Ich habe kürzlich das Buch Heilen mit Chinatees von Li Yongkang [1] zu Gesicht bekommen. Das Vorwort weckte bei mir noch keinen Verdacht, aber dann wurde es immer deutlicher: das Buch hat kein Chinese geschrieben, jedenfalls meine ich, dafür genügend Indizien zu finden – beweisen kann ich es selbstverständlich nicht.
Unter „Über dieses Buch“ [2] finden wir folgenden Eintrag: „Professor Dr. Li Yongkang, Jahrgang 1950, entstammt einer der ältesten Ärztedynastien in China.“ Mit dem Hinweis auf Ärztedynastien ist man im China nach der Kulturrevolution bis zur Jahrtausendwende noch sehr vorsichtig gewesen. Aber gibt es den Mann denn überhaupt. Yongkang, der Vorname, wird mit „ewig gesund“ übersetzt – das wären die Zeichen 永康, also 李永康. Und einen Professor Li Yongkang gab es an der Universität Wuhan [3]. Diese chinesische Biografie ist kurz gefaßt aber sehr genau, ich entnehme ihr sogar, daß Li Yongkang 175 cm groß und 65 kg schwer war. Als Geburtsdatum wird der 21.07.1952 genannt. Ist der Herr Professor bereits so vergeßlich, daß er sein Geburtsjahr nicht mehr weiß? Ich glaube eher, daß man an seinen Namen über die Teilnahme am AIDS-Kongress in Vancouver 1996 gekommen ist – auch das kann ich nicht beweisen.
Im weiteren Text finden sich westliche Stereotypien zu China. „Generation für Generation hielt das Altbewährte … fest … in Büchern ...“ – das war sicherlich nicht so. Nur wenige Schriften in Bronzegefäßen haben direkt überdauert, andere sind kopiert worden; dies geht etwa 3000 Jahre zurück [4]. Im nächsten Absatz wird Hildegard von Bingen erwähnt. Ich wage zu bezweifeln, daß eine christliche Nonne des Mittelalters in Kreisen der Traditionellen Chinesischen Medizin der Volksrepublik China in den 1990iger Jahren Diskussionsthema war. Und dann ist von „den Chinesen“ die Rede. So rede ich doch nicht von mir selbst – als Chinese.
„Ebensowenig wenig wie ein Europäer auf die Idee käme, Nahrung als Medikament einzusetzen, ...“. Hippokrates ist ein Europäer und von der Alternativmedizin habe ich das Zitat gelernt: „Eure Nahrungsmittel sollen eure Heilmittel sein und eure Heilmittel sollen eure Nahrungsmittel sein.“
Dann taucht Shen Nong (神農) als Chen Nung („er soll 2697 vor unserer Zeitrechnung gestorben sein“) auf. Shen Nong zählt zu den legendären Kaisern und seine Historizität wird auch im chinesischen Wikipedia-Artikel angezweifelt, so daß man eher von einem Klan als einer Einzelperson ausgeht [5]. Dies sollte einem chinesischen Universitätsgelehrten bekannt sein. Später im Buch erscheint Shen Nong als Shen Nung [6].
Unter „Lebenselixier grüner Tee“ lese ich: „Ebenfalls japanische Wissenschaftler haben ...“. Wenn es um chinesische Belange geht, werden japanische Quellen nicht so gerne zitiert, jedenfalls im China der 1990iger Jahre.
Unter „Chinesische Heilpflanzen für Ihre Gesundheit“ finde ich den Eintrag „Aprikosen (Sing Ren)“. Xìngrén (杏仁) bedeutet Mandel und es wird nicht deutlich zwischen Mandeln und Aprikosenkernen unterschieden. Das hätte Professor Li allerdings getan.
Es findet sich der Eintrag „Kohlportulak (Ma Chi Xian)“. 马齿苋 (Mǎ chǐ xiàn) ist einfach Portulak. Den Begriff Kohlportulak habe ich noch nie zuvor gesehen.
„Kugelblume (Quian Ri Hong)“ - ein weiterer Hinweis, daß hier niemand am Werk war, der Kenntnisse in Chinesisch hat. Quian müßte Qian sein und die Pflanze ist dann Qian Ri Hong (千日紅), also Echter Kugelamaranth [7], botanischer Name: Gomphrena globosa. Die Kugelblume oder Echte Kugelblume (Globularia bisnagarica) kommt in China überhaupt nicht vor.
