Fibromyalgiesyndrom
Diagnose
Das Fibromyalgiesyndrom (FMS), oder kurz auch Fibromyalgie genannt, ist ein chronisches Schmerzsyndrom. Der Name besteht aus den Teilen Fibro-myo-algie, also Faser-Muskel-Schmerz. Das war der frühere Definitionsversuch der Erkrankung.
Wissenswertes
• Diagnose wurde von Smythe und Moldofsky in den 70iger
Jahren vorgeschlagen
• rund 2 % der Bevölkerung [0,7 – 10,8 %]
• Frauen etwa acht mal häufiger als Männer [6-10]
• Erkrankungsbeginn zwischen 25 und 50 Jahren
Definition
„Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder potentieller Gewebeschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird.“
International Association for the Study of Pain, 1979
Schmerz im Alltagsgebrauch
• Ausdruck von seelischem und körperlichen Leid
• Du hast mir weh getan
• Du hast mich verletzt
Patienten-Arzt-Interaktion
• körperlich erlebte Schmerzen werden auch als körperlich verursacht vorgebracht (erlerntes Verhalten)
• Idee: der Arzt würde den Patienten sonst nicht ernst nehmen
Chronisches Schmerzsyndrom
„Schmerz (lat. dolor, griech. ἄλγος, álgos) ist eine komplexe subjektive Sinneswahrnehmung, die als akutes Geschehen den Charakter eines Warn- und Leitsignals aufweist und in der Intensität von unangenehm bis unerträglich reichen kann. Als chronischer Schmerz hat es den Charakter des Warnsignales verloren und wird in diesem Fall heute als eigenständiges Krankheitsbild (Chronisches Schmerzsyndrom) gesehen und behandelt.“ Wikipedia
• komplex
• subjektiv
• Warnsignal
Schmerzarten
Daniel J. Clauw stellte bei einem Vortrag auf dem Kongress der amerikanischen Gesellschaft für Rheumatologie 2010 in Atlanta dieses (sehr sinnvolle) Modell vor. Es handelt sich um eine mechanistische Charakterisierung von Schmerzen. Wichtig ist, dass diese Einteilung auch die Kombination verschiedener Schmerztypen beinhaltet, d.h. es ist kein ausschließendes sondern einschließendes Modell, beim individuellen Menschen kann jede Art der Kombination vorliegen. Der nozizeptive oder periphere Schmerz beruht auf dem direkten Reiz des Nozizeptors (Schmerzrezeptor der Nervenfaser).
Neuropathische Schmerzen, auch Neuralgien genannt, entstehen durch Schädigung peripherer Nerven, also der Nervenfasern. Das kann auf die folgenden Weisen geschehen:
• mechanisch, z.B. bei Bandscheibenvorfall
• entzündlich, z.B. bei Herpes zoster (Gürtelrose)
• metabolisch, z.B. bei Diabetes mellitus (Zuckererkrankung)
• aktinisch, d.h. durch Strahlung, z.B. nach Bestrahlung im Rahmen der Krebstherapie
• chemisch, z.B. bei Verätzungen.
Hinzu kommt noch ein dritter Typ, der nicht-nozizeptive oder zentrale Schmerz. Dieser Schmerz ist durch eine zentrale Störung der Schmerzverarbeitung gekennzeichnet und führt zu Hyperalgesie (überschießender Schmerzstärke) und Allodynie (Schmerzen bereits bei leichtem Reiz, wie z.B. Streicheln, der eigentlich nicht zu Schmerzen führen sollte).
Schmerzmessung
Schmerzen kann man nur subjektiv messen. Mit eine Numerischen Rating Skala (0-10) oder einer Visuellen Analog Skala (0-100 mm).
Tenderpoints
Die Tenderpoints gehören einer anderen Zeit an. Wir prüfen sie auch weiterhin, aber sie sind nicht die Diagnose. Sie zeigen lediglich auf, dass Schmerzen von Kopf bis Fuß bestehen.
