Kapitel 11 – Ein Abstecher nach Ostasien
Wer eine Hütte baut, fängt nicht mit dem Strohdach an. [2]
China
Ich hatte 1991 die Gelegenheit, die DichterKlause des Tang-Dichters Tu Fu (杜甫) in Chengdu (成都市) zu besuchen [3]; die chinesische Bezeichnung 杜甫草堂 bedeutet Strohhütte von Du Fu [4]. Die Fotos von damals sind schlecht. Aber viel schwerwiegender ist mein geringfügiges Interesse an Du Fu damals gewesen. Ich war einfach mehr an Dichtern wie Li Bo (李白), Han Shan (寒山), Wang Wei (王維) oder Meng Haoran (孟浩然) interessiert. Immerhin gehörte aber dieses Erlebnis auch zu den Bruchstücken, die jetzt zum Projekt WinzHaus geführt haben. Fast alle Dichter der Tang-Zeit waren auch kaiserliche Verwaltungsbeamte. Bei dieser Art von Bildung mußte man viele Prüfungen durchlaufen und wurde dann mit einem Posten belohnt. Vielleicht haben verschiedene dieser Dichter auch Rückzugsorte gebraucht, um ihre dichterische Kreativität zu fördern oder Abstand vom Alltagsgeschäft zu bekommen, aber es wäre falsch anzunehmen, daß nun jeder Dichter so eine Strohhütte gehabt hätte. Oftmals findet man aber in späteren Jahrhunderten noch, daß eine Studierstube mit dem Namen Bambushütte oder ähnlich belegt wird. Die strohgedeckte Hütte von Du Fu lag etwas außerhalb von Chengdu, denn die Stadt war damals zwar schon Großstadt mit schätzungsweise 100-200.000 Einwohnern, aber das ist mit den etwa 8 Mill. Einwohnern heute kaum zu vergleichen. ür die damaligen Städter lag es aber schon in der Wildnis, aber doch nicht so abgeschieden, daß man ihn nicht hätte besuchen können. Ich stelle es mir so ähnlich wie das Holzhaus von Henry David Thoreau am Walden Pond [5]. Das war nicht so fürchterlich weit weg, aber es bedurfte eines Angangs des Besuchers, dorthin zu kommen. Du Fu lebte die letzten vier Jahre seines Lebens dort und er war eine sehr kreative, denn etwa 240 Gedichte werden dieser Zeit zugeschrieben. Hier möchte ich einen Auszug aus dem dritten Teil der neun Vierzeiler zitieren und übersetzen, die Du Fu im zweiten Jahr dort geschrieben hat [6]:
熟知茅齋絕低小,
江上燕子故來頻。
Ich weiß, meine strohgedeckte Hütte ist klein und niedrig,
Aber die Schwalben vom Fluß besuchen sie von alters her.
Die taiwanesische Pop-Sängerin Su Rui (蘇芮) hatte schon zu Beginn ihrer Karriere die Großstadt mit den bedrohlichen Hochhäusern thematisiert; beispielsweise in dem Lied 一样的月光 [7]. Später veröffentlichte sie eine Interpretation des Liedes Schneckenhaus (蝸牛的家) von Zheng Zhihua (鄭智化). In dem Lied wünscht sie sich ein Schneckenhaus:
給我一個小小的家蝸牛的家
Gebt mir ein winziges Heim, ein Schneckenhaus [8]
In diesem Lied ist von dichtgedrängten Hochhäusern, überfüllten Straßen und Immobilienpreisen wie auch von Ängsten und Schutzbedürfnissen die Rede. Das soll ein Schneckenhaus / Apartment lösen, es „muß nicht groß sein“.
Korea
Zu Korea kann ich nicht viel sagen, obwohl ich 2011 Nord-Korea für etwas über zwei Wochen besucht habe. Da war allerdings die sozialistische Megalomanie einer der Besichtigungsschwerpunkte. Kleine Hütten waren nicht vorgesehen. Doch halt, ich komme noch drauf! Die vielen kleinen Tempel etwa fielen dem sozialistischen Ikonoklasmus zum Opfer und Korea hat eine wesentliche buddhistische Tradition. Das mag man in Japan vielleicht nicht gerne hören, aber ohne Korea wäre der Zen-Buddhismus erheblich in seiner Entwicklung gestört worden. Kim Il Sung hatte selbst eingreifen müssen, damit noch Reste des buddhistischen Erbes physisch überleben konnten [9]. Interessanterweise ist es nun das Geburtshaus von Kim Il Sung, das uns in den einzelnen Teilen strohgedeckte Dächer zeigt.
Japan
Kisho Kurokawa hatte mich mit seinem Buch [10] zum Nachdenken über Rikyus Teehaus angeregt. Aufmerksame Leser könnten das Fehlen von Atikeln zur japanischen Teezeremonie (cha no yu – 茶の湯) auf diesem Blog bemerkt haben. Das hat den einfachen Grund, daß ich früher Seminare von Franziska Ehmcke besucht hatte, die ein sehr schönes Buch mit dem Titel „Der japanische Tee-Weg“ veröffentlich hat. Da kann ich nun gut drauf verweisen. Rikyu bzw. Sen no Rikyu (千利休) [12] ist eine der wesentlichen Figuren in der Geschichte des Tee-Weges (茶道) [13]. Er hatte das ästhetische Konzept der Einfachheit, des Wabisabi (侘寂) geprägt. „Der bemooste Fels, das grasbewachsene Strohdach, die knorrige Kiefer, der leicht berostete Teekessel, das und Ähnliches sind die Symbole dieses Schönheitsideals.“ [14] Der Teeraum Rikyus ist in den Büchern von Kisho Kurokawa und Franziska Ehmcke beschrieben, etwas großformatiger bei Kurokawa.
