Tuesday, October 17, 2023

Saladin Schmitt - Blätter der Erinnerung

 


„Überhaupt: Altistinnen müßten stets in
 dunkelviolettem Samt gekleidet gehen.“ [1]


Ich kann ja an keinem Buch vorbeigehen, also auch nicht an diesen Bücherschränken, die überall aufgestellt wurden. Kürzlich ging ich wieder einmal an so einem Bücherschrank vorbei und ergriff ein Buch. Darin fand ich einen gefalteter Zettel von den Katholisch-Theologischen Seminaren der Universität Bonn, auf dem stand: „Wegen der Ehrenpromotion des Hochw. Herrn P. Sal. Schmidt bleiben die Seminare“ und so weiter wie oben gezeigt. Ich dachte in diesem Moment, ein Pater Schmitt  (Kath.-Theologische Seminare und Hochw. sowie P.) wird mich nicht so sehr interessieren und stellte es wieder weg. Aber da arbeitete es bereits in mir und auf der Fahrt von diesem Bücherschrank nach Hause wäre ich fast schon umgekehrt. Denn ich bin ein bisschen wie der Professor Lidenbrock in Reise nach dem Mittelpunkt der Erde von Jules Verne [2], wenn ich ein Papier in einem Buch finde. Die drastische Beschreibung Jules Vernes Roman habe ich unten herauskopiert. Man kann den das ganze Buch übrigens online lesen. Nun begab es sich, dass ich vielleicht ein bis zwei Wochen später erneut an diesem Bücherschrank vorbeiging. Und niemand hatte das Buch [1] mitnehmen wollen. Da meinte ich, daß Saladin Schmidt schon ein interessanter Name wäre. Es ist eine Art Pseudonym, wie ich später noch näher ausführen werde, aber dann dachte ich wieder: soll ich dieses Buch mitnehmen? Als ich darin blätterte, fand ich heraus, daß es sich nicht um einen Pater handelte, wie ich dachte, sondern um einen Professor und zwar Professor Saladin Schmitt, ein Regisseur und Intendant des Theaters in Bochum. Ausschlaggebend, daß ich das Buch dann doch mitgenommen habe, war das oben abgedruckte Zettelchen der Katholisch-Theologischen Seminare der Universität Bonn vom 11.12.1962. Posthum wurde Saladin Schmitt  die Ehrendoktorwürde verliehen. Ich liebe diesen Zettel, der mit Schreibmaschine für den Aushang geschrieben wurde. Man sieht noch die Löcher von den Reißzwecken. Die Schreibmaschine kommt der Schreibschrift doch recht nahe, denn man sieht verschieden starke Anschläge bei den kleinen Ems oder den Punkten, die teilweise ausgestanzt sind.  

Normalerweise interessiert mich das Theater nicht so viel wie das Kino beziehungsweise der Film. Auch die Oper interessiert mich höchstens, indem ich bisweilen eine Arien höre. Aber hier las ich  dann doch und es wurde interessant. Ich gebe zu, dass ich als junger Mensch Stücke für Kindertheater geschrieben habe - die sind so grausam, daß ich sie aufbewahrt habe. Um einigermaßen die mangelnde Qualität dieser Stücke zu beschreiben -: es ist so ähnlich wie Der Raub der Sabinerinnen im gleichnamigen Film [3]. Ich habe mich dann hingesetzt und das Buch gelesen, je mehr ich las, desto interessanter wurde es.

Saladin Schmitt, eigentlich Joseph Anton Schmitt, lebte von 1883 bis 1951 und war Regisseur und Theaterintendant [4]; der älteste Sohn in dieser Familie hieß immer Saladin und er nahm den Namen an, als sein älterer Bruder gestorben war. Er studierte in Bonn und Berlin Germanistik und promovierte 1905 mit einer Arbeit über Friedrich Hebbel. Die für mich interessante Zeit liegt zwischen 1919 und 1949, denn da war er  Intendant des Schauspielhauses Bochum. Der akademische Grad Professor wurde von Adolf Hitler verliehen [5]. Direkt neben dem Kopf von Saladin Schmitt sieht man in einen Artikel mit einem Bild mit vielen Hakenkreuzfahnen. Schmitt wurde 1944 Ehrenbürger der Stadt, was aber nicht verhinderte, was ihm wohl später peinlich war. 1949 wurde er aus seinem Amt als Intendant entlassen, als er versucht hatte, den früheren, wegen seiner nationalsozialistischen Vergangenheit umstrittenen Chefdramaturgen Walter Thomas wieder einzustellen.

