Friday, December 13, 2024

Die Pfarrkirche St. Vitus in St. Vith (Ostbelgien)

 


Über die Pfarrkirche St. Vitus in St. Vith (französisch Saint-Vith) will ich eigentlich schon eine ganze Weile schreiben. Wenn also St. Vith Bischofsitz wäre, täte man sich überhaupt nicht schwer, diese Kirche eine Kathedrale zu nennen, denn sie ist riesig. St Vith liegt im Osten von Belgien in der Deutschsprachigen Gemeinschaft und gehört zur Provinz Lüttich. Die Gemeinde hat etwa 10.000 Einwohner [1].

Die Ursprünge von Sankt Vith liegen im Dunkeln. Wahrscheinlich ist St. Vith im neunten Jahrhundert gegründet worden. Die Reliquien des hl. Vitus (französischen Saint Guy) wurden von St. Denis in Paris nach Corvey bei Höxter überführt. Ach! Das war mir entgangen, als ich mich Anfang des Jahres mit Corvey beschäftigt habe, nachdem ich das Westwerk aus dem neunten Jahrhundert besucht hatte [2]. Die Pilgergruppe mit den Reliquien machte wahrscheinlich eine längere Rast in oder bei dem Ort, der heute St. Vith ist. Nicht nur die Deutschen richteten im 2. Weltkrieg Schaden an, nachdem St. Vith von deutschen Truppen zurück erobert worden waren, legten alliierte Bomberverbände St. Vith im Rahmen der Ardennenoffensive in Schutt und Asche; lediglich neun Gebäude blieben damals unversehrt. Die Schlacht um St. Vith hatte jedoch die Ardennenoffensive entscheidend beeinflußt.


Bestimmt stand bereits 1130 eine größere Kirche in St. Vith, allerdings ist dies urkundlich nicht belegt. Die Kirche, die bis 1944 dort stand, wurde im Krieg zerstört; sie war bereits imposant, denn es existieren Gemälde und Fotos bis 1940, die in einem Schaukasten in der Kirche zu sehen sind. Die aktuelle Kirche wurde von 1954 bis 1959 erbaut und auch 1959 konsekriert. Man mag anmerken, daß dies doch recht lange nach dem Krieg war, aber für St. Vith müssen andere Maßstäbe gelten, denn für den fast völlig zerstörten Ort selbst zog sich der Wiederaufbau bis in die 1960er Jahre hin. Man hat einige Gegenstände aus der alten Kirche retten können, aber es mußte viel ersetzt werden. Den Architekturstil der Kirche nennt man Neo-Romantik [3]. Der aufstrebende Stil wird als Symbol für eine Auferstehungskirche und die sieben Nischen der Apsis als eines für die sieben Sakramente gesehen. Die imposante Statue im Chor deutet man als auferstandenen Christus. Das sehe ich anders. Es handelt sich um ein sakrales Kunstwerk von Zygmunt Dobrzycki [4]. Es zeigt den gekreuzigten, aber ohne das Kreuz. Ehrlich gesagt: es mißfällt mir. Es sei einmal dahingestellt, daß ich generell das bloße Kreuz lieber sehe. Mein erster Schrecken war: King Kong. Ich kann man mir den ausgemergelten, gerade dahingeschiedenen Christus am Kreutz vorstellen, aber dieser hier ähnelt mehr einem Bodybuilder. Die Kirche bietet noch weitere Kreuze, wie man im Übersichtsbild sehen kann. Die weiteren Skulpturen von Zygmunt Dobrzycki haben mir durchaus zugesagt, immerhin soll auch die sakrale Kunst mit der Zeit gehen. Insgesamt hat mir die Kirche gefallen, wobei ich mich aber fragte, ob sie für die heutige Zeit nicht überdimensioniert ist.


Über die Fenster kann ich wenig berichten. Sie sind selbstverständlich neu, aber nicht im Internet erfaßt [5]. Wenn man sich auf eine längere Betrachtung einläßt, kann man ihnen etwas Meditatives abgewinnen, jedenfalls deutlich mehr als vom Richter-Fenster im Kölner Dom.


