Wednesday, November 24, 2021

Jiao Gu Lan Tee und langes Leben


Lesen bildet – besonders, wenn man nachschaut, was denn da geschrieben wurde. Ich las in dem Buch „Tees aus aller Welt“ [1], eher ein Buch über Tee im weiten Sinn und nicht über Tee im engeren Sinn, wie Grüntee oder Schwarztee, obwohl auch die sich im Buch finden lassen. Ich las also den Absatz über „Der Tee der hundertjährigen Chinesen“: „Im Barmagebiet, im Süden Chinas, gibt es sehr viele Hundertjährige. […] - der Jia-Gu-Lan-Tee, eine spezielle Grünteeart, wird dort täglich getrunken.“ [2] Eine Grünteeart von ich bislang nichts gehört hatte. Hatte Jia-gu vielleicht etwas mit Jia gu wen (甲骨文), also den Orakelknochen, die früher als Medizin zerrieben wurden, zu tun? Natürlich nicht!

Bei Hundertjährigen werde ich schon kribbelig, weil danach irgendwelche kaum hinterfragten Behauptungen kommen, die sich auf ein Wundermittel beziehen, das diesen Menschen die Langlebigkeit verleiht und die wir deshalb sofort kaufen müssen. Wo leben diese hundertjährigen Chinesen? Im „Barmagebiet“. Es gibt Parma in Italien, bekannt durch den Schinken, aber Barma? Nein. Sicherlich ist Bama gemeint.

Bama (巴马镇) liegt in der Provinz Guangxi (广西) [3] und hat 87.000 Einwohner. Dort leben hauptsächlich die Zhuang (壮族), Angehörige einer nationalen Minderheit. Zhuang wurde früher chinesisch mit dem Radikal Hund geschrieben, man sagt wegen der Rolle von Hundefleisch in der Ernährung, aber 1949 tauschte man das Radikal aus und schreibt nun , also mit dem Radikal Mensch [4]. Viel gewonnen ist nicht, denn bedeutet in der Aussprache tong Hausbursche. Zhuang ist eine Ton-Sprache mit sechs Tönen [5]. Seit 2007 gibt es als Touristenattraktion ein Langlebigkeitsmuseum (长寿博物馆) [6]. Da kommen wir jetzt den „hundertjährigen Chinesen im Barmagebiet“ schon näher. Man erläutert im Museum, wie Topographie (zwei Berge und eine Mulde) und Langlebigkeit zusammenhängen könnten. Außerdem werden Funde (z.B. Keramiken) gezeigt, die man beim Bau des Stausees entdeckt hatte. Ich fand keine demografischen Angaben zu den Menschen in Bama und Umgebung. Und auch in China ist die Gegend abgelegen, von Kunming (昆明) fährt man 680 km und von Guilin (桂林) 450 km bis Bama. Da läßt sich manches äußern und die Chance, daß doch einmal jemand kommt, ist gering.

Ein chinesischer Artikel beschäftigt sich mit dem Gebiet und der Langlebigkeit um Bama herum [7]. Als Gründe für die Langlebigkeit werden u.a. angeführt: hohe Wasser- und Luftqualität, späte Heirat, ein geregeltes Leben, fröhliche Persönlichkeit, Gastfreundschaft, gute nachbarschaftliche Beziehungen. weniger Fleisch, dafür Reis, Katzenbohnen, Süßkartoffelblätter, bitteres Gemüse, Hanfsuppe, Polenta, Bambussprossen, Shiitake und andere Pilze, Süßkartoffeln, Yamswurzel, Sojabohnen, Pfirsiche, Pflaumen und wilde Trauben. Die Menschen im Bama-Gebiet sind fast Vegetarier und essen nur während der Feiertage Fleisch. Sie essen frische, unverarbeitete NAhrungsmittel aus dem dort vorwiegend ökologischem Anbau. Der Salzkonsum beträgt lediglich 3 g pro Tag. Ein Tee wird nicht erwähnt!
Aber ich habe noch ein andere Quelle aufgetan; es gibt einen Artikel auf Deutsch [8]: „Südchina: Bama – das Dorf der Langlebigkeit“. Der Artikel erwähnt den Tee, den ich angesichts des hier veranstalteten ethnologischen Overkills nicht vergessen habe, ebenfalls nicht. Aber der Artikel liest sich gut, wenn man Informationen zu Bama und Langlebigkeit nicht gerade auf Chinesisch sucht.

