Monday, June 3, 2013

Ganzkörperkältetherapie



Es stand gerade in der WAZ und auch in der NRZ: „Gocher Ärztin kam mit Kältekammer aus dem Rollstuhl“. Der Artikel ist eine schamlose Werbung für die Praxis und eine zweifelhafte Therapieform („Ansonsten kann da jeder rein, egal in welchem Alter.“).
Bei der Ganzkörperkältetherapie sollen sich rheumatische Erkrankungen bessern, aber ein sicherer Nachweis für die Methode existiert nicht. „Das Thermometer zeigt unfassbare minus 90 Grad Celsius an“, schreibt Julian Wimmer. Nicht kalt genug, denn es sollten -110 °C sein.

Afshi Moheb stellte in einer Dissertation (Auswirkungen einer Ganzkörperkältetherapie von minus 80 Grad C, 2 min. auf T-Lymphozytenpopulation im peripheren Blut bei der rheumatoiden Arthritis (chronischen Polyarthritis) fest: „Im Rahmen der vorliegenden Studie konnte dagegen eine immunmodulatorische Veränderung der T4-Lymphozyten und T8- Lymphozyten nach einer einmaligen Ganzkörperkältetherapie bei minus 80 Grad C nicht nachgewiesen werden.“

Simone Rudolph stellte in einer Dissertation (Bestimmung des Beta-Endorphin-immunoreaktiven Materials (Beta-ED IRM) und des N-acetyl-Beta-Endorphin-IRM (NAC IRM) im Plasma bei gesunden Probandinnen nach einer einmaligen Ganzkörperkältetherapie (GKKT) bei -110 C über 3 Minuten) fest: „Die GKKT wirkt bei rheumatischen Erkrankungen analgetisch. Ebenfalls wird eine euphorisierende Wirkung diskutiert, wobei ß-ED dafür verantwortlich gemacht wird. [...] Es konnte keine signifikante Veränderung sowohl des ß-ED IRM als auch des NAC IRM nachgewiesen werden. [...] So ergeben sich keine Hinweise für eine Koinzidenz der Wirkung der GKKT auf die Analgesierung und die Befindlichkeit mit dem Auftreten des ß-ED im Plasma.“ Das heißt für mich, dass auch der euphorisierende Effekt, den man nachgewiesen hatte, eine ganz andere Ursache haben muss.

H.E. Hirvonen und Kollegen veröffentlichten eine Studie mit dem Thema: „Effectiveness of different cryotherapies on pain and disease activity in active rheumatoid arthritis. A randomised single blinded controlled trial.” Unter den Resultaten findet sich: “Plasma epinephrine was unchanged during both experiments, but norepinephrine showed significant 2-fold to 3-fold increases each time for 12 weeks after both cold exposures. Plasma IL-1-beta, IL-6 or TNF alpha did not show any changes after cold exposure.” Also änderten sich die entzündungsvermittelnden Zytokine (Botenstoffe) nicht. IL-1-beta, IL-6 und TNF-alpha werden in der modernen Rheumatherapie mittels Antikörper blockiert. IL-1-beta mit Anakinra, IL-6 mit Tocilizumab und TNF-alpha mit Infliximab, Etanercept, Adalimumab, Golimumab oder Certolizumab. Bei der Methode Kältekammer zeigte sich keine Veränderung dieser wichtigen Botenstoffe. Link: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/18382932  

Als sich jemand aus der Verwaltung im Rheinischen Rheuma Zentrum mit der Methode beschäftigte, wurde uns die folgende Studie vorgelegt: U. Lange und Kollegen: „Serielle Ganzkörperkältetherapie im Criostream bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen - Eine Pilotstudie“ (Medizinische Klinik (Nr. 6), 2008;103:383–8). Das Ergebnis der Studie ist völlig irrelevant, wenn wann weiß, dass nur 10 Patienten betrachtet wurden, die an drei unterschiedlichen Erkrankungen litten, von denen drei Prednisolon („Kortison“) erhielten und andere nicht, zu denen die begleitende Therapie (auch andere physikotherapeutische Maßnahmen) unklar ist. Die statistische Analyse ist fragwürdig bei der geringen Stichprobe. Die Autoren folgern: „Die Kryotherapie und speziell die Ganzkörperkältetherapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen steht auf fester naturwissenschaftlicher Grundlage.“ Dazu meinte Paulus: „Daher, wer zu stehen meint, sehe zu, dass er nicht falle (1.Kor 10,12).

Sicherlich gibt es positive Effekte, die bei der Ganzkörperkältetherapie entstehen, aber die entstehen bei einer Kegeltour auch. Die wissenschaftliche Grundlage ist bescheiden. Der Nachweis eines Therapieerfolgs sollte schon wissenschaftlich erfolgt sein, bevor die Methode eingesetzt und darüber hinaus abgerechnet wird. „1980 hatten Mediziner das Verfahren eingeführt – bis heute ist die Wirksamkeit noch nicht abschließend geklärt. Große medizinische Studien brauchen ihre Zeit“, schreibt Julian Weimer in seinem Artikel. Aber nicht über 30 Jahre!

Wenn Sie die Ganzkörperkältetherapie im Rahmen von Wellness einsetzen wollen, hätte ich nichts dagegen, aber als Therapiemaßnahme rate ich ab.

Link zum Artikel in der WAZ.: http://www.derwesten.de/staedte/nachrichten-aus-kleve-und-der-region/gocher-aerztin-kam-mit-kaeltekammer-aus-dem-rollstuhl-id7988833.html?ciuac=true  



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