußten sie ihr Bettzeug für den Aufenthalt auf Tongatapu mitnehmen. Die Niuas liegen nochmals ungefähr 300 km von Vava'u entfernt.
Ab und zu wachten die Frauen auf, drehten sich mit dem Kopf zur Treppe hin und kotzten nach unten; Sie erinnern sich noch an den Spitznamen? Der Junge schlief direkt vor der Treppe und kotzte auch hinunter. Irgendwie erbrachen sich alle um mich herum, dann und wann. Es tat mir leid, daß die Nachfahren der größten Seefahrer bei der leichten Dünung so unter der Seekrankheit litten, aber meine gehobene Stimmung wurde dadurch nicht gedämpft.
Abends lagen wir vor Ha'afeva, einer Insel der Ha'apai-Gruppe. Hoch ragte uns die Böschung der Insel im Scheinwerferlicht des Schiffes entgegen. Kleine Boote fuhren um die Olovaha herum und übernahmen Ladung und Passagiere. Manche aber kamen nur aus Neugier.
Später in der Nacht legten wir bei Wolkenbruch in Pangai (Lifuka / Ha'apai) an. Dort wurden schwere Gegenstände, wahrscheinlich Traktoren, entladen, so daß die Olovaha merklich leichter wurde. Die Leute auf dem Achterdeck waren mittlerweile völlig durchgeweicht. Die teilweise zerrissene Plane über den Sitzen hielt kaum den peitschenden Regen zurück. An manchen Stellen beulte sich die Plane weit nach unten, so daß sicherlich 100-150 Liter Wasser darauf warteten, sich mit einem Mal auf die Menschen zu ergießen. Die Pappkartons mit den Einkäufen aus Nuku'alofa waren so aufgequollen, daß sie bei der geringsten Berührung zerrissen. Ohne Regen legten wir am nächsten Vormittag in Neiafu (Vava'u) an. Jedoch kam schon wenige Minuten später der nächste tropische Wolkenbruch. Triefend vor Nässe fand ich ein Gasthaus auf einer kleinen Anhöhe - in der Nähe der königlichen Residenz Fangatonga und der gleichnamigen Grundschule. Auf Regen folgt bekanntlich Sonnenschein, und so war es auch: die kleinen Koralleninseln schwammen palmengrün mit sandweißem Saum im türkisfarbenen Meer unter einem tiefblauen Himmel mit sonnenweißen Wolkenburgen.
Heißet den neuen Kaplan willkommen!
In Neiafu begegnete ich am Tag vor dem Besuch des Königs einem Festzug. Die Teilnehmer zogen in Richtung Fangatonga Primary School, waren also auf dem Weg, den auch ich zum Hamana Lake Guest House nehmen mußte. Zunächst hörte ich sie singen. Dann sah ich sie in ihrer Festkleidung: schwarzer Lavalava („Sarong“, Wickeltuch), weißes anstatt schwarzes Hemd oder Bluse, die tradtionelle Matte (Ta'ovala), darüber frische Pandanusblätter und Girlanden oder Leis und Blumen als weiterer Schmuck. Auch der katholische Pfarrer war in Schwarz und einem Ta'ovala gekleidet, der Tradition des Landes und der Kirche folgend. Das Fest wurde zum Empfang des neuen Kaplans durchgeführt. Auf zwei Karren wurden ein Schwein und Kava an langen Seilen von den Teilnehmern gezogen.
Am frühen Abend konnte ich von meinem Gasthaus den Gesängen lauschen, da die Schule in direkter Nachbarschaft liegt. Die vokalreichen Sprachen Polynesiens klingen im Gesang besonders angenehm und auch betörend schön. Der Gesang wurde durch Klatschen begleitet und dabei faszinierte mich, wie viele unterschiedliche Töne man durch Klatschen hervorbringen kann. Aber dann mußte ich mich von diesen Eindrücken lösen, denn ich hatte für den Abend bereits geplant, an einem anderen Fest teilzunehmen.
Die Kava-Runde am Freitagabend
Was für ein herrlicher Abend tat sich mir auf! Die Free Wesleyan Church veranstaltete dieses freitägliche Kava-Trinken, um Geld für ein Bauvorhaben zusammen zu bekommen; der Zweck heiligt die Mittel. Die neue Kirche liegt oberhalb der Anlegestelle für die Yachten in schöner Lage. Wir feierten in der alten Kirche, die mittlerweile zur Turn- und Versammlungshalle umfunktioniert worden war. [3]
Kava
Bevor ich fortfahre, muß ich einige Worte über Kava einfügen. Kava ist das rituelle Getränk der Südsee. Manchmal wird es Kavakava genannt, auf Pohnpei (Mikronesien) heißt es Sakau und auf den Fiji-Inseln bezeichnet man das Getränk als Yagona. Es handelt sich dabei um die zerkleinerte und in Wasser aufgeweichte Wurzel des Rauschpfefferstrauches (Piper methysticum).