„Grüner Tee enthält viel Zink“ und „... ist grüner Tee reich an Kalzium und Fluor“ sind auch Ideen, die wissenschaftlicher Prüfung nicht standhalten. 200 ml Tee enthielten in einer Studie 0,3 g Kalzium [8] – das entspricht 0,15 % der empfohlenen täglichen Aufnahme (RDA).
Die Ideen zu grünem, schwarzem und rotem Tee sowie Pu-Erh-Tee sind ähnlich wie in dem Buch zu Pu-Erh-Tee, das ich schon beschrieben hatte [9]. Hier noch eine Perle: „Lipämie ist eine Krankheit, bei der Fetteiweiße im Blut krankhaft erhöht sind, ...“. Sie können sich das Nachschlagen im Duden ersparen – das Wort gibt es nicht. Vielmehr bezeichnet man als Lipämie die Erhöhung der Neutralfette im Serum, wodurch es eine milchige Trübung annimmt.
Stellen wir uns die Frage: warum sollte Li Yongkang so ein Buch schreiben? Wenn wir uns den Zeitraum 1992-1997 anschauen, dann hat er damals einen Wissenschafts- und Technologiefortschrittspreises der Provinz Yunnan gewonnen und war beteiligt bei den Gründungen des Yongkang TCM Beauty Salons, des Yongkang TCM Specialized Hospitals, der Yongkang TCM Beauty and Health Care Chain Institutions des Yongkang Institute of Traditional Chinese Medicine, des "HIV" Research Centers, der Yunnan Yongkang Pharmaceutical Co., Ltd. und eines Kräuterforschungszentrums gegründet, das sich mit der Entwicklung und Anwendung konzentrierter Nahrungsergänzungsmitteln und pflanzlicher Kosmetik beschäftigt. Ich kann keinen Grund für Li Yongkang sehen, so ein Buch zu schreiben. Es ist in seiner Biografie auch nicht erwähnt. Ich stelle mir eine weitere Frage: wann soll er es geschrieben haben?
Die chinesischen Zeichen auf dem Buchumschlag stammen nicht aus China. Die Bilder auf den Seiten 28 und 50 sind spiegelverkehrt – sieht man an den chinesischen Zeichen.
Egal, wer dieses Buch nun geschrieben hat, empfehlen kann ich es nicht. Abraten, ja, ich möchte abraten – das trifft es viel besser!
Links und Anmerkungen:
[1] Li Yongkang: Heilen mit Chinatees. 50 bewährte Rezepte gegen Übergewicht, Erschöpfung und zu hohes Cholesterin. Midena, Augsburg 1997. ISBN: 3-310-00433-3.
[2] a.a.O. S. 94
[3] https://baike.baidu.com/item/%E6%9D%8E%E6%B0%B8%E5%BA%B7/4377277
[4] Typische Inschriften finden sich in Dobsons Early Archaic Chinese. Solch eine Inschrift berichtet über den Grafen X, der beim König ehrenhaft empfangen wurde und nach der Rückkehr dem Sekretär Y ein Pferd schenkte, weshalb dieser das vorliegende Bronzegefäß anfertigen ließ. W.A.C.H. Dobson: Early Archaic Chinese. A Descriptive Grammar. University of Toronto Press, o.O. 1962. ISBN: 0-802-05106-5. Ist aktuell für 163,17 € erhältlich; https://www.abebooks.de/9780802051066/Early-Archaic-Chinese-Dobson-W.A.C.H-0802051065/plp.
[5] https://zh.wikipedia.org/wiki/%E7%A5%9E%E5%86%9C
[6] S. 13: Chen Nung, S. 62: Shen Nong; richtig: Shen Nong (神農).
[7] https://zh.wikipedia.org/wiki/%E5%8D%83%E6%97%A5%E7%B4%85
[8] https://link.springer.com/article/10.1007/s00217-015-2548-1
[9] https://rheumatologe.blogspot.com/2022/07/puer-tee-und-das-buch-zum-tee-von.html
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