Friday, July 25, 2025

Das WinzHaus als Ort spiritueller Einkehr

 

Andachts- und Wohnort eines Mönches auf ca. 5370 m Höhe in Ladakh



給我一個小小的家蝸牛的家
Gebt mir ein winziges Heim, ein Schneckenhaus [2]
 
Kapitel 19  –  Das WinzHaus als Ort spiritueller Einkehr

Weist die Liedzeile der taiwanesischen Pop-Sängerin Su Rui (蘇芮) in die Richtung eines Ortes spiritueller Einkehr? Ich meine -: Ja. In diesem Kapitel geht es um WinzHäuser als Ort der spirituellen Einkehr. Da dies etwas hochgeschraubt erscheinen mag, möchte ich noch einige Worte zur Erdhaftung folgen lassen. Selbst die Laube im Schrebergarten [3] oder die Jagd- oder Angelhütte können Orte spiritueller Einkehr sein. Wobei ich bei Jagd eher das Schießen von Fotos sehe und beim Angeln das vegane Angeln bevorzuge [4]. Im Zen-Buddhismus kann und soll auch die Toilette ein Ort des Nachdenkens über das Koan sein [5]. Die Toilette ist schließlich nichts anderes als ein WinzHaus mit Herzchen.

Retreat in den Anden

Wer sucht nun einen Ort spiritueller Einkehr? Vielleicht vereinfacht ausgedrückt: der/die EinsiedlerIn. Meine erste Begegnung war Alexandra David-Néel. Ich hatte in Köln vor und während des Medizinstudiums auch Ethnologie studiert. Ich erinnere mich an die Bibliothek des Instituts im Hauptgebäude der Universität zu Köln. Dort gab es einige Bücher über Tibet, für die man auf die Rollleiter steigen mußte. Ich habe nicht nur Bücher von Alexandra David-Néel sondern auch von anderen Entdeckern des abgeschlossen, ja auch verschlossenen Tibets gelesen. Ich habe das Bild von ihr, das mir von damals in Erinnerung geblieben ist, in mehreren Büchern, aber dies hier möchte ich zitieren [6]. Die Bildunterschrift auf S. 73 lautet: „Alexandra David-Néel vor ihrer selbstgezimmerten Eremitage im Gebiet von La-chen (Himalaja 1915)“. Das ist also 110 Jahre her.

Auf der gegenüberliegenden Seite (S.72) las ich: „Wir waren auf unserem Weg zum Saluën [Salwen] hinab gerade an einem der niedrigen Pässe des Kha-Karpo-Gebirges angelangt, als wir hinter uns Glöckchengebimmel hörten.“ Das verführte mich, dort näher nach dem Ort der Eremitage zu suchen, denn ich hatte 2009 auch diesen Weg genommen – und wenn ich die Reiseroute auf S. 120 vergleiche, dann ist sie über weiter Strecken deckungsgleich mit meiner Route. Vor der Kulisse des Khawa Karpo (tib.: kha ba dkar po) hatte ich mit meinen Reisebegleitern Halt gemacht. Der Gipfel ist weiterhin unbestiegen und aus kulturellen und religiösen Gründen wird dies auch noch eine Weile so bleiben [7]. Das liegt ca. 750 km östlich von Lhasa. 


Ich recherchierte weiter zu „Gebiet von La-chen“ und fand den „Nagenla (Lhachen La) Mountain Pass in Damxung“ [8]. Das liegt etwa 120 km NWN von Lhasa. Dort bin ich 1998 gewesen und die Landschaft sah überhaupt nicht so aus, wie das Bild im Buch sie nahelegt.

Ich suchte weiter und fand den Ort über die Jahreszahl. Frau David-Néel befand sich 2015 in Sikkim und die Eremitage hatte sie dort errichtet. Ich war zwar zweimal in Sikkim, aber nicht in Lachen. Das liegt übrigens etwa 320 km südwestlich von Lhasa. Mittlerweile kann man den Ort aber besichtigen [9]. Vielleicht beim nächsten Besuch?

