Monday, June 16, 2025

Eröffnungskonzert „Spannungen“ im Kraftwerk Heimbach (Eifel)


Ich hab zwar koa Ahnung, was Musik ist,
denn ich bin beruflich Pharmazeut –
aber ich weiß sehr gut, was Kritik ist:
Je schlechter, desto mehr freun sich die Leut‘!
Georg Kreisler [1]


Gestern ( 15.06.2025) war es soweit, das Eröffnungskonzert von „Spannungen“ fand im Urftkraftwerk Heimbach (Eifel) statt. Mehr zufällig war ich anwesend. Ich fand heraus, daß man über den Großen Kermeter (sehr schöne Waldstrecke) aus Richtung Gemünd nach Heimbach fahren konnte, da die Strecke über Mariawald gesperrt war. Auf den Parkplatz wurde man wie auf einer Fähre eingewiesen; herzlichen Dank an dieser Stelle den Organisatoren, denn wer je das Parkhaus der Kölner Philharmonie benutzen mußte, weiß solch eine professionelle Einweisung zu schätzen, insbesondere bei der Abfahrt. Der Großteil der Autos hat Kennzeichen mit AC, DN und BM.


Das Kraftwerk ist bereits sehenswert, da es sich um ein gut erhaltenes Jugendstil-Gebäude handelt [2]. Man kann die alten Steuerungs-Paneele noch bewundern. Das Kammermusik-Festival „Spannungen“ wurde 1998 von Lars Vogt [3] gegründet. Er leitete das Festival bis 2022 [4]. Die Atmosphäre Kraftwerk erinnerte mich an die Brücke auf einem Schiff. Und sofort war ich auf der Titanic - im letzten Konzert wohlgemerkt. Das diesjährige Motto lautet: Das Echo der Zeit.

Wahrscheinlich war ich der einzige, der sich nicht auf das Konzert vorbereitet hatte. Die Musiker, die Moderatorin (Maja Ellmenreich), das Organisationsteam, der Ton und insbesondere das Publikum -: alle hatten sich vorbereitet, nur ich nicht. Wahrscheinlich eigne ich mich deshalb am besten über dieses Konzert zu schreiben. Ich meine, ich komme dem Kritikerideal von Georg Kreisler als Arzt doch sehr nah heran. Es gibt einen humoristischen Text zu Kritikern von Kurt Schwitters, der mich einmal im Lesesaal der Kölner Universitätsbibliothek (UB) fast um den Verstand gebracht hattee, denn ich wollte nicht laut loslachen, hielt die Luft an und prustete dann los [5].

Ich kam nicht umhin, die Zuschauer genauer zu betrachten -: man trifft sich, ist jovial, viel welkes Fleisch, Kurkonzert, Zombies, DAS Event, Rentner-Dasein, „ich bin Künstler:in“ oder war es „ich bin Medienschaffende:r?  Verzogene oder gebeugte Gestalten, Osteoporose, Gibbus, steifer Gang („Wir sind die Roboter“), ein Hörgerät piepst, fragile alte Damen, schweres Parfüm, bei dem die Obernote fehlt. Genug der bösen Worte! Das ist der äußere Eindruck. Das Innere ist ganz anders, denn es schön und unterstützenswert, wenn sich ältere Menschen zu kulturellen Veranstaltungen begeben.

Und dann wurde musiziert. Es war schön. Kommen doch auch Sie im nächsten Jahr, denn aktuell wird es kaum noch Karten geben, aber geben Sie den Versuch nicht vorschnell auf. Apropos vorschnell -: hier fehlt doch was! Ich komm' noch drauf.

Trio für Violine, Viola und Violoncello von Gideon Klein [6]

Es spielten Christian Tetzlaff (Violine), Jan Larsen (Viola) und Krzysztof Michalski (Violoncello). Jan Larsen fuhr sich zwischen den Sätzen durch das schüttere Haar und die Stirn, um den Schweiß fortzuwischen, aber so heiß war es eigentlich nicht. Dafür fuhr sich der Krzysztof Michalski während des Spiels über die Nase. Ja, ich bemerke jede am Thema vorbei gehende Einzelheit. Und niemand hatte mich gewarnt, daß man beim Zuschauen der Kopfbewegungen der Musiker seekrank werden kann. Der frenetische Beifall war gerechtfertigt, wenn ich auch fast ein Knalltrauma erlitten habe. Ich empfand eine Zerrissenheit, medizinisch ausgedrückt ein Wechsel zwischen Manie und Depression oder „himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt“, aber das wäre ja Goethe. Erst hinterher beschrieb Christian Tetzlaff das Stück ganz anders. Die wichtige Information, daß Gideon Klein [7] das Stück 1944 im Ghetto Theresienstadt geschrieben hat, kam für mich erst nach der Aufführung, so daß ich nicht weiß, ob sein Tod im KZ Fürstengrube (was für ein Name!) mich zu einer anderen Rezeption geführt hätte. Aber das Stück paßte als Echo der Zeit hervorragend ins das Konzept.

