KriegsEnde
Am Ende des Krieges lagen die Leichen und auch die toten Tiere herum. Niemand, der sie vergrub. Niemand war noch da zum Trauern. Und doch ist das Leben zurückgekehrt.
Sand
Manchmal rinnt der Sand nicht achtlos durch das StundenGlas, dann ist das Leben so voll, als ob es niemals enden wollte.
Star stechen
Den Star stechen – das hat er nicht so richtig verstanden. Da hatte er mit einem Dolch Justin Bieber gestochen. Gut, der singt schlecht, aber sollte man deshalb doch einen Star stechen?
LiedBlatt
Schön, da es auf dem LiedBlatt so stand, sangen wir eben: hi-naus. Wenn dann aber da he-rein steht, werde ich hoffentlich nicht she-rein singen.
GenickSchuss
GenickSchuss. Ich weiß auch nicht, wie man dabei das Ziel verfehlen kann, aber das war mir gerade egal. Denn das Atmen wurde mit jedem, der auf mich viel, schwerer. Gut, jetzt hört er das Erschießen auf. Aber gleich würden sie die Grube mit Erde auffüllen. Wie wird es weitergehen? … wird fortgesetzt.
Nein, wird nicht fortgesetzt. Denn was ist mit all denen, bei denen die Schützen nicht (absichtlich) vorbei geschossen hatten?
Faul
Egal an welcher Stelle im Garten ich sitze, entweder fliegen die Drosseln, die Eichelhäher oder, noch schlimmer, die Meisen geschäftig vorbei, um Nester zu bauen, die Brut zu füttern oder andere Vögel wie den Milan, Elstern oder Krähen zu verscheuchen. Ich komme mir dann entsetzlich faul vor, aber dann blicke ich zu den Blumen, die von Bienen und Hummeln eifrig besucht werden. Und da erkenne ich, dass Arbeit nur ein Teil des Lebens sein sollte. Und da hatte ich noch nicht de brevitate vitae von Seneca [2] gelesen.
Der Mond
Der Mond kratzte ein wenig an der unEbenen BacksteinWand, bevor er sich über das Dach schwang und prompt auf den Feldern dahinter landete. Da musste er sich sputen, denn die Bauern setzten ihm nach mit den Heuwendern in der Nacht. Und dann höhnten sie ihm nach: „Vergiss das Schwimmen nicht, wenn du gleich im Meer versinkst.“
Refugium
Das aber kann die Vergangenheit, da hat sie der Gegenwart etwas voraus, denn sie kann für dich ein Refugium in der Zeit bereithalten, in das du aus jeder aus jeder Gegenwart, selbst aus einer Zukunft, zurückKehren kannst. Alles ist dort so wie immer, eigentlich todLangweilig, aber manchMal braucht man so einen Ort, an dessen Gestade das Meer der Zeit in leichten Wellen ausläuft.
Die leidende Stadt
Sie gingen durch die bevölkerte InnenStadt, über die sich schon der Abend verBreitete. Ihre Reden schlugen Wunden in die Stadt, die das alles schweigend, aber leidend erTrug. Plötzlich hustete Felix wie ein Raucher, endLos, selbstLos und das Gespräch verEbbte. Astrid hinGegen nuckelte an ihrer E-Zigarette. Nun sah man schön die Dampfwolke im Licht gegen die Schwärze der Nacht, als hätte die Stadt nicht schon genug gelitten.
Karl Ranseier ist tot [3]
Nein, hier handelt es sich nicht um Satire, sondern unter den TodesAnzeigen im WochenSpiegel Schleiden [4] fand sich ein höchst merkwürdiger Text: „XYZ ist tot. / Er verstarb plötzlich am 15. Mai in Oberhausen, fern seiner geliebten Heimat Kall, wo er geboren wurde, 87 Jahre gerne gelebt hat und auch sterben wollte. Es wurde ihm verwehrt. Er verschwand von jetzt auf gleich und ward nicht mehr gesehen. / Was sein Leben ausmachte – Literatur, Poesie, Geschichte und all' seine schönen Erinnerungen – wurde rücksichtslos von ihm vermeintlich Wohlgesonnenen zu Lebzeiten entsorgt. / Zu viele haben zu lange ob der Zustände weggeschaut und die Falschen geschont.“ Zwei Familien haben unterschrieben.
Da könnte man jetzt spekulieren. Am wahrscheinlichsten ist doch, daß ein dementer Mensch in ein Seniorenheim in der Nähe der Verwandtschaft geholt wurde, die Wohnung ausgelöst wurde und dieser Mensch dann verstorben ist. Aber vielleicht verbirgt sich dahinter auch eine ganz dunkle und traurige Geschichte, in die wir kein Licht bringen können. Noch lange werde ich mich ob des Deutschs dieser Anzeige erinnern [5].
Scherben
„Ein grauer, blinder Tag“ [1]
Links und Anmerkungen:
[1] Gustav Meyrinck: Der Golem. Verlag der Schiller-Buchhandlung, Berlin o.J. (ca. 1927). S. 209.
[2] Seneca: Von der Kürze des Lebens (de brevitate vitae). Mit einem Nachwort von Christoph Horn. dtv Verlagsgesellschaft, München 2007. ISBN: 9783423342513. Da nimmt der alte Stoiker vor etwa 2000 Jahren die Lebensbewältigungs-Literatur vorweg!
[3] „Karl Ranseier ist eine fiktive Person, die im Rahmen der Samstag-Nacht-News von Stefan Jürgens regelmäßig in einer Trauerrede gewürdigt wurde.“ https://de.wikipedia.org/wiki/RTL_Samstag_Nacht
[4] Schleidener WochenSpiegel - 21. Woche | 24.05.2023 S. 6. https://wi-paper.de/show/dbe39f63e2ea/epaper
[5] Korrekt, aber gewollt ungeschickt, denn Anzeige gehört zu erinnern und nicht zum Deutsch.
Nachtrag am 12.06.2023:
Zu dem alten Herr aus der Todesanzeige weiß ich nun mehr. Er war nicht dement und es war sein Wille, nach Oberhausen zu ziehen. Mehr kann ich hier nicht schreiben, denn sonst kann ich den Quellenschutz nicht mehr garantieren.
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