Thursday, October 16, 2025

LYRIK-Taschenkalender 2013 09. und 10. KW 16.10.2025


Michael Braun hat den LYRIK-Taschenkalender 2013 herausgegeben. 17 Dichterinnen und Dichter stellten jeweils zwei Lieblingsgedichte mit Kommentar vor. Von diesen AutorInnen wählte der Herausgeber je ein exemplarisches Gedicht aus und kommentierte es. In diesen Taschenkalender habe ich nun wieder Annotierungen und Assoziationen geschrieben. Vielleicht so ein wenig wie Daniel Spoerris: An Anecdoted Topography of Chance (1966 Something Else Press, New York / Cologne). Diese Annotationen stammen aus den Jahren 2023-2025.


09. KW
Ernest Wichner: Sehnen und Hören


Da wohnt ein Sehnen [1] … 

Sehnen und Hören -: warum nicht Sehnen und Höhnen? Oder Sehnen und Muskeln?

Kein offenes Licht! Der Blitz schlägt in den Stein und nicht in den Baum. 

Man konnte solche Gedichte früher mit der SchreibMaschine einfacher schreiben. Die Formatierungen und automatischen Trennungen erschweren diese Form, während sie sonst doch so nützlich sind.     

SteinTraum
    der Traum
Der
Flachen
Kiesel
Im
BachBett
Ist
Voller
Wasser
Und
Den
Tritten
Weicher
KinderFüße
Und
ManchMal
Kichern
Sie
Im
Traum
Auf
Und das
    Wasser
Gluckst dazu


09. KW
Kommentar: Hans Thill


SteinSchnuppen 
    sie warfen 
Die 
Steine 
Den 
AbHang 
HinAb 
In 
Das 
BaggerLoch 
SteinSchnuppen
Die brav 
    Ins 
Wasser tauchten  


10. KW
Jean Krier: Hab sonst nichts auf der Welt


Ja, wie wird es sein nach dem Tod? Nichts? Dann ist jedes Streben nach Nirvana nichtig. Oder vielleicht so nach dem Tod sind wir allein, aber auf einer FrühlingsWiese, bis wir durch ein Tor, vielleicht so einen kleinen SaloonEingang gehen, von dem die Tür noch nachSchwingt und der HolzBoden bei unserem Schritten knarrt; und dann gehen wir weiter durch Türen und Treppen hinaAuf und hinUnter, bis wir uns mit dem Leben nach dem Tot anGefreundet haben. 

Von „O Haupt voll Blut und Wunden“ [2] bis zu „Es ist vollbracht“ -: das ist das Leben. „Tote schlafen fest“ ist fast besser als „The Big Sleep“ [3]. Mit nichts kommen und mit nichts gehen. Wir haben nur im Jetzt Vergangenheit und Zukunft. Wenn wir das Jetzt verlieren, verlieren wir alles. 

„Die Toten mit ihren Kanülen und Schläuchen“ -: das stimmt so nicht, denn die werden ihnen entfernt, sogar der SchrittMacher muß raus.

Weh, weh
    weh, weh 
Unser 
Armer 
Kasper 
Ist
In 
Das 
HafenBecken 
Aus 
UnRat 
Und 
BrackWasser 
GeFallen
Er schwimmt 
    Schon 
Nicht mehr

Glöckchen -: Kling, Glöckchen und Süßer die Glocken, GlühWein und zum Schluß noch Last Christmas mit Schuss. Klappe zu, Affe tot [4]. 

Aus der Zeit 
    dies Haupt 
Voll 
Blut
Und 
Wunden 
Ist 
Völlig 
Aus 
Der 
Zeit 
GeFallen 
Und steht 
    Doch 
Ewig da   


10. KW
Kommentar: Michael Braun


Tja, aus dem Saloon kann man nicht wieder hinaus auf die Wiese, aber was will man dort? Man ist doch schon weiter. Andererseits, warum wollen wir immer weiter und können uns nicht mit dem anFreunden, das bereits da ist. 

Was fühlt man, wenn einem aus den Wunden der DornenKrone Blut über das Gesicht fließt? Das Leben, den Schmerz des Lebens oder den heranNahenden Tod?   
 




Links und Anmerkungen:
[1] Da wohnt ein Sehnen tief in uns (Eugen Eckert, 1999) nach There is a longing (Mary Anne Quigley, 1992). Lied 209 in: Das Liederbuch. Lieder zwischen Himmel und Erde. Strube-Verlag, München 2023 (16. Auflage). ISBN: 978-3-926512-80-2. 
[2] „O Haupt voll Blut und Wunden“, im Evangelischen Gesangbuch Nr. 85,  stammt von Paul Gerhardt (1607-1676). Er „war ein evangelisch-lutherischer Theologe und gilt als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Kirchenlieddichter.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Gerhardt 
[3] Tote schlafen fest (The Big Sleep) ist ein Film noir von Howard Hawks nach Raymond Chandlers Roman mit Humphrey Bogart und Lauren Bacall au dem Jahr 1946. 
https://de.wikipedia.org/wiki/Tote_schlafen_fest 
[4] Herkunft unklar, vielleicht aus dem ZirkusGewerbe.

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