24 Préludes op. 28 von Frédéric Chopin
Das Konzert des Pianisten Leif Ove Andsnes war ausgesprochen gut. Bei der Prélude Nr. 4 erinnerte ich mich an den Film „Ein Mann und eine Frau“ (Un homme et une femme) von Claude Lelouch [8], den ich in den 1970iger Jahren gesehen hatte, und jetzt auch noch Truffaut zugeordnet hatte. Allerdings erinnerte ich mich ziemlich gut an Anouk Aimée. Andererseits kam die Musik von Chopin überhaupt nicht darin vor! Wer das Stück nicht kennt, kann es sich hier [9] anhören, leider nicht von Leif Ove Andsnes, denn die Konzertaufzeichnung sendet der Deutschlandfunk erst am 13.07.2025 [10]. Die Musik Chopins spielt im Film „Der Pianist“ von Roman Polański [11] eine Rolle. Der Film entstand nach der Autobiografie „Der Pianist – mein wunderbares Überleben“ (Originaltitel: Śmierć miasta) des polnischen Pianisten und Komponisten Władysław Szpilman. Aber ich habe diesen Film nicht gesehen.
Chopin hatte Teile der Préludes auf Mallorca (Valldemossa) geschrieben, wo er den Winter 1838/39 zusammen mit Geoge Sand und ihren Kindern verbracht hatte [12]. Und mir ging durch den Kopf ein Wintersturm, der über die Insel braust, dunkel und kalt. Dann sah ich die Mandelblüte im Frühling, schließlich ein Paar am Strand, sie in Weiß und er in Schwarz, Frack. Sie trug einen weißen, langen Schale aus einem weichen Stoff, in dem sich der Wind fing und ihn wie eine Fahne von ihr wegtrieb. Der Mann hingegen nahm ihre Hand und küßte sie – wie romantisch! Regenwolken, die an der Insel vorbeizogen und die Fischer, die zurück in den Hafen kamen. Wunderschön, wie die Interpretation gehobener Musik Phantasiegebilde evozieren kann.

Pause
Viele (die meisten) Zuschauer gingen hinaus zum Merchandising. Pausengespräch -: „Wie alt ist die Anita jetzt?“ „41.“ Pausenrückkehrer -: kein Parfüm, es riecht nach Ouzo.

Quintett für zwei Violinen, zwei Violen und Violoncello g-Moll, KV 516, von Wolfram Antonius Mozart [13]
Die Moderatorin las als Einführung einen Brief von Wolfgang Amadeus Mozart an seinen Vater Leopold Mozart vor. Während des Konzerts selbst dachte ich an Hana Chang, deren Name für mich japanische und chinesische Elemente hat, aber es spielte doch die Koreanerin Hyeyoon Park. Außerdem ist Hana Chang Amerikanerin; Hana
und Chang . Es war ein außerordentlich ordentlich gespieltes Konzert. Für Einzelheiten zum Stück selbst schauen Sie einmal in Ihren Konzertführer oder hier [14]. Standing ovations! Ich war zu begeistert, um weitere Notizen zu machen.


Zugabe
Ja, die gab es auch. Man zeigte auf der Leinwand bzw. Bildschirmen den letzten Soloauftritt von Lars Vogt vor drei Jahren (Brahms). Die allgemeinde Rührung war groß und gar nicht unerträglich. Hach!

Ich gebe gerne Geheimtipps für die Eifel. Die Veranstaltung ist kein Geheimtipp, denn sie ist sehr bekannt. Aber mein Tipp: buchen Sie im nächsten Jahr rechtzeitig!





Links und Anmerkungen:
[1] Aus: Der Musikkritiker / Text/Musik: Georg Kreisler (1959)
https://www.georgkreisler.info/song/der-musikkritiker.html 
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Kraftwerk_Heimbach 
[3] Lars Vogt (1970-2022) war ein deutscher Pianist, Dirigent und Musikprofessor. https://de.wikipedia.org/wiki/Lars_Vogt 
[4] Diese Jahreszahl ist in [2] mit 2002 angegeben, also fehlerhaft!
[5] („Der Künstler schafft, während der Kritiker schaaft.“) In: Kritiker Tran 27  https://lyrikwiki.de/mediawiki/index.php/Kritiker_(Schwitters) 
[6] Sämtliche Angaben nach: https://www.spannungen.de/konzerteinfuehrung-sonntag-eroeffnungskonzert-pedro-obiera/   
[7] Gideon Klein (1919-1945) war ein tschechisch-jüdischer Komponist und Pianist. https://de.wikipedia.org/wiki/Gideon_Klein 
[8] „Ein Mann und eine Frau (Originaltitel: Un homme et une femme) ist ein Film von Claude Lelouch aus dem Jahr 1966. Der Film gilt als Klassiker des französischen Kinos und wurde in den Kategorien Bester fremdsprachiger Film und Bestes Originaldrehbuch mit einem Oscar prämiert.“ Mit Anouk Aimée als Anne Gauthier und Jean-Louis Trintignant als Jean-Louis Duroc.
https://de.wikipedia.org/wiki/Ein_Mann_und_eine_Frau  
[9] Khatia Buniatishvili - Chopin - Prelude No 4 in E minor, Op 28
https://www.youtube.com/watch?v=JDZ_DlNfsWk   
https://www.youtube.com/watch?v=yvn4k1nYRaw 
Mir gefällt die zweite Aufnahme besser.
[10] Deutschlandfunk / Kammermusikfest Spannungen 2025 / Sendezeit     So, 13.07.2025 | 21:05 - 23:00 Uhr / https://interface.phonostar.de/radio/kammermusikfest-spannungen-2025/v/230409/2025-07-13 
[11] Übrigens -: drei Oscars! https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Pianist 
[12] https://en.wikipedia.org/wiki/Preludes_(Chopin)  
[13] Geschenkt! Ich dachte ich probiere es einmal. Es spielten Christian Lafette (Violine), Hyeyoon Park (Violine), Rachel Roberts (Viola), Jan Larsen (Viola) und Krzysztof Michalski (Violoncello). 
[14] https://www.kammermusikfuehrer.de/werke/1305 

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