Für die Orgel sieht es besser aus. Das Instrument wurde 1970 von Stefan Schumacher gebaut und umfaßt „39 Register auf drei Manualen und Pedal und ist somit die größte Orgel in der deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens [6]. Schade, daß nicht ein Organist übte.


Und dann waren da noch Dankestafeln, so wie man sie manchmal in römisch-katholischen Kirchen sieht.

Kommen wir zum Patron der Kirche, dem hl. Vitus oder Veit [7], den man vielleicht vom Veitstanz her kennt, denn die Chorea Huntington wurde so nach dem Heiligen benannt, den man bei der Chorea H. oder der Epilepsie anrief. Obwohl Vitus den Sohn von Kaiser Diokletian geheilt hatte, wollte er nicht den heidnischen Göttern dienen und wurde den Löwen vorgeworfen. Die allerdings leckten ihm die Füße, anstatt ihn zu fressen. Daraufhin wurde er in siedendes Öl geworden, aber von Engeln gerettet. Einen Augenblick! Vitus wurde zwar gefoltet, aber er starb nicht daran, sondern er wurde gerettet. Als Märtyrer müßte er doch qualvoll gestorben sein, was mich gerade an den Film Momentum aus dem Jahr 2015 erinnert [8]. Hat aber anscheinend niemanden bis auf mich jetzt gestört, und Hand aufs Herz es stört mich nicht wirklich.

Ein Besuch in St. Vith lohnt sich, denn im Ort stehen überall Tafeln zur Geschichte und man kann den Zustand vor dem Krieg mit dem heutigen Bild vergleichen. St. Vitus ist ein Schmuckstück, auch wenn die Kirche noch nicht einmal 70 Jahre alt ist.



Links und Anmerkungen:
[1] Gemeinde St. Vith https://de.wikipedia.org/wiki/Sankt_Vith
[2] Erlebnis Deutschland – Das Westwerk von Corvey
https://rheumatologe.blogspot.com/2024/02/erlebnis-deutschland-das-westwerk-von.html
[3] Pfarrkirche St. Vitus https://www.outdooractive.com/de/poi/ostbelgien/st.-vitus-pfarrkirche/15845746/ https://www.ostbelgien.eu/de/fiche/virtualtour/st-vitus-pfarrkirche  
https://www.routeyou.com/de-be/location/view/47567982  
[4] Zygmunt Dobrzycki (1896-1970) https://pl.wikipedia.org/wiki/Zygmunt_Dobrzycki
[5] Ich hatte mich mit Frau Dr. phil. Dipl.-Ing. Annette Jansen-Winkeln
(Europäische Akademie für Glasmalerei – Stiftung / Forschungsstelle Glasmalerei des 20. Jh. e.V.) in Verbindung gesetzt. Sie stimmte mir zu, daß auch Ostbelgien ein Gebiet mit sehr interessanten Kirchen und Glasmalereien sei. Die Forschungsstelle hatte ein vor vielen Jahren ein Euregio-Projekt dazu angestoßen, das dann aber nicht realisiert werden konnte, da schließlich die EU-Zuschüsse in das Euregio-Gebäude von Eupen geflossen sind.
[6] https://www.orgel-schumacher.com/de/projekte/neubau/sankt-vith-sankt-veit und https://www.orgelsite.nl/sankt-vith-vituskirche/  
Bild des Spieltischs bei http://www.rudyoestges.eu/
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Veit_(Heiliger)
[8] „Momentum ist ein südafrikanisch-US-amerikanischer Action-Thriller aus dem Jahr 2015 unter der Regie von Stephen S. Campanelli mit Olga Kurylenko, Morgan Freeman und James Purefoy.“ https://de.wikipedia.org/wiki/Momentum_(2015)
In dem Film wird die Frage gestellt: „Do you know what you have to be, to be a martyr, Doug?“ Und beantwortet: „Dead!“ https://www.imdb.com/title/tt3181776/quotes/?item=qt6425194

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