Ich habe selbst nur die Teehäuser von Shogunen in Tokyo fotografiert. Die haben dann bereits die Größe einer Villa, trotzdem sind sie sehr viel bescheidener als die Paläste und gehören somit hierher.
1973 besuchte ich Japan zum ersten Mal und bin bei einem deutschen Freund untergekommen, da sein chinesischer Untermieter und seine Freundin gerade nicht da waren. Es gab in dieser Wohngeminschaft ein Küche/Eßzimmer mit Dusche und Toilette. Er bewohnte einen Raum mit drei Tatami (畳/たたみ) und der Untermieter den Raum mit zwei Tatami; eine Tatami mißt etwa 180x90 cm. Es war schon damals schwierig eine größere Wohnung in Tokyo zu bekommen und auch eine kleine Wohnung war teuer. Über das Fromat Schneckenhaus (蝸牛的家) hatte ich damals noch nicht nachgedacht.
20 Jahre später fiel mir ein Kapselhotel in Tokyo auf. Mittlerweile nennt man sie in Deutschland auch als Schließfach- oder Wabenhotels, so jedenfall der Hotelführer für Kapselhotels in Japan [15].
Die Tür dazu kann man übrigens nicht verriegeln. Als Größe darf man sich Höhe und Breite mit jeweils 1 m und Tiefe mit 2 m vorstellen. Bisweilen ist Fernsehen vorhanden. Gepäck bewahrt man in einem wirklichen Schließfach auf. Übrigens reisen Japaner im Land anders. Sie reisen in der Regel für eine kürzere Dauer und damit auch mit weniger Gepäck. Es gibt neben der Kapsel noch Aufenthaltsräume, Duschen, Toiletten, Waschräume, so daß die Kapsel nur zum Schlafen oder Rückzug gedacht ist.
Ist das noch zu toppen? Aber sicher! Die 8 m² Wohnung in Tokyo. Allerdings ist die Wohnung sehr hoch, so daß ein Bett oberhalb der Wohn-, Küchen- und Badbereiche auf einer Plattform eingerichtet wurde – ich kenne so etwas noch als Hängeboden in Altbauwohnungen in Berlin. Dem Bericht nach beträgt die Miete 600 $ [16]. Autsch!
Zusammenfassend bringt uns Ostasien interessante Aspekte zu Miniaturisierung, Schlichtheit, Wünschen, Nutzungsmöglichkeiten von Wohn-, Arbeits- und Kreativräumen. Der meditative Aspekt wird auch noch zu sondieren sein.
Links und Anmerkungen:
[1] Hinweise auf das Projekt finden sich in der Einleitung: https://rheumatologe.blogspot.com/2024/01/das-winzhaus-einleitung.html
[2] Sprichwort https://www.gutzitiert.de/
[3] Du Fu Thatched Cottage https://en.wikipedia.org/wiki/Du_Fu_Thatched_Cottage – Thatched Cottage läßt mich an die Isle of Wight denken oder an Käse.
[4] Man könnte sie auch Reetdachkate nennen, aber das führt jetzt ins Norddeutsche; ich werde auf die Reetdachkate später noch eingehen.
[5] Das WinzHaus – Zen und Walden https://rheumatologe.blogspot.com/2024/02/das-winzhaus-zen-und-walden.html
[6] 絕句漫興九首、其三 aus der Kompilation Sämtliche Tang-Gedichte (全唐詩), zitiert nach: https://baike.baidu.hk/item/%E7%B5%95%E5%8F%A5%E6%BC%AB%E8%88%88%E4%B9%9D%E9%A6%96/10748869 [7] Derselbe Mond 一样的月光 / #百萬點閱金曲 #蘇芮
1983年,電影《搭錯車》主題曲 https://www.youtube.com/watch?v=ufAtOoMazjw
[8] Schneckenhaus 蝸牛的家 / 蘇芮《東方快車謀殺案》專輯 / 1989年 - https://www.youtube.com/watch?v=2XJuKiXqXJU
[9] Buddhist Temples https://rheumatologe.blogspot.com/2011/10/buddhist-temples.html
[10] Kisho Kurokawa: Intercultural Architecture. The Philosophy of Symbiosis. Academy Editions, London 1991. ISBN: 185490-036-6.
Das WinzHaus – Einleitung https://rheumatologe.blogspot.com/2024/01/das-winzhaus-einleitung.html
Das WinzHaus – Architektur – erste Annäherung
https://rheumatologe.blogspot.com/2024/01/das-winzhaus-ruckzugsorte_31.html
[11] Franziska Ehmcke: Der japanische Tee-Weg. Bewusstseinsschulung und Gesamtkunstwerk. Dumont, Köln 1991. ISBN 3-7701-2290-9.
Franziska Ehmcke (geb. 1947 in Hamburg) ist eine deutsche Japanologin, die Leiterin der Abteilung Japanologie am Ostasiatischen Seminar in Köln gewesen ist. Sie ist mittlerweile emeritiert. https://de.wikipedia.org/wiki/Franziska_Ehmcke
[12] Sen no Rikyū (千利休) https://de.wikipedia.org/wiki/Sen_no_Riky%C5%AB
[13] Die japanische Aussprache von 茶道 – sado – erzeugt im Westen eine falsche Assoziation.
[14] Wabi-Sabi (侘寂) https://de.wikipedia.org/wiki/Wabi-Sabi
[15] https://www.gotokyo.org/de/story/guide/a-guide-to-capsule-hotels-in-japan/index.html
[16] https://www.youtube.com/watch?v=_945t_YIAcU Anfang der 5. Minute geht es los, aber die anderen Tiny Houses sind auch interessant.
[17] Da die Mieterin Ausstralierin ist, könnte es sich auch um A$ handeln.
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