Kommen wir zurück zum Tee. Uns wurde von „Jia-Gu-Lan-Tee, eine speziellen Grünteeart“ berichtet. Das ist Kokolores. Ersten ist Jia-Gu-Lan-Tee falsch geschrieben und zweitens ist es kein Grüntee. Es gibt Jiaogulan (絞股藍) und das ist Gynostemma pentaphyllum [9]. Im Ben Cao Gang Mu (本草綱目) wird es nicht erwähnt. Allerdings wird die Pflanze im Jiuhuang bencao (救荒本草) (1406) [10] von Zhu Xiao (朱橚) [11] erwähnt. Es wurden Saponine gefunden, von denen acht bestimmten Ginsenosiden entsprechen, die auch in Ginseng (人參) / Panax ginseng zu finden sind. Das Besondere an diesem Nachweis ist, daß diese Ginsenoside auch in einer anderen Pflanzengattung vorkommen. Wenn Sie an Ginseng glauben, könnten Sie sich auch an Jiagulan erfreuen. Doch Halt! Die Pflanze hat in Europa keine medizinische Zulassung und ist nach der Novel Food Verordnung als Nahrungsergänzungsmittel nicht zugelassen. Wird trotzdem verkauft. Ich hoffe es ist klar geworden, daß es sich nicht um Tee der Teepflanze (Camellia sinensis) handelt.

Was lehrt uns das? Immer genau hinschauen, besonders wenn es sich um ein Buch über Tee handelt.




Links, Anmerkungen und so Sachen:
[1] Sylvia Schneider: Tees aus aller Welt (Der Schutzumschlag trägt diesen Titel, innen ist der Titel:  Tees zum Wohlfühlen. Magische Kräuter aus aller Welt), Rezepte aus China, Tibet, Indien und Japan. Exotische Rezepturen der Schamanen und Indios. Geheimnisvolle Kräuter aus 1001 Nacht.
Verlag: Mosaik Verlag, München 1998. ISBN: 3-576-11028-3
[2] S. Schneider, a.a.O. S 22
[3] https://en.wikipedia.org/wiki/Bama_Town,_Guangxi  
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Zhuang
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Zhuang_(Sprache)
[6] https://baike.baidu.com/item/%E9%95%BF%E5%AF%BF%E5%8D%9A%E7%89%A9%E9%A6%86/4913947
[7] https://baike.baidu.com/item/%E5%B7%B4%E9%A9%AC%E9%95%BF%E5%AF%BF%E4%B9%8B%E4%B9%A1/3331778
[8] https://www.china-entdecken.com/news/2013/20130131.html
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Gynostemma_pentaphyllum
[10] https://zh.wikipedia.org/wiki/%E6%95%91%E8%8D%92%E6%9C%AC%E8%8D%89
[11] Zhu Xiao (朱橚), auch Zhu Su gelesen, lebte von 1361-1425.  https://zh.wikipedia.org/wiki/%E6%9C%B1%E6%A9%9A ist ein selten benutztes Zeichen, das die Lesungen sù, qiū und xiāo hat. https://baike.baidu.hk/item/%E6%A9%9A/5288858 Das Wörterbuch, das ich häufig benutze und 7331 Zeichen listet, führt dieses Zeichen nicht auf; Liang Shih-chiu, Chu Liang-chen, David Shao, Jeffrey C. Tung, Lu-scheng Chong: A New Practical Chinese-English Dictionary (最新實用漢英辭典). The Far East Book Co. Taipei 1973.


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