Blog von Dr. med. Lothar M. Kirsch / 祁建德 // Rheumatic Diseases / Fibromyalgia / Travels / Languages / Poetry
Friday, August 3, 2012
Arthrose und Nahrungsergänzung
Immer wieder wird versucht, den Prozess des Alterns und Verschleißens von Gelenken aufzuhalten. Viele der Mittel im Umlauf können aber keinen stichhaltigen Nachweis erbringen, dass sie auch halten, was die Marketing-Abteilung verspricht.
Gelatine
Gelatine wird gepriesen: „Die Aminosäuren im Kollagen der Gelatine sind mit den Aminosäuren im Kollagen unserer Knorpelzellen identisch.“ Ja und? Gelatine bzw. Kollagen ist gar nichts Besonderes, etwa 30% des menschlichen Eiweißes besteht aus Kollagen. Es ist also ein hundsgemeines Feld-Wald-und-Wiesen-Protein. Kollagen setzt sich aus den Aminosäuren Prolin, Glycin und Hydroxyprolin zusammen, also nicht-essentiellen Aminosäuren. Die sind in jedem Eiweiß drin! http://de.wikipedia.org/wiki/Kollagen Vielleicht kennen Sie den Inhaltstoff aus Gummibärchen. http://blaue-gummibaerchen.blogspot.de/2009/05/die-inhaltsstoffe-des-gummibarchens.html. „Gelatine ist in Apotheken, Drogerien und Reformhäusern erhältlich.“ Oder im Lebensmittelhandel. Oder Sie lassen es ganz sein, denn eine Wirksamkeit bei der Verhinderung von Arthrosen ist nicht nachgeweisen.
Grünlippmuschel
Die Grünlippmuschel soll wahre Wunder wirken. Sie kommt in Neuseeland vor. „Wertvollster Bestandteil dieser neuseeländischen Muschel sind die Glykosaminglykane (GAG).“ Nein, denn der größere Teil der 60.000 Tonnen Grünlippmuscheln, der in den Handel kommt, wird einfach verzehrt, denn die Muschel gilt als Delikatesse und wird deshalb in großen Aquakulturen gezüchtet. Die Grünlippmuschel wird interessanterweise die Miesmuschel Neuseelands genannt. Unter Glykosaminglykanen fasst man z.B. Hyaluronsäure, Chondroitinsulfat, von denen hier noch die Rede sein wird, und weitere zusammen. Hyaluronsäure, Chondroitinsulfat, Kollagen, Glukosamin und weitere werden in immer neuen Mischungen vermarktet. Diese Stoffe sind seit Jahrzehnten bekannt, aber den Beweis für die Wirksamkeit haben sie nicht erbracht. Oft liegt es daran, dass die Studien nur über kurze Zeiträume durchgeführt werden. Irgendwelche Surrogat-Parameter haben sich dann geändert und es wird eine Wirksamkeit angenommen. Dies ist aber eine unzulässige Schlussfolgerung. Es wären Studien zu fordern, wie sie auch in der Medizin bei der chronischen Polyarthritis durchgeführt wurden. Vor etwa 1 ½ Stunden hat mir eine Pharmareferentin eine Studie mit 7-Jahres-Daten eines Medikaments zur Behandlung der chronischen Polyarthritis vorgelegt. Bei der japanischen Studie, die z.B. Chondroitinsulfat und Glukosamin untersuchte (N. Kanzaki et al.: Effect of a dietary supplement containing glucosamine hydrochloride, chondroitin sulfate and quercetin glycosides on symptomatic knee osteoarthritis: a randomized, double-blind, placebo-controlled study. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21969261), ist der Zeitraum von 16 Wochen deutlich zu kurz gewählt worden. Es müsste nach Jahren festgestellt werden, ob es zu weniger ausgeprägten Arthrosen oder weniger Implantationen von künstlichen Gelenken gekommen ist.
Ernährung
Mit Ernährung kann man einiges erreichen, aber bitte die Kirche im Dorf lassen. Und daran denken, eine Ernährungsumstellung benötigt auch lange Zeiträume, um überhaupt eine vorbeugende Wirksamkeit entfalten zu können.
Hier ist ein Text von mir zur Ernährung, der schon an anderer Stelle steht:
01. Die Nahrung sollte reich sein an ß-Karotin/Lycopin (z.B. Karotten/Möhren, Spinat, Feldsalat, Tomaten), Vitamin E (z.B. Öle, Nüsse, Samen) und Vitamin C (z.B. Paprika, Kiwi, Zitrusfrüchte), wahrscheinlich auch an Zink und Selen; dadurch werden freie Radikale, die den Verschleißprozess beschleunigen, besser abgebaut.
