Ich
habe wieder einmal gelesen (1). Da wird behauptet: „Arthritis: Heilung ist
möglich“. Ist das so? Jein. Es gibt Formen der Arthritis, die ausheilen und nie
wieder kommen. Es gibt solche, die eine Weile bestehen, durch Medikamente in
die Remission (mit Remission bezeichnet man in der Medizin ein zeitlich
begrenztes oder dauerhaftes Nachlassen von Krankheitssymptomen) gebracht
werden, und dann auch Jahre oder Jahrzehnte wegbleiben. Und es gibt Formen der
Arthritis, die dauerhaft bestehen und auch dauerhaft behandelt werden müssen.
Da gibt es auch keine Heilung.
„Man
kennt weder die tatsächliche Ursache der rheumatischen Erkrankung noch eine
nebenwirkungsfreie Therapie.“ Das stimmt! Es ist so wie beim Big Bang – wenn
entzündlich-rheumatische Erkrankungen einmal angefangen haben, wissen wir sehr
gut, was geschieht, aber wir wissen nicht, warum es überhaupt einen Anfang
gegeben hat. Wir kennen Faktoren, die den Beginn dieser Erkrankungen
begünstigen, aber über den Beginn gibt es nur unbewiesene Hypothesen.
Wer
meint, dass es nebenwirkungsfreie Therapien gäbe, der könnte genauso gut an den
Weihnachtsmann glauben. Die sogenannte Wirkung ist eine von vielen, die von uns
erwünschte, die Nebenwirkungen sind nur von uns nicht erwünschten. Medikamente
werden so ausgewählt, dass sie ein hohes Maß an Wirkung und ein niedriges Maß
an Nebenwirkungen haben.
Ich
lese weiter: „Betroffene werden mit zweifelhaften Schmerzmitteln,
Entzündungshemmern und sogar Chemotherapeutika ruhig gestellt.“ Wieso
zweifelhaft? Und ruhig stellen schon gar nicht. Die Verminderung von Schmerzen
und Entzündung macht erst wieder Bewegung möglich. Und gerade die ist in der
Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen erwünscht. Gelenke werden über
die Gelenkschmiere (Synovialflüssigkeit) ernährt. Die Gelenkschmiere muss vom
Knorpel zur Gelenkkapsel und wieder zurück transportiert werden, um
Abbauprodukte des Stoffwechsels aus dem Gelenk zu schaffen und Nährstoffe und
Sauerstoff zum Knorpel hin zu schaffen, was aber durch die Bewegung geschieht.
„Arthritis-Diagnose
auch ohne Arthritis möglich“. Natürlich nicht. Was der Autor dieses Satzes
meint sind Laborwerte wie Rheumafaktor oder CCP-Antikörper, die schon Jahre
(oder sogar Jahrzehnte) nachweisbar sein können, bevor die Erkrankung überhaupt
ausgebrochen ist. Und keiner weiß, ob sie überhaupt ausbrechen wird. Hier
müsste man erst einmal fragen, warum denn diese Werte überhaupt bestimmt
wurden. Das frage ich mich häufiger, wenn Personen mit positivem Rheumafaktor
ohne Gelenkbeschwerden mit der Frage nach „Rheuma“ zu mir geschickt werden.
Dann können wir Rheumatologen aber auch Entwarnung geben. Hier wäre aber Platz
für eine verantwortungsbewusste Präventivmedizin – z.B. die Ernährung
umstellen, auf Rauchen verzichten, für Bewegung sorgen.
„Schulmedizin
noch in der Lernphase“. Nein, nicht noch. Die Schulmedizin lernt immer dazu,
während die Alternativmedizin sich wenig bewegt. Welche Entwicklung hat es z.B.
in der Homöopathie gegeben? Hat man das bizarre Lehrgebäude dem menschlichen
Wissenszuwachs angepasst?
Wohin
geht die Reise therapeutisch? Natürlich ganzheitlich. Die wenigsten Menschen
wissen, dass die Nazis im 3. Reich die ganzheitliche Medizin verinnerlichten
(2) – „Diese Tendenz wurde von der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik
bereitwillig in ihrer Kritik an der Schulmedizin aufgenommen, die als
„jüdisch-marxistisch“ durchsetzt und zu stark sozialmedizinisch orientiert
angesehen wurde. Mit Begriffen wie dem „großen Ganzen“, dem „Naturganzen“ oder
dem „Volksganzen“ wurden Konzepte einer „biologischen Medizin“ mit Ärzten als
„Gesundheitsführern der Nation“ formuliert.“ Aber was bietet man nun an? Andere
Hypothesen, die auf eine Bestätigung warten. Ganzheitlichkeit kann allerdings
nicht bedeuten, dass man den Nachweis für seine Hypothesen nicht erbringt.