Es wurde bis in den Krieg hinein Theater gespielt in Bochum Die der vorgelegte Spielplan 1939/ 1940  unterschied sich nicht wesentlich, wie man im Buch erfahren kann (Seite 65), jedoch wurden später mehr Komödien und Lustspiele ins Programm genommen. Da Schmitt Präsident der deutschen Shakespeare-Gesellschaft war, fiel es auch nicht schwer, genügende heroische Stücke auf die Bühne zu bringen. Deshalb unterschied sich der Spielplan auch nicht wesentlich. Und gerade dies hat nach dem Krieg dazu geführt, dass bereits 1945 die englische Besatzungsmacht dem Theater beim Wiederaufbau durch Sachzuwendungen geholfen hatte. Während des Krieges kamen immer mehr Urlauber und Verwunderte in Uniform in das Theater, so daß man in wirkliches Bedürfnis für Kulturveranstaltungen annehmen konnte. Dies gilt genauso für die Zeit direkt nach dem Krieg.

Für mich stellen sich natürlich Fragen. Inwieweit hat sich Saladin Schmitt mit dem Dritten Reich identifiziert? Er war ein Vetter dritten Grades Stefan Georges und stand mit diesem auch in Kontakt. George ließ sich nicht für den Nationalsozialismus einspannen, aber er starb auch kurz nach der Machtübernahme. Ich kann mir aber vorstellen, daß man bei George und Schmitt Punkte finden kann, die sie in die Nähe des Nationalsozialismus stellen, ohne daß sie deshalb explizit Nationalsozialisten gewesen wären. Das Buch kann natürlich als Ehrung Saladin Schmitts nicht wirklich kritisch seine Stellung zum Nationalsozialismus hinterfragen. Allerdings setzte sich Saladin Schmitt noch 1939 dafür ein „zwei Schauspielerinnen, die nach Maßgabe der Nürnberger Gesetze als Jüdinnen klassifiziert wurden, im Ensemble zu behalten.“ [6]  Außerdem mußte er wegen seiner Homosexualität sehr vorsichtig sein. Im Artikel weiter: „In Wahrheit lässt sich Saladin Schmitts Haltung zum Nationalsozialismus, die von Anpassung und (begrenztem) Dissens gleichermaßen geprägt war, wie die vieler seiner Zeitgenossen aber wohl nicht auf einen so einfachen Nenner bringen.“

Und ich frage mich natürlich auch, weshalb die (Katholisch-Theologischen) Seminare am 15.12.1962 geschlossen blieben. Die Frage kann ich aus dem dem mir vorliegenden Material nicht sicher beantworten, aber ich darf einmal spekulieren, daß es rein gar nichts mit den Katholisch-Theologischen Seminaren zu tun hat, sondern daß man an der Feier der Vergabe der Ehrendoktorwürde teilgenommen hat. Ein Schwachpunkt ist jedoch, daß auf der Liste „Ehrendoktor der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn“ Saladin Schmitt nicht zu finden ist.

Ich möchte mit einer Anekdote schließen, die Ernst Schröder berichtet (S. 142): Saladin Schmitt saß während der Premiere in der hintersten Reihe im Parkett und als er grollte, da etwas nicht so lief, wie wollte, zischte ihm ein sichtlich gestörter Premierenbesucher zu: „Wenn sie nichts vom Theater verstehen, dann gehen Sie doch ins Kino!“



Links und Anmerkungen:
[1] Stadt Bochum (Hg.): Saladin Schmitt. Blätter der Erinnerung. Nach einer Idee von Kurt Dörnemann. Bochum 1964. S. 99.
[2] Jules Verne: Reise nach dem Mittelpunkt der Erde. „Ein Zwischenfall gab der Unterhaltung eine andere Wendung. Ein schmutziges Pergament fiel aus der Scharteke heraus auf den Boden. / Mit begreiflicher Gier fiel mein Oheim über diesen Quark her. Ein altes Document, das vielleicht seit unvordenklicher Zeit in einem alten Buche lag, mußte unfehlbar in seinen Augen sehr kostbar sein.“
http://www.zeno.org/Literatur/M/Verne,+Jules/Romane/Reise+nach+dem+Mittelpunkt+der+Erde/2.+Capitel
[3] Der Raub der Sabinerinnen – ich meine hier die zweite Verfilmung von Kurt Hoffmann aus dem Jahr 1954. Insbesondere Gustav Knuth als Emanuel Striese ist mir in Erinnerung geblieben.  https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Raub_der_Sabinerinnen_(1954)
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Saladin_Schmitt  
[5] Professor Dr. Saladin Schmitt - Eine verdiente Ehrung des Bochumer Intendanten durch den Führer. In: zeitpunkt.net. Bochumer Anzeiger, 31. Januar 1938, S. 3 und S. 4, abgerufen am 17.10.2023. https://zeitpunkt.nrw/ulbms/5969311  
[6] Saladin Schmitt, der vergessene Ehrenbürger https://www.lokalkompass.de/bochum/c-politik/saladin-schmitt-der-vergessene-ehrenbuerger_a1678612
[7] Kategorie:Ehrendoktor der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
https://de.wikipedia.org/wiki/Kategorie:Ehrendoktor_der_Rheinischen_Friedrich-Wilhelms-Universit%C3%A4t_Bonn und auch nicht auf der „Liste von Persönlichkeiten der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn“ https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Pers%C3%B6nlichkeiten_der_Rheinischen_Friedrich-Wilhelms-Universit%C3%A4t_Bonn


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