Sunday, June 13, 2021

Flügge

 

Nö, gibt nichts mehr!

Als das Pärchen Wacholderdrosseln [1] ein Nest in den alten Pflaumenbaum bauten, dachte ich noch, ob sie sich darüber klar sind, daß sie ihr Nest direkt vor meinen Augen bauen. Ich dachte an einen Störfaktor bei der Brut meinerseits. Vielleicht aber war es das gleiche Pärchen, das einen Baum weiter, versteckter im letzten Jahr ein Junges an einen Raubvogel (vielleicht ein Merlin) verloren hatten. Dann fühlten sie sich wahrscheinlich sicherer.

Ratlos - wie bei Alexander Kluge [5]

Jedenfalls konnte ich beim Essen oder Tee-/Kaffee-Trinken den regen Fütterungsbetrieb beobachten. Gestern hörten die Elternvögel auf und verschwanden eine Weile. Sie waren anders als sonst sehr ruhig. Sie schwiegen. Die Jungvögel waren verstört. Sie piepsten umso mehr. „Wo bleibt mein Wurm?“ schien es aus ihnen heraus zu schreien. Irgendwann kamen die Elternvögel mit Würmern im Schnabel zurück. Sie flogen bis zum Nest, behielten aber die Würmer für sich – Rabeneltern! Sie setzten sich mit den Würmern auf einen Ast, den die Jungvögel hätten erreichen können. Die blieben aber im Nest.



Nach etwa einer Stunde kletterte eines der Jungen aus dem Nest und eine weitere halbe Stunde später flatterte es ca. 10 m durch meinen Garten und hopste dann zur Grundstücksgrenze und weiter auf die Heuwiese, die vor etwa einer Woche abgemäht worden war. Mein Garten und diese Wiese (und mehr) sind aber Jagdgebiet der Katze meiner Nachbarin, die sich das Gebiet mit einem Roten Milan teilen muß. Ich mußte ums Grundstück herum und dann war nichts vom Jungvogel oder den Elternvögeln zu sehen oder zu hören. Ich ging vorsichtig weiter. Nichts zu sehen! Plötzlich flogen zwei Drosseln auf, 50 cm und ca. 150 cm rechts vor mir. Ich wunderte mich noch, da sonst Vögel eher auffliegen. Nach drei oder vier Schritten dämmerte es mir und ich drehte mich vorsichtig um. Ging noch vorsichtiger zurück. Und da hockte halb unter einem Sauerampferblatt der Jungvogel. Ängstlich, ja, aber er wirkte auch reifer. Schnell machte ich noch ein Foto und verschwand. Hier konnte ich nicht helfen, sondern nur bei der Hilfe stören.


Hoch!

Ich kehrte zum Nest zurück. Nach einer weiteren Stunde saß der Jungvogel wenigstens schon einmal auf dem Nestrand. Und piepste. Ich bekam mit, das zwischenzeitlich in Luftkampf über der Heuwiese tobte. Die Elternvögel haben den Roten Milan erfolgreich vertrieben. Später hatten sie wieder Zeit für ihr Kind am Nestrand. Ich interpretierte es so: sie brauchten solange, bis sie das andere Kind aus der Gefahr also in die Luft gebracht hatten. Nach und nach konnten sie den Jungvogel vom Nest weg und höher hinauf bewegen. An der Stelle, an der es kein Zurück zum Nest mehr gab, bekam der Jungvogel einen Wurm als Belohnung. Schließlich flatterte er aus einen toten Ast. Und die Elternvögel lockten ihr Kind weiter.


Grimmig Blicken geht schon, nur das Fliegen liegt mir nicht.

 

Höher! Nicht zu den Sternen, aber höher!

 

Einen Wurm - und dann aber weiter!

Eigentlich waren wir jetzt in einem Piratenfilm, in dem der Todeskandidat über die Planke gehen muß [2].



Schließlich flatterte auch dieser Vogel, schließlich durch den bereits oben erwähnten zweiten Pflaumenbaum und landete am Container meines Bruders [3]. Ich befürchtete, daß der Jungvogel unter den Container will – da ist es besonders gefährlich, denn die Katze checkt jedes mal den Bereich unter dem Container, wenn sie vorbeikommt. Und ich konnte nicht näher gehen, da ich sonst mit meiner Anwesenheit erst recht den Jungvogel unter den Container gejagt hätte. In der Zeit, die ich ums Haus zum Vordereingang meines Bruders benötigte, hatten die Elternvögel ihr Junges aber bereits in die Luft gebracht. Nach all der Zeit, die es von oben nach unten gebraucht hatte (ca. acht Stunden), hatte sich von unten nach oben nun extrem schnell lösen lassen. Ich sehe aktuell die Elternvögel in der großen Birke, von der aus sie die Gefahrenlage sondieren, aber die Jungvögel habe ich noch nicht wiedergesehen, aber vielleicht sind die ja im Wacholder.
PS. Ich bin kein Ornithologe [4], aber hatte doch das Glück, über mehr als zehn Jahre Rundschreiben der Arbeitsgemeinschaft Ornithologie für Schleswig-Holstein und Hamburg lesen zu dürfen.


Links und Anmerkungen:

[1] Grauer Kopf und gelber Schnabel
[2] Robert Louis Stevensons „Die Schatzinsel“ - es scheint aber auch (wenige) dokumentierte Fälle zu geben. Ich hatte übrigens sein Haus auf Samoa besuchen können - https://rheumatologe.blogspot.com/2020/09/when-i-had-to-dance-on-samoa.html
[3] Und natürlich meiner Schwägerin! https://www.archdaily.com/408980/containerlove-lhvh-architekten/51f81912e8e44e3ef700010b-containerlove-lhvh-architekten-photo Dort, wo man rechts vom Schornstein durch das Fenster noch ein Fenster sieht – da verschwindet die Katze gerne unter dem Container.
[4] In „Die Insel der Abenteuer“ von Enid Blyton las ich als Jugendlicher von einem Ornithologen: „Orni, … Ornibologe?“ - Sollte man heute nur noch lesen, wenn man sich für den alltäglichen Rassismus, Kolonialismus, Fremdenfeindlichkeit interessiert.
[5] Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos 

 

.

 

No comments:

Post a Comment