„Man
schätzt, dass eine solche Nahrungsmittelunverträglichkeit bei bis zu 10 Prozent
der Betroffenen an der Ausprägung der Arthritis mitbeteiligt sein kann.“ Ach, man
muss nur schätzen, und dann ist das so. Bitte genaue Zahlen liefern.
Dann
geht es weiter mit übersäuertem Bindegewebe, aber dafür steht auch kein
Nachweis bereit. Außerdem könnte man sich einmal mit der Physiologie des
Menschen beschäftigen. Übersäuerung wird nämlich viel leichter über die Atmung
ausgeglichen als durch basische Ernährung. Anderseits führt die Auswahl
basischer Nahrungsmittel (nicht etwa von Pülverchen) zu einer gesünderen
Ernährung; und dann ist es auch sinnvoll, diese Ernährungsform zu verbreiten.
„Ein
für die Entstehung von Arthritis ebenfalls bedeutendes Problem könnte das sog.Leaky-Gut-Syndrom
(zu Deutsch "Durchlässiger-Darm-Syndrom") darstellen“. Könnte sein,
könnte aber auch nicht sein. Gibt es das
Leaky-Gut.Syndrome eigentlich (3)? “Leaky gut syndrome is a hypothetical,
medically unrecognized condition.” Nein, es handelt sich um eine Hypothese, die
erst zu beweisen wäre.
Zucker
aus der Ernährung halten. Gerne! Aber dass die Arthritis dann verschwindet, das
ist nicht nachgewiesen.
Ja,
es werden zu hohe Mengen an Omega-6-Fettsäuren und wenig Omega-3-Fettsäuren verzehrt.
Die als gesund geltenden mehrfach ungesättigten Fettsäuren sind fast immer Omega-6-Fettsäuren
aus Sonnenblumenöl, Distelöl und weiteren. Die entzündungshemmenden
Omega-3-Fettsäuren sind über Leinsaat oder Leinöl gut verfügbar (geringer
Anteil auch in Walnüssen, Hanfsaat und Raps).
„Antioxidantien-Mangel
in der Ernährung“. Ja, die moderne Ernährung kann zu einem Mangel führen. Dann ist
auch richtig, diesen durch gesündere Ernährung auszugleichen. Unklar aber ist,
ob dies auch Grund für die Entwicklung entzündlich-rheumatischer Erkrankungen
ist.
„Immer
wieder zeigen Studien, dass Vitamine, Spurenelemente, Enzyme, spezielle
Fettsäuren und sekundäre Pflanzenstoffe zu einer Linderung der Arthritis bzw.
zu deren Vorbeugung beitragen können.“ Bitte diese Studien vorlegen.
Insbesondere für die Vorbeugung. Ich habe nichts gefunden.
„Bei
chronischen Schmerzbeschwerden wie die Arthritis zeigte sich beispielsweise,
dass Menschen, die optimale Vitamin-D-Werte aufwiesen, deutlich weniger
Schmerzmittel brauchen.“ Auch ich kümmere mich um die unzureichende Versorgung
mit Vitamin D3. Anders als in den USA wird bei uns die Milch nicht mit Vitamin
D3 angereichert (auch noch ein Erbe aus der Nazi-Zeit!). Außerdem muss in den
USA jedes Getränk, dass so aussieht wie Milch, also Soja-, Mandel-, Hafer-,
Reis-„Milch“ auch mit Vitamin D3 angereichert sein. Die USA haben den Vorteil,
dass sie südlicher liegen, also Washington auf etwa gleichem Breitengrad wie
Madrid oder Rom. Da ist die Versorgung mit Vitamin D3 über Sonnenlicht weitaus
besser. Der Rückschluss, dass der Ausgleich eines Vitamin D3 Mangels auch
vorbeugend wirksam wäre, ist nicht statthaft. Es wäre eine ernst zu nehmende
Hypothese. Aber dann muss man das auch nachweisen.