02. Weniger gesättigte, mehr mehrfach ungesättigte Fettsäuren, insbesondere omega-3-Fettsäuren (z.B. Leinsamen, Hanfsamen, Walnüsse und deren Öle sowie Sojaprodukte).
03. Bewegungsübungen für die Fingergelenke, auch in Wärme, verbessern die Ernährungssituation der Gelenke und führen zu verbesserter Beweglichkeit. In der Klinik benutzen wir z.B. Rübsamen, die man auf ca. 40° C erhitzen kann. Man kann aber auch angewärmtes Paraffin kneten. Die Zehengelenke kann man gut mit Greifübungen am Igelball trainieren.
04. Für die großen Gelenke haben sich gymnastische Übungen sowie Wandern, Radfahren, Schwimmen bewährt.
05. Vermeiden sollte man z.B. bei der Kniegelenksarthrose (Gonarthrose) übermäßiges Treppensteigen, da dadurch der Knorpel extrem belastet wird, während Gehen auf ebener Erde den Knorpel sogar besser ernährt.
Mehr steht auch noch hier: http://rheumatologe.blogspot.de/2012/06/rheuma-und-ernahrung.html
Teufelskralle
Die Teufelskralle gilt seit langer Zeit schon als effektiv, aber es geht auch darum, diese Wirksamkeit nachweisen zu können. Es stellt sich also folgendermaßen dar: das Präparat wird lange genug vertrieben, dass man sich gar nicht mehr die Mühe macht, nachzuschauen, was denn nun hinter den Aussagen steht.
In der Zusammenfassung einer Metaanalyse sagen die Autoren, daß definitive Aussagen zur Wirksamkeit und der Sicherheit weiterhin offen bleiben [„(1) Does it work? And (2) is it safe? A definitive high-quality trial that addresses the necessary methodologic improvements noted is needed to answer these important clinical questions.” http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17212570].
Öko-Test hat solche Produkte getestet, siehe hier: http://www.oekotest.de/cgi/index.cgi?artnr=97295;bernr=06;co= . Die Produkte schneiden schlecht ab! Auch FOCUS berichtete darüber: „Rausgeschmissenes Geld ist die Einnahme von frei verkäuflichen Gelenkkapseln bei leichter bis mittelschwerer Arthrose des Kniegelenks. Zu diesem Schluss gelangt die Zeitschrift „Öko-Test“ in einer Untersuchung.“ http://www.focus.de/gesundheit/ticker/test-gelenkkapseln-gegen-arthrose-helfen-nicht_aid_392514.html
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Sehr geehrter Herr Dr. Kirsch!
ReplyDeleteÖkotest ist eine absolut zweifelhafte Quelle, wenn es um wissenschaftliche Beurteilungen von Arzneimitteln geht!
Normalerweise mag ich es nicht, wenn man sich anonym meldet. Ich sehe Ökotest nicht als wissenschaftliche Quelle an, aber wenn die Wissenschaft sich nicht äußert, bin ich froh, wenn sich jemand außerhalb der Herstellerriege um einen Test kümmert. Und so ist der Test in der Zeitschrift Ökotest besser als kein Test und Marketing.
ReplyDeleteThis comment has been removed by a blog administrator.
ReplyDeleteWar Spam, habe ich leider früher übersehen.
DeleteGerade erreicht mich anonym folgender Text:
ReplyDelete„Hallo Rheumatologe: Gerne würde ich dabei sein, um einen Langzeittest durchzufühen. Gibt es Tests von Chemiebranche die belegen, dass Medikamente Arthrose und Gelenkprobleme bekämpfen oder verhindern?
In einem Blog sollte man ja nicht nur sagen, dass alles nichts bringt, sondern, falls vorhandene Test belegen, dass es durchwegs Wege gibt, die das Problem hinauszuzögern oder sogar verhindern“
Unklar ist, was mit Chemiebranche gemeint ist. Sinnvolle Medikamente gegen ein Fortschreiten von Arthrosen werden noch gesucht. Schmerzen kann man mit Schmerzmitteln bekämpfen. Wenn alles nichts bringt, dann muss man das auch sagen dürfen. Allerdings steht hier in diesem Blog auch, was sinnvoll ist und helfen könnte: http://rheumatologe.blogspot.de/2012/10/arthrose-definition-diagnose-und-dilemma.html