Friday, June 20, 2025

K. und der Bahnhof

K. wachte in einem altmodischen Bahnschalter auf. Er war irgendwie benommen, aber er blickte sich vorsichtig um und sah vor sich ein Blatt mit einer Liste von Anweisungen. K. sollte sich mit der Umgebung vertraut machen; es kämen zwei Züge am Tag, die er abfertigen müßte. Außerdem wäre der Bahnhof zu säubern, der Schalter eine Stunde vor der Ankunft des Zuges zu öffnen, damit Auskünfte zum Fahrplan erteilt und Fahrkarten verkauft werden könnten. Dann müßte er die Schranken schließen und am Zug stehen, wofür es Markierungen gäbe. Morgens müßte er am Ostende des Bahnsteigs stehen und abends am Westende und jeweils in die Fahrtrichtung schauen. Soweit lauteten seine Anweisungen.
    Er blickte sich um. Es handelte sich um einen altmodischen Schalter mit Gitterstäben, die nach unten und oben kunstvoll gebogen waren. Es gab keine Glasscheibe, aber unten war eine enge Öffnung, durch die Geld und Fahrkarten gereicht werden konnten. Er schaute sich nach hinten um und sah den Eingang zu einem Raum hinter dem Schalter. Dort war auch eine Toilette. Dies war der Raum, in dem er sich nach Erledigung seiner Pflichten aufhalten sollte. Neben der Schalteröffnung gab es eine weitere Tür, die in den Warteraum führte. Im Warteraum sah K. eine große, altmodische Uhr. Außerdem waren dort zwei Holzbänke, die Rücken an Rücken standen mitten im Raum. Es gab zwei Schwingtüren, wie man sie in einem Saloon im Wilden Westen erwartet hätte. An eine Korkwand war ein alter Fahrplan geheftet. Er vergilbt, verschlissen, an den Rändern bereits eingerissen. Darüber war schräg ein Zettel mit der Aufschrift „ungültig“ geklebt. Dieser Zettel wirkte fast noch älter, brüchiger, vergilbter, zerfallener als der Plan selbst. Aber K. konnte dem Plan entnehmen, daß früher hier viel mehr Züge gefahren waren und auch Station gemacht hatten. Der ging hinaus vor den Bahnhof. Dort war einer Steppe, eine Wüste, eine Wüstenei, eine Ödnis zu sehen. Kein Baum oder Strauch, soweit das Auge reicht, keiner Erhebung, alles flach. Weder Straße noch Wege und keinen Hinweis auf eine Ortschaft konnte K. entdecken. Vor der vor dem Bahnhof war ein leerer Parkplatz; fast hätte er dort eine Pferdestange erwartet. Aber nein, da war nur ein Parkplatz, den teilweise mit Staub und Sand überweht hatten; man konnte gerade noch die Markierungen für die einzelnen Plätze erkennen. Er ging wieder zurück durch die Schwingtür, die knarrte, da deren Angeln verrostet und nicht geölt waren, durch den Warteraum auf den Bahnsteig. Es gab nur einen Bahnsteig, der wie die Gleise in ostwestlicher Richtung verlief. Der Bahnsteig war ganz wie der Bahnhof selber aus Beton und Stein, also kein zerfallener Bahnhof aus Holz, wie man ihn im Wilden Westen erwartet hätte. Der Bahnsteig war überdacht. Es gab nur einen einzelnen Schienenstrang. An einem Ende waren zwei Schranken, die man mit Kurbeln betätigen mußte. Eine Straße aber war nicht mehr erkennbar. K. machte sich nun daran, den Bahnhof und den Bahnsteig zu kehren, die Toilette im Wartebereich zu säubern. Dann war es auch nahezu so weit, daß der erste Zug, nämlich der Abendzug kommen sollte. K. hoffte alles richtig gemacht zu haben.
    Er öffnete nun den Schalter und wartete. Hatte er wirklich einen Fahrgast erwartet? Es kam niemand. Schließlich rückte der Zeitpunkt der Ankunft des Zug näher. K schloß den Schalter, ging hinaus und kurbelte die Schranken herunter. Dann stellte er sich in die kreisförmige Markierung, so wie es die Anweisung vorsah. Der Zug kam und hielt an. Der Zug wurde von einer Dampf-Lokomotive gezogen und die Bremsen quietschten erbärmlich. Niemand stieg aus. Niemand gab ihm ein Zeichen. Nichts passierte. Nach etwa ein bis zwei Minuten gab es einen Pfiff der Lokomotive und mit einem Fauchen und schwarzem Rauch fuhr der Zug an und entfernte sich. K. blickte dem Zug hinterher, bis er in der Weite der geraden Strecke nicht mehr erkennbar war. K. ging dann zu den Schranken und kurbelte sie beide hoch. Nun war nichts weiter zu tun. Die Nacht war schon hereingebrochen und er ging in das Hinterzimmer, wo sein Nachtmahl auf ihn wartete. Er aß, benutzte die Toilette, legte sich auf das Bett und schlief ein. Am nächsten Morgen wachte er auf und fand sein Frühstück, das er auch sogleich einnahm.
    So ging es dann eine Weile. Morgens kam ein Zug und abends kam ein Zug. Und K. machte alles so, wie es vorgeschrieben war. Es stellte sich eine gewisse Routine ein. In dieses Routine fand K. immer mehr heraus. Morgens fuhr der Zug nach Westen und abends nach Osten. Niemand besuchte je den Bahnhof oder den Parkplatz. Es fand keine Kommunikation statt. Es gab ein Telefon im Schalterraum, aber die Leitung war tot. Er konnte nicht anrufen und er wurde auch nicht angerufen. Vom Zug erfuhr er ebenfalls nichts. Niemand vom Personal stieg aus, um ihm etwas mitzuteilen. Er sah überhaupt kein Personal. K. konnte auch nicht fort von dem Bahnhof. Einmal ging er nach Norden und es dauerte nicht lange, da kam er vom Süden zurück zum Bahnhof, ohne die Gleise je überquert zu haben. Der Zug hält regelmäßig, tutet und fährt ab. Niemand steigt je aus, niemand steigt je ein. K. hat nie eine Person im Zug erkennen können. K. wartete Zug um Zug ab. Er stand immer wieder in der Hitze morgens und abends, schaute dem Zug nach, wischte sich den Schweiß von der Stirn und setzte die Schirmmütze wieder auf.

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