„Auch
Vitamin C gilt als schützender Faktor gegen rheumatoide Arthritis.“ Ich habe mir einmal diese Studie angesehen (4). Die Autoren fanden
heraus, dass Patienten sich mit Polyarthritis weniger Früchten und Vitamin C ernährt
hatten. Sie regten weitere Studien an. Conclusion: “Patients with IP (cases) consumed less fruit and vitamin C than matched
controls, which appeared to increase their risk of developing IP. The mechanism
for this effect is uncertain. Thus similar studies are necessary to confirm
these results.”
„Das
Enzym Bromelain aus der Ananas ist für seine entzündungshemmende Wirkung
bekannt …“ wird hinausposaunt. Aber entfaltet sich diese Wirkung auch am
Gelenk? Da ist wenig geforscht worden. Es wird bei Arthrosen eingesetzt. Aber
die letzte Studie (5) kam zu dem Ergebnis, dass Bromelain nicht effektiv ist [„This
study suggests that bromelain is not efficacious as an adjunctive
treatment of moderate to severe OA, …“].
Das
Enyzm Superoxid-Dismutase (SOD) wird angeführt, aber die Quelleangabe liefert
keine Studie. Ich habe dann aber doch eine Studie gefunden, die der Frage nach
geht (6). Die hat zum Ergebnis, dass die SOD in roten Blutkörperchen von
Patienten mit rheumatoider Arthritis verändert sind, aber dass andere nicht
verändert sind und Kontroversen zu Ergebnissen mit anderen Studien bestehen. “There are some reports on erythrocyte SOD, CAT and
GSH-Px activities in patients with RA, but the results are controversial.” Die isolierte
Betrachtung eines Enzymsystems kann nicht zu einer Therapieempfehlung führen. Außerdem
liegen für die SOD auch keine Befunde einer Besserung der rheumatoiden
Arthritis vor.
Dauerstress
und emotionale Belastungen mindern halte ich auch für eine gute Idee. Für Einflüsse
auf eine rheumatoide Arthritis liegen genügend Befunde bzw. Studien vor.
Das
hormonelle Ungleichgewicht bei Frauen in der Menopause wird angeführt, allerdings
wird nur der Abfall von Progesteron und nicht der von Östrogen erwähnt. „Des
Weiteren gilt eine Hormon-Ersatz-Therapie als Risikofaktor für die Entstehung
einer Arthritis.“ Das wird Herrn Kollegen Klareskog wundern, denn er hatte mit
anderen Forschern zusammen das gerade nicht gefunden (7). „No association between PMH use and ACPA-negative RA
was found. PMH use might reduce the risk of ACPA-positive RA in post-menopausal
women over 50 years of age, but not of ACPA-negative RA.” Die
Hormonersatztherapie könnte sogar in CCP-Antikörper positive Frauen über 50
Jahre das Risiko mindern. Aber das nachzuweisen, war nicht Aufgabe der Studie,
so dass deshalb der Konjunktiv gewählt wurde.
Ein
Jodüberschuss durch jodierte Speisen wird als Ursache für Arthritis von den
Autoren der betreffenden Internet-Seite vermutet. Nun ist es aber so, dass in
Deutschland immer noch Menschen mit Jod unterversorgt sind. Im Auftrag des
Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft wurde eine Studie
durchgeführt, die das zum Ergebnis hatte (8): „In der aktuellen DEGS-Studie
liegt die geschätzte Jodzufuhr bei Männern im Median (25. bzw. 75. Perzentile)
bei 125,9 Mikrogramm/ Tag (84,5; 184,0) und bei Frauen bei 125,3 Mikrogramm/Tag
(81,8; 192,6). Demnach erreichen im Mittel 70 Prozent den geschätzten mittleren
Jodbedarf (EAR).“
Magnesiummangel
ist weit verbreitet. Aber für die Wirksamkeit einer Nahrungsmittelergänzung auf
die Entwicklung oder den Verlauf einer rheumatoiden Arthritis liegen keine
belastbaren Befunde vor.
„Schwermetalle
(z.B. Quecksilber aus Zahnfüllungen) können sich in den Gelenken ablagern und
dort zu einer Arthritis führen.“ Es gibt sehr viele Arbeiten zu Schwermetallen,
aber nur wenige, die sich mit der Arthritis beschäftigen. Ich habe eine
gefunden (9), die sich aber mit der Schwermetallaufnahme über Zigarettenrauch
und der Aufnahme von Schwermetallen sowie der Auswirkung auf Arthritis
beschäftigt. Ausleitungsverfahren haben bislang keine Nachweis erbracht. Aber
ich meine, dass die Schwermetallexposition zu reduzieren ist und insbesondere
das Rauchen eingestellt werden sollte.