Früher wurde die Wurzel zerkaut und in die große Gemeinschaftsschale gespuckt, aber das macht man heute nicht mehr. Der Grund für diese Praxis war ein etwas stärkeres Getränk, da die Alkaloide durch die Speichelenzyme (alpha-Amylase) besser aus der Wurzel gelöst werden. Der Name Rauschpfeffer läßt an ein Rauschmittel denken, aber das ist Kava nicht; es sei denn, man ordnet Kaffee und Tee auch den Rauschmitteln zu. Kava-Trinken macht zufrieden und gesellig, aber es kommt nicht zu Aggressivität oder einem Kater wie bei alkoholischen Getränken.
Neben dem geselligen Aspekt gibt es noch den medizinischen Gebrauch der Pflanze. In der polynesischen Volksmedizin wurde Kava gegen Bronchitis, Blasenerkrankungen, rheumatische Beschwerden und weitere mehr eingesetzt.
Aber nun zurück zur eigentlichen Gesch chte: ich saß in der Gruppe, die sich um die Band geschart hatte. Dabei lernte ich den Direktor der Schule, Sayad, den Vikar, Makisi, den Pfarrer, Viseka, und andere mehr kennen. Wir saßen auf Pandanus-Matten im Kreis.
An einer Seite stand d ie Kava-Schüssel, ie ab und an aus großen Bottichen nachgefüllt wurde. Wir reichten uns gegenseitig die Kokos-Schalen herum, aus denen wir Kava tranken.
Musik
Eine dreiköpfige Band spielte den ganzen Abend. Die drei alten Herren spielten Gitarre und Banjo und sangen dazu. Lieder aus dem Süd-Pazifik, Lieder aus Tonga, aber auch englische oder solche aus Hawaii. Die Stimmung war ausgelassen und alle erfreuten sich an der Musik und den Gesprächen mit Freunden. Obwohl man von der Größe der Veranstaltung an ein Bierzelt erinnert wurde, fehlten hier doch die aggressiven Zecher und der abstoßende Lärm.
Spenden
Diese Freitags-Gesellschaften kommen, wie erwähnt, zur Geldbeschaffung zustande. Etwa 100-150 Männer saßen in verschiedenen Gruppen zusammen und redeten, lachten, sangen mit oder tranken nur Kava. Später wurde das Eindringen von zwei bis vier jungen Frauen, wohl ein Zugeständnis an die Emanzipation der Frau, die im Rahmen des Kulturwandels nun gemächlich Einzug in Tonga hält, geduldet. Sie teilten nur Kava aus und tranken nicht selbst. Das Kavatrinken dauerte etwa vier bis fünf Stunden. Zum Schluß sprach Viseka, der Pfarrer, ein tonganisches Gebet zum Dank („Gott segne Geber und Gaben!“) für die 324 Tonga-Dolla r (Pa'anga), die gespendet worden waren. Danach ging ich durch die dunklen Gassen der Kleinstadt zu meinem Gasthaus, über mir standen die Sterne und die Magellan'schen Wolken und in mir war eine fröhliche Zufriedenheit. Auch bei der Fangatonga Grundschule war das Fest zu Ende.
Am nächsten Tag flog ich vom Lupepau'u Flughafen über die kleinen Inseln und Atolle wieder zurück nach Tongatapu und einige Tage darauf weiter nach Samoa, wo die Kirchen und Kathedra len der Dörfer zwischen dem Flughafen und Apia einen unauslöschlichen Eindruck hinterließen [4]. Aber darüber wollte ich ja nicht berichten, auch nicht im Licht der Seifenoper „Flucht ins Paradies“ (ZDF), denn das ist eine andere Geschichte.
Anmerkungen und Links:
[1] Den Artikel hatte ich bei den Unterlagen meiner Eltern gefunden. Ich hatte ihn 1995 für die Mitarbeiter-Zeitschrift TAU (Magazin der Franziskanerinnen von Münster-St. Mauritz) geschrieben, also noch vor der Umwandlung der Hospitalgesellschaften in die Franziskus-Stiftung https://www.st-franziskus-stiftung.de/startseite.html. Ich habe den Artikel eingescannt. Die Bilder waren schwarz-weiß, ich habe aber die Originale nochmals eingescannt.
[2] Taufa'ahau Tupou IV. ist mittlerweile verstorben. https://de.wikipedia.org/wiki/Taufa%CA%BBahau_Tupou_IV. Aktuell ist Tupou VI., der jüngste Sohn von Tupou IV. König von Tonga. https://de.wikipedia.org/wiki/Tupou_VI.
[3] Ich hatte im vorigen Jahr nochmals darüber berichtet, auf Englisch: Drinking Kava on Vava'u
https://rheumatologe.blogspot.com/2020/09/drinking-kava-on-vavau.html
[4] Mehr darüber auf Englisch hier: When I had to Dance on Samoa
https://rheumatologe.blogspot.com/2020/09/when-i-had-to-dance-on-samoa.html Ich tanzte zusammen mit dem Vize-Premierminister!.