Torres del Paine - Patagonien |
Gestern lüftete ich den ersten Stock bei schönstem Wetter, machte alle Fenster auf. Und dann war ich im sogenannten Reisezimmer. Das habe ich so genannt, weil dort Reiseführer, Atlanten und Bücher über ferne Länder stehen. Mein Blick fiel auf das Buch „ Der Lotse vom Feuerland“ [1]. Ich nahm das Buch aus dem Regal. Das hätte ich besser nicht getan, denn so war das Ärgernis vorprogrammiert.
Schon das Wort Kriegserlebnisse schreckt mich eher vom Lesen ab. Feuerland - „am Rande des Polarkreises“? Ja, dann liegen Kopenhagen oder Glasgow auch am Rande des Polarkreises der nördlichen Hemisphäre. Ein Blick in den Diercke Schulatlas für höhere Lehranstalten meines Vater [2], zeigte, daß dies auch damals kein Geheimwissen war. Feuerland liegt bei etwa 54° südlicher Breite. Der südliche Polarkreis liegt bei 66°33′55″ (≈66,57°) südlicher Breite [3].
Wer war nun der Autor, der bereits im Titel stümperte? Über den ist im Internet nicht viel herzufinden. Ich habe zu Wilhelm Hoeppener-Flatow keine biografischen Daten gefunden. Er hat verschiedene Hefte der Kriegsbücherei der deutschen Jugend [4] geschrieben; dort hat übrigens auch Henri Nannen geschrieben. Deshalb verwundert das Sujet des Buches „Der Lotse vom Feuerland - Kriegserlebnisse eines Deutschen am Rande des Polarkreises“ nicht. Der im Krieg hilfreiche Auslandsdeutsche soll in dem historisierenden Roman aus dem 1. Weltkrieg Wertschätzung bekommen. Die Dresden wurde allerdings nicht in der Nähe Feuerlands sondern in der Nähe der Juan Fernández Inseln versenkt; die Crew rettete sich auf die Insel, die durch Alexander Selkirks berühmt wurde (Más a Tierra). Das Archipel liegt auf 33°40' südlicher Breite, also mit ganz anderer Vegetation.
Die Bebilderung des Buches geht auf einen Film mit dem Titel „Ein Robinson“ zurück, der das Schicksal der Dresden und insbesondere des Obermatrosen Carl Ohlsen zum Thema hat [5]. Die Dresden war als einziges (angeschlagenes) Schiff dem vernichtenden Schlag der britischen Flotte bei den Falklandinseln (also ähnlich wie in der späteren Auseinandersetzung mit den Argentiniern) in den Pazifik entkommen, wurde im Juan Fernández Archipel gestellt und geschlagen und dann von deutscher Seite versenkt. Die Besatzung rettete sich auf Más a Tierra, kam schließlich (durch die Hilfe eines Auslandsdeutschen) zurück nach Deutschland. Die Frau des Obermatrosen wähnte Carl Ohlsen tot und hatte wieder geheiratet. Enttäuscht kehrt dieser auf Más a Tierra zurück, flieht aber später in einem selbstgebauten Boot nach Patagonien, so daß der Bezug zu Feuerland gegeben war.
„Hochaufragende Berge und stürzende Wasser – das ist Feuerland“
„Erloschene Vulkane säumen die trostlose und doch großartige Einsamkeit“ Das ist nun der Osorno
S. 80/81 „ Bäume sind selten in den Tälern von Feuerland“ – Feuerland bekommt im Westen über 4000 mm Niederschlag und im Osten weniger als 600 mm jährlich, so dass alle Landschaften vorkommen, auch Wälder.
S. 112/113 „Der Sturm ist über die Hochfläche gerast und hat zerbrochen, was sich in den Weg stellte“ - da ist alle paar Tage Sturm!
S. 128/129 „Hier findet keiner das verborgene Boot“ - das kann sogar an der Küste Feuerlands sein, aber auch einer der Gletscherseen Patagoniens ist möglich.
S. 160/161 „Felsig und düster ist die Küste am Polarkreis“ - es gibt felsige und sandige Küstenabschnitte Feuerlands. Und im südhemisphärischen Sommer ist es so hell wie hier.
S. 176/177 „Überall stürzen die Felsen jäh ins Meer“ - überall!
Bahía Inútil |
Das ist schon grausam, was da angerichtet wurde. Ich muß vielleicht ein Wort der Vorsicht einschieben: es muß nicht unbedingt der Autor gewesen sein, der für die Bilder und Bildunterschriften verantwortlich war. Aber ich bezweifle das.
Ich habe gerade ein wenig im Buch (Frakturschrift!) geblättert. Auf S. 65 kommt die Bahía Inútil zur Sprache. Und da hatte ich bereits ein Bild ausgesucht, um die felsige Küste zu widerlegen, das die Bahía Inútil zeigt. Eine Ortschaft zum Kauf von Kohlen gab es dort nicht. Die Bucht trägt ihren Namen (nutzlose Bucht), da „sie aufgrund ihrer breiten Öffnung und sanft abfallenden Küsten Schiffen keinen Schutz vor stürmischen Westwinden bietet“ [7].
Für welches Publikum mag das Buch geschrieben worden sein? Für ein nicht literarisch ambitioniertes, junges, männliches Publikum. Und die Kriegsflotte hat sich bestimmt Matrosen erhofft. Es wird das gleiche Publikum sein, das sich heute noch kriegsverherrlichender Trivialliteratur hingibt.
Das Buch ist im Zentralen Verzeichnis Antiquarischer Bücher (ZVAB) gelistet; die preiswerteste Version kostet 6 € inklusive Versand. Das ist aber sehr teuer für das, was einem geboten wird. Bei der Auflage von 60.000 Exemplaren denke ich mit Wehmut an die ca. 50 Bäume, die dafür abgeholzt worden sind.
Links, Literaturangaben und Anmerkungen:
[1] Wilhelm Hoeppener-Flatow: Der Lotse vom Feuerland - Kriegserlebnisse eines Deutschen am Rande des Polarkreises. Steiniger Verlag, Berlin 1940 (31.-60. Tausend).
[2] Diercke Schulatlas für höhere Lehranstalten. Grosze Ausgabe. Georg Westermann Verlag, Braunschweig / Berlin / Hamburg (1938), 77. Auflage. Siehe S. 17/18 „Kolonialbesitz und Weltverkehr“.
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Polarkreis
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Kriegsb%C3%BCcherei_der_deutschen_Jugend
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Ein_Robinson
[6] https://www.spiegel.de/fotostrecke/regisseur-arnold-fanck-ein-robinson-dreh-in-suedamerika-fotostrecke-129883.html
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Bah%C3%ADa_In%C3%BAtil
.
No comments:
Post a Comment