Eine
Parodontitis (chronische Zahnfleischentzündung) wird als Risikofaktor für die
Entstehung von Arthritis beschrieben. Das stimmt auch so, denn man hat vermehrt
Porphyromonas gingivalis Antikörper bei Patienten mit rheumatoider Arthritis
nachgewiesen. Allerdings besteht auch eine Assoziation zum Rauchen. Trotzdem:
Zahnhygiene ist eine gute Idee.
„Die
Toxine von Pilzen lagern sich gerne in wenig durchbluteten Körperbereichen (wie
z.B. den Gelenken) ab.“ Schauen Sie einmal mit folgender Suchanfrage bei PubMed
nach: ("Mycotoxins"[Mesh]) AND "Arthritis,
Rheumatoid"[Mesh].
„Parasitenbefall
in ganz anderen Organen (Milz, Leber etc.) kann sich irritierend auf das
Immunsystem auswirken und so zu dessen Fehlleitung mit Arthritisfolge führen.“
Andereseits ist eine Hypothese, dass unsere Vorfahren durch Parasitenbefall
einen gewissen Schutz vor Arthritiden hatten. Da läuft die Forschung gerade,
nämlich mit den Eiern des Schweine Peitschenwurms (Trichiuris suis) (10). Die
TSORA Studie wurde abgebrochen, die vorhandenen Daten werden aber aktuell
ausgewertet, so dass wir für dieses Jahr eine Vorstellung der Ergebnisse
erwarten.
„Für
wen ist die ganzheitliche Arthritis-Therapie geeignet?“ Da fallen dann schon
sehr viele durchs Sieb. Ein befreundeter irischer Rheumatologe schilderte mir
einmal die Schwierigkeiten, die er bei einer sehr einfachen Diätstudie in den
90iger Jahren hatte (11). Die Schwierigkeit bestand darin, genügend
Interessenten zu finden, die auch bereits waren die Ernährung lange genug zu
verändern. Also könnte es durchaus sein, dass die Ideen einer ganzheitlichen Arthritis-Therapie
nicht alle falsch zu sein brauchen, aber sie in der Praxis gar nicht
durchführbar ist.
Ich
stimme mit Teilen überein, würde darin aber nicht mehr als eine Unterstützung
einer bestehenden Therapie sehen. Das wären z.B.:
·
Sinnvolle
Ernährung (mehr omega-3-Fettsäuren, mehr Vitamin D3, mehr Antioxidantien,
weniger Arachidonsäure, weniger omega-6-Fettsäuren überhaupt, weniger Fleisch –
am besten ganz drauf verzichten)
·
Rauchen
aufgeben
·
Bessere
Zahnhygiene
·
Mehr
Bewegung
·
Keine
Nahrungsergänzungsmittel mit Ausnahme bei nachgewiesenem Mangel gezielt
Links:
.
hi, ich habe selber an JRA gelitten bzw. leide immer noch daran, allerdings habe ich geschafft die Krankheit "anzuhalten" (keine Entzündungszeichen). Ernährung ist mMn der wichtigste Faktor bzgl. Aktivität. Sobald ich Nahrungsmittel esse, die ich nicht vertrage, bekomme ich Schmerzen. Weiterhin spielt mMn das von Ihnen genannte Leaky-Gut Syndrom, so wie asymptomatische Infektionen eine Rolle. Habe den ZdG Artikel auch mal überflogen und musste nur mit dem Kopf schütteln, was da teilweise für ein Schwachsinn drin steht.
ReplyDeleteLieber Dominic,
Deleteherzlichen Dank für Ihre Zuschrift.
Ich halte Ernährung für einen wichtigen Faktor in der Therapie. Wenn Sie dadurch Schmerzen kontrollieren können, dann sollten Sie das auch weiterhin nutzen. Shen Sie aber zu, dass Sie auch die Entzündung kontrollieren lassen.
Bei dem Leaky-Gut-Syndrome müssen wir warten, bis eindeutige wissenschaftliche Befunde vorliegen. Auf jeden Fall ist das Mikrobiom (Besiedlung des Darms mit Keimen) aktuell ein wichtiger Gegenstand der Forschung. Wahrscheinlich lassen sich auf Dauer günstige von weniger günstigen Nahrungsmitteln unterscheiden.
Mit freundlichen Grüßen!
LMK