Alexandra David-Néel schrieb wie auch Sven Hedin oder Wilhelm Filchner [11] sehr abenteuerlich über ihre Reisen. Über die Ruhephasen berichtet sie zwar auch, aber deutlich weniger. In ihrer Eremitage hatte sie tibetanische Yogaübungen durchgeführt, sich mit dem Buddhismus beschäftigt, aber ob sie auch Tibetisch konnte, weiß ich nicht. Mit ihrem Adoptivsohn, dem Lama Yongden, hatte sie einen Übersetzer. Andererseits dauerte die Reise von 1911 bis 1925, da war also auch Zeit, Sprache zu erwerben. 

Bleiben wir noch im Himalaya. Tenzin Palmo (geborene Diane Perry) [12] entschloß sich zur Meditation in größtmöglicher Abgeschiedenheit in der Kagyü-Tradition des tibetischen Buddhismus. Während und kurz nach der Kulturrevolution war Tibet selbst keine Option. Sie fand aber eine Höhle im Gebirge und zwar im Lahaul Tal, da liegt etwa 100 km Luftlinie von Dharmasala entfernt und liegt südlich von Ladakh. Im Winter können dort die Temperaturen zwischen -30-40° C liegen. Sie lebte dort in einer Höhle von 3x2 m über 12 Jahre, die letzten drei Jahre im strengen Retreat [13]. Streng heißt unter anderem, die Witterung auszuhalten und nur drei Stunden in der Nacht sitzend zu schlafen. In dem Interview beschreibt sie, daß Glück nicht von den äußeren Umständen anhängig sein sollte („Es ist unsere Aufgabe, uns selber Glück zu wünschen, selber glücklich zu sein.“). 

Kommen wir vom Himalaya einmal zurück nach Europa, bleiben aber im Gebirge. Mönchen und Nonnen in der katholischen Tradition lebten in Zellen der Klöster, aber die Zellen oder Häuschen der Kartäuser ermöglichten dann noch mehr Abgeschiedenheit. Die Kartäuser gehen auf den heiligen Bruno von Köln zurück [14]. Wahrscheinlich kennen die meisten das Getränk Chartreuse, das seinen Namen von den Kartäusern hat, denn die haben den Kräuterliqueur erfunden. Die Chartreuse aber ist eine einsame Gebirgsgegend bei Grenoble (Frankreich), in der Bruno den Orden gegründet hat. Die Kartäuser leben in kleinen Häusern, die mit dem Kreuzgang und der Kirche verbunden sind; hinter der kleinen Wohnstätte lagen Werkraum und Garten. Auf dem Athos existiert die Siedlungsform der Skiten (griechisch σκήτες), wobei in einer der Formen „Kelliá (griechisch κελλιά ‚Zellen‘), Hütten für einen Bewohner“, rund um einen klösterlichen Zentralbau angelegt sind [15]. Diese Form des Mönchstums bildete sich etwa im 9. Jahrhundert heraus. Aber das Wort Skite geht auf die Sketische Wüste Ägyptens zurück, in die im 3. Jahrhundert die Eremiten gegangen waren, zeitweise so viele, daß geregelt werden mußte, wie nah die Zellen untereinander gebaut werden durften [16]. 
Fassen wir diesen Teil zusammen. Die Eremiten wollten Ablenkungen vermeiden, um so in einfachen Lebensumständen zu beten und zu meditieren. Der Rückzug von Menschen in eine Hütte, Höhle oder Zellen (kelliá - κελλιά) kommt dem WinzHaus sehr nah.
 

Wer nicht in den Himalaya reisen möchten, dem rate ich zu einem Besuch der St. Veitskapelle oder Vituskapelle im Isteiner Klotzen [17]. Die Kapelle ist in eine Nische des Isteiner Klotzens gebaut worden. Istein gehört zur Gemeinde Efringen-Kirchen und liegt nahe der Grenze zur Schweiz, weshalb ich dort überhaupt vorbeigekommen bin. Die Kapelle wurde wahrscheinlich im 12. Jahrhundert erbaut und gehörte zur Burg Istein. Sie wurde mehrfach zerstört. Warum sie die französische Besatzungsmacht zwischen 1947–1950 zerstörte, erschließt sich mir nicht, als hätten sie nichts besseres zu tun gehabt – z.B. Nazis suchen, aber die Kapelle wurde Ende der 1980iger Jahre durch eine Bürgerinitiative wieder aufgebaut.