Weitere Beschwerden
Es können weitere Beschwerden vorliegen:
• Angstgefühle
• Atembeschwerden
• Blasenbeschwerden
• Darmbeschwerden
• Depressive Verstimmung / Niedergeschlagenheit
• Gefühlsstörungen
• Herzbeschwerden
• Kältegefühl in Händen
• Kloßgefühl im Hals
• Konzentrationsstörungen
• Kopfschmerzen
• Magenbeschwerden
• Menstruationsbeschwerden
• Neigung zum Schwitzen
• Schlafstörungen
• Schluckstörungen
• Schwindel
• Vermehrte Müdigkeit
• Verminderte Leistungskraft
Schlafstörung
Ein wichtiges Merkmal ist die Schlafstörung. Der Schlaf ist häufig unterbrochen, nicht erholsam, zwischen verschiedenen Schafstadien wird hin- und hergewechselt, die Schlafarchitektur ist zerstört, die Tiefschlafphase fehlt vollständig, der REM-Schlaf kommt nicht zum richtigen Zeitpunkt, usw.
Klassifizierungs-/Diagnose-Kriterien
Somatische Befunde
Wichtig ist die Tatsache, dass somatische Befunde nachweisbar sind. Sie wurden bei Patienten mit Fibromyalgiesyndrom gefunden, aber sie sind nicht ausschließlich bei diesen Patienten zu finden, eignen sich also nicht für die Diagnosestellung. Sie können aber als Hinweis darauf angeführt werden, dass es sich beim FMS um eine Erkrankung handelt, die nicht eine Modeerscheinung ist, sondern die zu nachweisbaren Veränderungen führt:
• T102C-Polymorphismus des 5-HT2a-Rezeptorgens und weitere genetische Befunde (Nachweis erblicher Faktoren)
• Erhöhung von Substanz P im Liquor (dadurch werden Nervenimpulse besser fortgeleitet)
• Störung im Serotoninstoffwechsel (wichtiger Botenstoff)
• Störungen in der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (eine Regelachse zwischen Gehirn und Nebennieren)
• Enthemmte Antwort in der Messung evozierter Potentiale (EEG/Hirnstromkurve nach Schmerzreizen)
• fMNI – Vergrößerung sensorischer Kortex (Veränderungen im Gehirn, nachgewiesen in der Kernspintomografie)
• fMNI – Unterschiede in der Aktivierung der Areale der Schmerzverarbeitung (Kernspintomografie)
• Bei Frauen erhöhter Prolaktinspiegel und erniedrigter Oestrogenspiegel
Gefährdung für eine Chronifizierung
Körperliche Befunde spielen nach aktueller Evidenzlage eine untergeordnete Rolle.
Psychosoziale Faktoren sind hingegen wichtige Vorhersagewerte:
• Schmerzbezogene Angst, Katastrophieren
• Depressivität
• Vermeidung körperlicher Aktivität
• Arbeitsplatzprobleme, geringe Arbeitszufriedenheit
• Rentenanliegen
• passive Behandlungserwartung
Schmerzmodell
René Descartes hatte vor etwas 350 Jahren schon eine richtige Vorstellung vom Schmerz. Feuer löst am Fuß einen Schmerz aus und der wird über Nerven ins Gehirn geleitet. Aber diese Vorstellung wird nicht allen Aspekten von Schmerz gerecht, deshalb wird mittlerweile ein sehr viel komplexeres Modell (Bio-psycho-soziales Modell) benutzt. Allerdings kann man, scherzhaft gesehen, aber weiterhin noch eine weite Verbreitung des Modells von Descartes finden.
Fibromyalgiesyndrom
Zusammenfassend ist das Fibromyalgiesyndrom:
• ein Syndrom unterschiedlicher Erscheinungen
• Schmerzen stehen im Vordergrund
• Frauen sind häufiger betroffen
In Routineuntersuchungen:
• Keine pathologischen Laborwerte
• Keine pathologisches Rö / CT / MRT / Sono
• Keine pathologischen Histologiebefunde
Therapie
Ist Fibromyalgie operierbar?
