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Der hintere Teil der Laube mit meiner Großmutter und meinem Vater sowie der Statue - ca. 1941/1942
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Kapitel 7 – Schrebergarten in der Kolonie Abendruh
Es wird noch einmal ein autobiografisches Kapitel notwendig, denn Teile der Ferien verbrachten wir Kölner bei den Großeltern in Berlin. Mütterlicher wie väterlicherseits hatten de Großeltern Schrebergärten, die man für Blumen, Obst, Gemüse und Freizeit nutzte. Der Garten in der Kolonie Abendruh war jedoch größer und auch die Gartenlaube war so groß, daß man dort übernachten konnte.
Man konnte eine größere Laube auf die Parzelle setzen, da es sich um eine Doppelparzelle (ca. 550 m²) handelte. Der Großvater auf der väterlichen Seite hatte zusammen mit einem Freund den Garten angemietet; eigentlich hatten sie zwei Gärten gemietet, die sie dann zu einem verbunden hatten. Der Freund war nur ein Strohmann, aber sein Name stand noch in der 1960iger Jahren auf dem Schild am Eingang. Ich habe mir später immer wieder die Bilder meines Vaters und auch die meines Großvaters vom Garten angesehen, aber zumeist waren es Gartenfeste. Freunde und Verwandtschaft waren zu Kaffee und Kuchen eingeladen worden. Auf diesen Bildern waren mehr Menschen zu sehen als Garten. Das ist heute zwar interessant, denn man ging damals im Anzug und im Kostüm oder im Sommerkleid in den Garten, aber mir wäre mehr daran gelegen, Aufnahmen nur vom Garten zu haben. Ich habe in den letzten Wochen noch einmal das gesamte Fotoarchiv meines Vaters durchgesehen [2] und ein paar davon ausgewählt und eingescannt. Da sich die Gärten, die man heutzutage sehen kann, völlig anders gestaltet haben als die Gärten damals waren, hatte ich meinen Vater schon vor etwa 25-30 Jahren gebeten, eine Skizze zu machen, wo denn was gestanden hatte. Diese Skizze ist immer noch sehr hilfreich und auch die habe ich eingescannt.
Die Großeltern hatten den Garten bereits in den späten 1930iger Jahren angemietet und während des Krieges und insbesondere in der Nachkriegszeit waren die Früchte des Gartens sehr hilfreich, da Lebensmittel knapp waren. Das hatte Nachwirkungen bis in die 1960iger Jahre, denn ich kann mich erinnern, daß wir noch Bohnen in Konservendosen in einem riesigen Topf eingekocht hatten. Das Wasser mußte längere Zeit brodeln und der ganze Topf wurde dann auf einem Handwagen zu einem Laden gefahren, der außerhalb der Kolonie lag. Dort wurden dann die heißen Dosen mit einem Deckel versehen und verschweißt. Ich nehme an, daß beim Tod der Großmutter (1989) immer noch Birnenkompott oder anderes Kompott und solche Bohnenkonserven im Keller lagerten.
Wozu diente der Garten sonst noch? Die Wohnung der Großeltern in der Feuerbachstraße 8 [3] – heute steht das Haus und Denkmalschutz – ist eine reine Stadtwohnung. Da haben sie zwar im Hinterhof auch noch ein oder zwei Beete für Kräuter und Johannisbeeren gehabt, aber was ist dies angesichts eines Gartens. Die Kolonie Abendruh liegt in Lichterfelde, gehört aber zum Bezirk Steglitz. Als Kinder kam uns die Busfahrt sehr lang vor und es lag auch ziemlich weit draußen; das Leben erschien gar nicht mehr so städtisch. Man konnte sich dorthin zurückziehen. Für uns Kinder war das natürlich eine tolle Sache. Dort konnte man spielen, durfte auch schon mal ein bißchen beim Umgraben helfen oder ernten. Wir fühlten uns im Garten sehr wohl. Ich erinnere mich an den Kolonialwarenladen in der Mitte der Kolonie, in dem man Büchsenmilch, Konserven, Brötchen – Nein, das heißt in Berlin Schrippen –, aber auch frische Lebensmittel kaufen konnte. Außerdem führte der Laden Sämereien und etwas Gartenbedarf. Heute sind dort ein Café/Restaurant und das Vereinsgebäude [4]. Für ein Geschäft besteht nicht mehr der Bedarf. Man fährt heutzutage in den Baumarkt oder ins Gartencenter bzw. in den Supermarkt und bringt alles mit. Das ist anders, als wenn man mit Bus oder Bahn aus der Stadt in den Vorort weiter ins Grüne fährt.
Ich glaube, ich hatte damals schon so ein Gefühl von Shangri-la, von dem ich erst später lesen sollte. Der Name Shangri-la ist ein Ortsname und stammt aus dem 1933 erschienenen Roman Lost Horizon (Der verlorene Horizont) von James Hilton [5]. Shangri-la ist ein Bergkloster und an dem Ort im Himalaya scheinen die Menschen nur wenig zu altern, jedenfalls, wenn sie den Ort nicht verlassen. Conway, der Protagonist des Romans, fühlt sich vom Prinzip der Mäßigung hingezogen. Heute gibt es in Yünnan eine Stadt mit dem Namen Shangri-la. Die Stadt hieß früher Zhongdian (中甸) und aus Gründen der Tourismus-Förderung wurde ihr und der Umgebung der Name Shangri-la (香格里拉) [6] gegeben. Und ich hatte schon einmal (vor etwa zehn Jahren) das Gefühl, daß sich in einem Schrebergarten in Köln, ganz in der Nähe meines Apartments, ein Shangri-la [7] befand. Damals stand dort lustig bemaltes Häuschen und ich merkte sofort, hier hat sich jemand nett eingerichtet, seine Utopie im Hier und Jetzt Wirklichkeit werden lassen. Mir kam damals das Lied Shangri-La von den Kinks [8] in den Sinn. In diesem gesellschaftskritischen Lied singen sie: „Sit back in your old rocking-chair / You need not worry, you need not care“ – so weit muss man es ja nicht kommen lassen.