Hurtig zurück in den Himalaya! Und zwar nach Bhutan. Der vollständige Bericht zum Tigernest findet sich in der Reisebeschreibung aus dem Jahr 2023 [18]. Während man die St. Veitskapelle über ein paar Treppen erreichen kann, ist der Weg zum Tigernest oder Taktsang steil und anstrengend. Es geht bergauf und wieder bergab und erneut bergauf. Man muss trittsicher sein und wandert auf etwa 3.000 m Höhe. Ich bin im Jahr 2000 und noch einmal 2023 dort hinaufgestiegen. 

Paro Taktsang Dzongkha:
སྤ་གྲོ་སྟག་ཚང་) ist im Westen besser als Tigernest bekannt; weitere Namen finden Sie im Wikipedia-Artikel, aus dem ich weitere Informationen entnommen habe [19]. Padmasambhava (Guru Rinpoche) meditierte und praktizierte in einer der 13 Höhlen (Taktsang Senge Samdup-Höhle). Später (1692) wurde der Klosterkomplex um diese Höhle herum an der Felswand des oberen Paro-Tals errichtet und wurde nach und nach zu einer heiligen Stätte des Vajrayana-Buddhismus im Himalaya. Am 19. April 1998 (2 1/2 Jahre bevor ich Taktsang zum ersten Mal besucht hatte [20]) brach im Hauptgebäude des Klosterkomplexes ein Feuer aus. Die Brandursache ist unklar, aber es wurden ein elektrischer Kurzschluss oder flackernde Butterlampen diskutiert. Danach wurde jedoch alles rekonstruiert.

Wir haben uns gerade mit allen möglichen Schneckenhäusern, WinzHäusern, Hütten, Höhlen und anderen Rückzugsorten als Orte spiritueller Einkehr beschäftigt. Darum: Laßt uns zwei, drei, viele WinzHäuser [21] errichten!





Links und Anmerkungen:
[1] Hinweise auf das Projekt finden sich in der Einleitung: https://rheumatologe.blogspot.com/2024/01/das-winzhaus-einleitung.html 
[2] Die taiwanesische Pop-Sängerin Su Rui (蘇芮) hatte schon zu Beginn ihrer Karriere die Großstadt mit den bedrohlichen Hochhäusern thematisiert; beispielsweise in dem Lied 一样的月光 [2a]. Später veröffentlichte sie eine Interpretation des Liedes Schneckenhaus (蝸牛的家) von Zheng Zhihua (鄭智化). In dem Lied wünscht sie sich ein Schneckenhaus:
給我一個小小的家蝸牛的家
Gebt mir ein winziges Heim, ein Schneckenhaus [2b]
[2a] Derselbe Mond 一样的月光 / #百萬點閱金曲 #蘇芮
1983年,電影《搭錯車》主題曲 https://www.youtube.com/watch?v=ufAtOoMazjw   
[2b] Schneckenhaus  蝸牛的家 / 蘇芮《東方快車謀殺案》專輯 / 1989年 - https://www.youtube.com/watch?v=2XJuKiXqXJU   
[3] Auch das ist ein Thema, das mich schon seit langer Zeit beschäftigt.
Das Shangri-la im Schrebergarten 
https://rheumatologe.blogspot.com/2013/04/das-shangri-la-im-schrebergarten.html 
[4] Veganes Angeln ohne AngelSchein? 
https://rheumatologe.blogspot.com/2024/04/veganes-angeln-ohne-angelschein.html   
[5] Ich weiß nicht mehr, wo ich das gelesen hatte, aber immerhin kann man in der Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie (Dr. phil.) durch die Philosophische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf von Frau Mariko Fuchs (Die Pädagogik des Zenmeisters/ Darstellung und Analyse) die Wichtigkeit der Regelung des Geschehens um die Toilette nachlesen.  
https://docserv.uni-duesseldorf.de/servlets/DerivateServlet/Derivate-5809/P%C3%A4dagogik%20des%20Zenmeisters.pdf
 

