Die Therapie mit Eigenurin ist eher selten
Thema in meiner Sprechstunde, aber jetzt zum Eigenurin nachgefragt. Ich war
immer der Meinung, dass es sich um eine ayurvedische Therapieform handele, aber
das stimmt nicht. Vielleicht hatte sich bei mir diese Meinung gebildet, da
Kuhurin (Gomutra) in der ayurvedischen Medizin genutzt wird, und natürlich
wegen Morarji Desai, dem fünften indischen Premierminister, der ein Befürworter
des Trinkens von Eigenurin war.
Eigenurin. Ich habe mich immer gefragt, wie
man darauf kommen kann, den Abfall, den der Körper mit Mühe gerade losgeworden
ist, ihm wieder zuzuführen? Wenn man gleichzeitig Medikamente einnimmt, wie
z.B. Blutdruckmittel oder Antibiotika, dann nimmt man mit dem Urin eine
zusätzliche Menge des Präparats auf. Das war übrigens den sibirischen Schamanen
bekannt, die sich mit Fliegenpilz (bitte nicht versuchen!) in einen
Rauschzustand brachten, und deren Kollegen dann den Urin tranken, um ihrerseits
in den Rauschzustand zu kommen. Die für den Rauschzustand verantwortlichen
Alkaloide (stickstoffhaltige, organische Verbindungen) des Fliegenpilzes
(Muscimol und Muscarin) werden unverändert mit dem Urin ausgeschieden.
Die Therapie mit Eigenurin wurde von J.W.
Armstrong, einem britischen Naturheilpraktiker, im frühen 20. Jahrhundert
propagiert (1). Es war in der Familie Armstrongs bereits üblich Insektenstiche
und Zahnschmerzen mit Eigenurin zu behandeln. Er berief sich auf ein Biblisches
Zitat aus dem Buch der Sprüche (5, 15): „Trinke Wasser aus deiner eigenen
Zisterne und was aus deinem eigenen Brunnen quillt.“ Tja, die Exegese sieht das
anderes, denn Salomo stellt hier eine Maxime gegen den außerehelichen
Geschlechtsverkehr auf.
„Die Eigenurintherapie aktiviert das
Immunsystem // Die Eigenurintherapie ist weit mehr als 2000 Jahre alt und dient
noch heute als geeignetes Verfahren, den Körper gesund zu erhalten oder
bestehende Beschwerden zu lindern.“ (2) Das Immunsystem wird gerne herangezogen,
da es komplex ist. Aber was meint der Autor mit Aktivierung? Jeder Keim, der in
uns eindringt, aktiviert das Immunsystem. Warum das Immunsystem, das auf
Eindringliche (Bakterien, Viren, Pilze) ganz gezielt reagiert, unspezifisch
aktivieren? Was wurde denn nachgewiesen? Da ich keine entsprechende Analyse
gefunden habe, nehme ich einmal an, dass Nichts gefunden worden ist.
Wahrscheinlich hat man es noch nicht einmal untersucht. Und dann der Hinweis
auf das Alter der Therapie von 2000 Jahren, wobei dies noch zu diskutieren
wäre. Was im Altertum gemacht wurde, ist geschichtlich interessant. Es ist
nicht automatisch gut. Sonst müssten doch auch sofort auf Röhrenradios und S/W
Fernseher aus den 50iger Jahren umstellen.
Meine Einschätzung von Eigenurin? Kann man in
der Wüste trinken, bevor man verdurstet. Ein medizinischer Nutzen ist außer dem
Placebo Effekt nicht nachgewiesen. Bei bestimmten Erkrankungen schadet es, z.B.
über die Wiederaufnahme von Medikamenten. Bei anderen Erkrankungen kann eine
sinnvolle Therapie verzögert werden.
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