Sunday, November 9, 2025

LYRIK-Taschenkalender 2013 15./16. KW 09.11.2025

 


Michael Braun hat den LYRIK-Taschenkalender 2013 herausgegeben. 17 Dichterinnen und Dichter stellten jeweils zwei Lieblingsgedichte mit Kommentar vor. Von diesen AutorInnen wählte der Herausgeber je ein exemplarisches Gedicht aus und kommentierte es. In diesen Taschenkalender habe ich nun wieder Annotierungen und Assoziationen geschrieben. Vielleicht so ein wenig wie Daniel Spoerris: An Anecdoted Topography of Chance (1966 Something Else Press, New York / Cologne). Diese Annotationen stammen aus den Jahren 2023-2025.


15. KW
Afred Wolfenstein: Städter


ErdBeben 
    während des 
ErdBebens 
Hob 
Und 
Senkte 
Sich 
Der 
Boden 
Unter 
Mir 
Wie 
Eine 
Waage
Als 
Ich 
StillStand 
Hatte die 
    Welt 
Mich geWogen 

So eng war die Welt für mich in
景美區,台北市。 

Fenster, fassen, Fassade, flüstern, fern, fühlt 
Häuser, Haut, Höhle
Grau, gewürgt, Gegröhle

Unberührt und Ungeschaut -: allein  


15. KW
Kommentar: Konstantin Ames


Man müsste nachts in die Wüste gehen, um eine dickere Haut zu bekommen. 

Wolfenstein:     „Löcher eine Siebes“ 
Van Hoddis:      „doch sieben Fackeln“ 
Wolfenstein:     nix 
Lichtenstein:     nix
Stadler:         „die Uhren schlagen Sieben“ 
Ich bin wohl doch nicht einer großen Sache auf der Spur [1].

Die Ästhetik ist auch nur eine Art von Hoffnung. Vielleicht antizipiert man als Künstler eine Hoffnungslosigkeit, von der man sich dann noch die distanzieren kann. 


16. KW
Kathrin Schmidt: rahmen aus luft


rahmen aus luft -: „… uns beiden / ein haus sind, in einem rahmen aus luft.“ Nicht ganz so traurig, aber nicht minder anklagend als „… dann habt ihr ein Grab in den Wolken “ [2]. 

Rahmen -: Windows. Wir leben in Fenstern, ein Dasein in Rahmen. Den Rahmen sprengen. 

RahmenProgramm 

Rahmen / Fenster -: in den Städten die Menschen, die auf dem FensterBrett ein Kissen liegen haben, sich darauf stützen, um auf die Straße zu blicken. Sie besitzen keinen PC und benötigen auch keinen, allenfalls einen Fernseher fürs DschungelCamp. 

Wir hatten unsere Schuhe nur kurz abgestellt, als es hieß: weiter weiter. Jetzt laufen wir barfuß durch die Hölle [3]. 


16. KW
Kommentar: Jean Krier


Dieser Kommentar „hängt ebenfalls in der Luft“. 

Laß doch die StadtBewohner am PflasterStrand liegen oder im StadtPark In Köln-Holweide wohnte einmal jemand unter einer Bank zwischen KVB-Gleisen und dem REWE. Dort war eine Lampe für die Nacht und ein Gebüsch bei den Gärten. Tags saß er auf der Bank und nachts schlief er unter ihr. Er wäre gestorben, so sagte man, als die Bank wieder frei war für jeden, der saufen wollte im Schutz der Nacht. 

Unter der Bank -: Under the Boardwalk [4]. Merkwürdige Assoziation!

In Häusern hausen.
Städte behausen.
Der Hausen.
Der Städter.
 



Links und Anmerkungen:
[1] Kurt Pinthus: Menschheitsdämmerung: Ein Dokument des Expressionismus.  Rowohlt, Reinbek 1996. ISBN: 3499450550. S. 45 ff.
[2]  „dann habt ihr ein Grab in den Wolken “ - aus „Todesfuge“ [2a] von Paul Celan (1920-1970) [2b].
[2a] https://www.lyrikline.org/de/gedichte/todesfuge-66  
[2b] https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Celan  
[3] „Barfuß durch die Hölle“ (人間の條件, Ningen no jōken, wörtlich „Die Bedingungen des Menschseins“ (conditio humana)) ist eine japanische Filmtrilogie, die von 1959 bis 1961 entstand. Die Filme basieren auf einem Roman von Gomikawa Jumpei (五味川 純平, 1916–1995). Eine weitere japanische Fernsehfassung in sieben Teilen mit derselben Geschichte wurde 1967 im ZDF ausgestrahlt. Ich habe den Film Ende der 1960er-Jahre im deutschen Fernsehen gesehen. 
https://de.wikipedia.org/wiki/Barfu%C3%9F_durch_die_H%C3%B6lle   
[4] „Under the Boardwalk“  ist ein Hit von „The Drifters“ aus dem Jahr 1964. Kann man sich auch anhören [4b]. 
[4a] https://de.wikipedia.org/wiki/Under_the_Boardwalk 
[4b] https://www.youtube.com/watch?v=EPEqRMVnZNU 
 
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