Fangen wir mit den Schattenseiten der Medizin an:
Ist Fibromyalgie operierbar? Natürlich nicht. Die Operationen haben allerdings einen hohen Plazeboeffekt. Wissenschaftliche Studien gibt es nicht. Das Verfahren widerspricht sich selbst. In der traditionellen chinesischen Medizin gibt es keine Operationen. "Verklebte Akupunkturpunkte", die durchgespült werden müssten entspringen der Phantasie von Herrn Dr. Bauer.
Pregabalin-Studie
An einer Studie zu Pregabalin läßt sich das Problem aufzeigen. Bei der Gruppe mit 150 mg/Tag (13,0%) zeigt sich gegenüber Placebo (13,2%) kein Unterschied, bei der Gruppe mit 300 mg täglich (18,9%) ist ein nicht-signifikanter Unterschied feststellbar und erst bei 450 mg täglich 28,9%) ist ein signifikanter Unterschied festzustellen. Als Besserung wurde eine Verbesserung Wertes der Schmerzskala um mehr als 50% festgelegt. Also hatten 71,1% keine Besserung (Besserung definiert als eine Reduktion um über 50% des Ausgangswertes auf der Schmerzskala)! Wenn man nur eine Nebenwirkung, nämlich den Schwindel betrachtet, zeigt sich ein interessantes Bild: Placebo 14%, 150 mg 30%, 300 mg 42% und 450 mg 65%. Es hatten also ungefähr doppelt so viele Studienteilnehmer über Schwindel geklagt als Wirkung nachweisbar war. Das lohnt sich also nicht!
(Crofford, LJ, et al. Arthritis Rheum. 2005;52:1264-1273)
AMWF Leitlinie
Mittlerweile gibt es eine überarbeitete S3-Leitlinie für Fibromyalgie
Medikation
Psychotherapie / Edukation
Hierbei ist anzumerken, dass etwa die kognitive Verhaltenstherapie und weitere mehr in Einzelstudien sehr gut abschneiden, aber nicht doppelblind und in großen Studien konsekutiv durchgeführt werden können, da sie motivationsabhängig sind, d.h. für diejenigen, die für diese Therapie ausgewählt wurden, ist die Chance hoch, auch erfolgreich zu sein.
Komplementäre Therapieverfahren
吴宁而中国的针灸家 – das ist der Hinweis für Gespräche, die ich zur Akupunktur geführt habe. Eine chinesische Ärztin in Düsseldorf sagte mir bereits vor ca. 10-11 Jahren, dass sie Akupunktur nicht bei Fibromyalgie einsetze. Vor einigen Jahren hatten wir eine chinesische Gastärztin bei uns, die auf die Frage sofort in Qingdao beim Chef der TCM in ihrem Krankenhaus angerufen hatte, aber auch der teilte mit, dass sich Akupunktur nicht erfolgreich beim FMS einsetzen lasse. Das verwundert auch nicht, denn Homöopathie, Akupunktur, Reiki und Fußreflexzonenmassage sind Glaubenssysteme und sollten deshalb in der Medizin nicht eingesetzt werden. Ob darüber hinaus jemand in die Kirche zum Beten um Gesundheit geht oder diese Systeme einsetzt, bleibt jedem offen. Die wenigen Studienergebnisse sind jedoch ernüchternd.
Physikalische Therapie
Zusammenfassend aktivierende Methoden bevorzugen: Bewegungsbad, Medizinische Trainingstherapie, funktionelles Training, Walking etc. Wichtig sind zwei Dinge: 1. Schmerz ist nicht Abbruchsgrund und 2. alles im Wohlfühlbereich, das ist der mittlere Bereich. Also das Alles-oder-Nichts-Prinzip soll überwunden werden.
Take home messages / Quintessenz
• Schmerzen sind komplex
• Nicht nur nozizeptive Schmerzen behandeln
• Viele Schmerzen reagieren nicht auf Medikamente
• Die Schmerzchronifizierung nicht unterschätzen