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In den Nachkriegsjahren, noch mit einem anderen Tisch und ohne den Außenherd; die Großeltern und Onkel Otto, den ich nicht mehr kennengelernt habe.
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Kommen wir jetzt zum WinzHaus in der Kolonie Abendruh. Die Laube hatte eine langgestreckte Form am hinteren Ende der Doppelparzelle. Etwa in der Mitte war vor dem Eingang ein kleiner Anbau, in dem eine Gartenbank stand, als Windfang. Davor stand ein großer Tisch im Freien und der Anbau trennte den Bereich ab und schützte ihn so vor Blicken und auch gegen Wind. Das haben wir als vorne bezeichnet. Hinter dem Vorbau stand eine Badewanne, die aber nur zum Auffangen von Regenwasser diente. Früher hatten die Großeltern dort auch eine Figur stehen, die aber schon in den 1940iger Jahren gestohlen worden war. An die Laube selbst war noch ein Schuppen für die Gartengeräte angebaut. Vorne konnte man sitzen und dort haben wir zumeist gegessen oder wir Kinder haben auch dort am Tisch geschrieben oder gemalt. Das Fenster vor dem Tisch gehörte zur Küche mit einem Kanonenofen, auf dem konnte man kochen und natürlich im Winter oder Herbst die Laube warm bekommen konnte. Meine Mutter hatte am meisten der kleine Keller fasziniert. Die Küche hatte einen Betonboden, in den ein gemauertes Loch in den Boden eingelassen war (ich schätze 60x30x40 cm) und über dem eine Holzplatte lag. Das war so eine Speisekammer, in der man Lebensmittel auch im Sommer kühl halten konnte. Die Laube war nicht elektrifiziert; Licht gab es abends aus Kerosin- beziehungsweise Petroleumlampen, wie sie die Großeltern nannten. Diese Lampen blakten immer mal wieder.
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Großmutter am Außenherd, Ende der 1950iger Jahre
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Die Großmutter hatte in der Regel, wenn es nicht geregnet hatte, draußen gekocht, da hatte sie einen größeren Herd und der wurde mit Zweigen angefeuert und mit altem Holz befeuert. Auf diesem Herd war Platz für mehrere Töpfe. Es gab nur kaltes Wasser aus einem Hahn vor diesem vorderen Teil. Dann gab es noch einmal mitten im Garten einen Wasserhahn und am Garteneingang, wo auch die Wasseruhr war. Das war praktischer, um den Garten zu bewässern. Gab es eine Toilette? Natürlich gab es eine Toilette. Dafür gab es ein extra Häuschen mit einem Plumpsklo. Das hatte seine eigene Romantik und gehört eigentlich nicht zum WinzHaus, obwohl es auch ein winziges Haus war.
Ich meine, daß bei mir die Idee von kleinen Einheiten zum Wohnen oder auch für andere Zwecke, also die Idee vom WinzHaus, ihre Wurzel in solchen Kindheitserlebnissen hat.
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Großmutter und Vater ca. 1940, die Laube rechts im Hintergrund
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Links und Anmerkungen:
[1] Hinweise auf das Projekt finden sich in der Einleitung: https://rheumatologe.blogspot.com/2024/01/das-winzhaus-einleitung.html
[2] Mein Vater war begeisterter Fotograf und hat ein großes Archiv hinterlassen, das besser geordnet ist als meine eigenen Analogaufnahmen.
[3] Ein Bild ist hier zu sehen. https://rheumatologe.blogspot.com/2023/08/sammelsurium-231-31082023.html
[4] https://kolonie-abendruh-ist.net/
[5] James Hilton: Lost Horizon (Der verlorene Horizont) https://de.wikipedia.org/wiki/Der_verlorene_Horizont
[6] Man kam, ziemlich sicher von chinesischer, offizieller Seite, auf die Idee, die eigentlich tibetische Stadt rgyal thang rdzong (oder in offizieller Transkription Gyaitang Zong) in Shangri-la (香格里拉市 Xianggelila Shi – lautliche Adaptation ins Han-Chinesische / Mandarin) umzubenennen. https://de.wikipedia.org/wiki/Shangri-La_(D%C3%AAq%C3%AAn)
[7] Das Shangri-la im Schrebergarten https://rheumatologe.blogspot.com/2013/04/das-shangri-la-im-schrebergarten.html
[8] The Kinks: Shangri-La https://l-hit.com/en/72616
PS. Ich habe die Skizze meines Vaters nach Bearbeitung durch Herrn Aribert Deckers ausgetauscht. Und wie man sehen kann, hat sich das gelohnt. Herzlichen Dank, Herr Deckers!
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