[6] Alexandra David-Néel: Mein Weg durch Himmel und Hollen. Scherz Verlag, Bern 1986. [ISBN: 3502191425].
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Khawa_Karpo 
[8] https://mysterioustibet.com/nagenla-mountain-in-damxung-county-lhasa.html  
[9] https://www.sikkimtours.co.uk/hermitage-at-north-lachan 
[10] Sven Anders Hedin (1865-1952) war ein schwedischer Geograph, Topograph, Entdeckungsreisender, etc. pp.
Von ihm hatte ich ziemlich viel gelesen, auch „Abenteuer in Tibet“ (1904) und erst vor wenigen Jahren „Der wandernde See“ (1937).
https://de.wikipedia.org/wiki/Sven_Hedin  
[11] Wilhelm Filchner (1877-1957) war ein deutscher Geophysiker, Geodät, Forschungsreisender und Reiseschriftsteller. 
Ich hatte damals u.a. 
„Das Kloster Kumbum“ (1906) und „Om mani padme hum“ (über die Tibetexpedition 1926–1928) gelesen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Filchner 
[12] Jetsunma Tenzin Palmo (geboren 1943 als Diane Perry) ist eine britische buddhistische Nonne in der Kagyü-Tradition des tibetischen Buddhismus. 
https://de.wikipedia.org/wiki/Tenzin_Palmo 
[13] Mariette Schürholz: Interview mit Tenzin Palmo. „Wir sind von Natur aus unbefleckt! Das ist die Glücksbotschaft.“ Bhuddismus aktuell 3/2005, S. 27-31. Insbesondere der grau unterlegt Kasten „Die ehrwürdige Tenzin Palmo meditierte zwölf Jahre in einer Höhle“ auf S. 31, aber auch der 
zitierte Wikipedia-Artikel [12].
[14] https://de.wikipedia.org/wiki/Kart%C3%A4user 
[15] https://de.wikipedia.org/wiki/Athos  
[16] Hans Conrad Zander: Als die Religion noch nicht langweilig war. Die Geschichte der Wüstenväter. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001. ISBN: 3-462-02982-7.
[17] https://de.wikipedia.org/wiki/St.-Veits-Kapelle_im_Isteiner_Klotzen 
[18] https://rheumatologe.blogspot.com/2023/05/the-tigers-nest-or-taktsang-near-paro.html 
[19] https://en.wikipedia.org/wiki/Paro_Taktsang
[20] Glimpses into Bhutan in the Year 2000 – A Travel Diary Part 7 / 15th of October [20a]:
„We were on the way to the Tiger's Nest / Thaktsang Lhakhang. The path was easy [20b], but difficult due to the altitude (3,000 m). We passed the lookout point just before the cafeteria. There I met a young Australian woman from Perth who had a permit for Tiger's Nest. We went on with two pilgrims from Thimphu. The path came close to a waterfall. Women carried stones for the new building. I stopped for a moment at the ceremony in the new walls and didn't go in straight away, listened to the drums and the music. Then I went on with the three women to whom an old monk opened the old Lhakhang, which is shown in J.C. White's book [20c]. I looked at everything in peace, while the Australian completely freaked out and threw herself down. Later she procured a white ribbon for the sanctuary and asked to be allowed to do her Tibetan prostration exercises there. Everything had been certainly very meritorious. At least it got me into the heart of the Tiger's Nest. On the way down I have been stopped by the clerk of the monastery (“I'm also a policeman”). He had previously had a dispute with C. [a friend, who did not want to hike up to Taktsang], which I didn't know at the time. Of course I didn't have a permit. I followed the Australian. I was able to reassure him because I assured him that I didn't want to cause him any trouble. I remember one argument: stones could fall down the mountain. Well, nothing can happen to you if you have a permit.“
[20a] https://rheumatologe.blogspot.com/2020/09/glimpses-into-bhutan-in-year-2000_10.html   
[20b] The new path is strenuous and not easy!
[20c] J(ohn). Claude White: Sikhim & Bhutan: Twenty-One Years On The North-East Frontier, 1887-1908. Edward Arnold (Publ.). London 1909. Reprinted New Delhi 1999. Again available as Paperback, 2012: ASIN: ‎ B00AWKMGQY. The picture of Taktsang is opposite of page 128.
[21] Frei nach Che Guevara.

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