Die Tür fiel ins Schloss und ein Schlüssel wurde gedreht. Hans-Jochen Barthels war zurück in seiner Zelle. Nachteinschluss. Und er hatte es nicht erwartet. Es war wie ein Rabatt auf eine Ware, die schon preisreduziert war. Er konnte es kaum glauben. Die auf zwei Jahre und vier Monate festgesetzte Zeit hinter Gittern war schon reduziert worden, weil er sich gut geführt hatte und nun wäre der 22. Dezember und nicht erst der 5. Januar sein Entlassungstag. In den Genuss der Weihnachtsamnestie kommen immer nur wenige Häftlinge.
Warum sollte er nicht auch einmal Glück haben. Nach seiner Verurteilung hatte sich Ines sehr schnell von ihm getrennt und auch scheiden lassen. Sie soll jetzt in Münster leben, hieß es. Aber er wußte, dass dies keine Option sein würde. Und überhaupt, er war noch nie in Münster gewesen. Nichts zöge ihn nach Münster. Was für Optionen hatte er denn? Die ersten Tage würde er in einer Pension verbringen, das war bereits arrangiert worden, da ein Appartment nicht gleich zur Verfügung stand. Aber wieder Herr über den Schlüssel zur Tür sein, dieser Gedanke gefiel ihm sehr.
Er ließ seinen Aufenthalt in der Justizvollzugsanstalt Tieffenthal Revue passieren. So schlecht hatte es Hans-Jochen Barthels doch gar nicht getroffen. Er war schnell in die Buchbinde-Werkstatt gekommen und hatte täglich etwas zu tun gehabt. Viel gelesen hatte er auch. Irgendwie waren die Tage vergangen, die Wochen … Und niemand hatte ihn zusammengeschlagen. So hatte er sich gut führen können und eins kam zum anderen. Er könnte jetzt anfangen, glücklich zu sein.
Der 22. Dezember kam und nach den Formalitäten stand er in seiem alten Anzug, na ja so alt war er schließlich auch nicht, vor dem Tor. Er ging mit seiner Tasche zum Bushaltestelle und dreht sich eine Zigarette. Früher hatte er nicht geraucht, aber er fing doch sehr bald während seiner Haft an zu rauchen. Nach einer Viertelstunde kam der Bus, der ihn in die Stadt brachte. Er hatte auch vorschriftsmäßig seine Maske auf. Fast fühlte er sich wie ein Bankräuber. Obwohl – es hatte ihn früher bei Western gestört, wenn die Räuber während des Überfalls nur ein Tuch über Mund und Nase ziehen mussten, um nicht erkannt werden zu können.
Die anderthalb Kilometer bis zur Pension ging er
zu Fuß. Er musste noch etwas ausfüllen, Geld war hinterlegt, und
dann bekam er seinen Schlüssel ausgehändigt.
Der 23. Dezember war sein erster ganzer Tag in Freiheit, aber COVID-19 hatte diese merklich eingeschränkt. Kein Kino, keine Kneipe, kein Kiosk mit Stehimbiss, kein Klub, kein Kasino für Automaten … Aber Einkaufen konnte er noch und er musste es auch, denn er wollte nicht die nächsten Tage auf Pizzeria und Grillstube angewiesen sein, zumal die auch geschlossen haben konnten.
Hans-Jochen Barthels brachte seine Einkäufe in die Pension. Dann ging er doch in eine Pizzerie und bestellte eine Pizza, die er dann auf einer Parkbank aß. Gott sei Dank hatte man sich im Wetterbericht geirrt und es regete nicht in Strömen, es war sogar warm … für die Jahreszeit. Dann ging er durch die Straße, in der er früher einmal gewohnt hatte, aber er wollte eigentlich niemandem von dort begegnen und ging rasch weiter. Er trieb ihn durch den Ort, manchmal blieb er vor eiem Schaufenster stehen, manchmal setzte er sich kurz auf eine Bank. Er aß früh zu Abend. Schließlich ging er in die Pension, schaute etwas fern und legt sich hin. Einschluss und Licht aus.
Am 24. Dezember schlief er lange, wie er meinte, aber auch nicht so lange, dass es zum Frühstücken auf dem Zimmer zu spät wäre. Danach ging er im Zimmer umher. Er setzte sich, stand wieder auf, ging zum Fenster, schaute hinaus, setzte sich wieder hin, wibbelte mit den Beinen, bis er aufstand und sich anzog. Er verließ die Pension, ohne zu wissen, was er wollte oder auch nur, wohin er gehen wollte. Er war in Gedaken, wie es denn die nächsten Tage gehen sollte, grübelte und schaute nur vor seine Schuhe auf die Straße, als ihn Holger ansprach.
„Mensch, Hajo, lange nicht gesehen“, sprach Holger ihn an.
„Tach, Holgi! Schön Dich zu sehen!“ antwortete Hans-Jochen.
Sie liefen ein Stück zusammen, sprachen über dies und das, über gemeinsame Bekannte, ließen auch die Haft nicht aus. Und dann wurde daraus eine Einladung für den Abend. Es würden mit ihm auch nur fünf Personen zusammenkommen. Darauf konnte sich Barthels einlassen. Sie verabredeten sich für den Abend.
An Heiligen Abend kam Hans-Jochen Barthels zur Wohnung von Holger. Von innen hörte er leise Musik und gedämpfte Stimmen, auch ein Frauenlachen. Er zog seine Jacke aus und Holger begleitete ihn ins Wohnzimmer. Holger stellte Hajo vor. Da waren die Mona, Holgers Frau, Manuela, Monas Schwester, der Stoffel und die Gisi, der Bernd, Conny und Mandy, Dieter und Laura, also fünf Personen des eigenen und eines weiteren Hausstandes. Aber schon zog Conny Hajo aufs Sofa zwischen sich und Mandy, er rauchte, trank seinen Weißwein und aß Schnittchen. Er unterhielt sich prächtig. Da gab es nichts zu bereuen. Aber auch gar nichts. Und die Gesellschaft blieb ruhig, auch zu vorgerückter Stunde. Die Fenster aber ließ man sicherheitshalber geschlossen. In der Nacht löste sich die Gesellschaft auf und Hans-Jochen wankte durch die Stille Nacht zu seiner Pension. Ein wenig klarer wurde der Kopf. Er kam auch etwas gelüftet zur Pension.
Das Frühstück am 25. Dezember ließ Barthels ausfallen. Er ging aber später zu einer Pizzeria und aß wieder Pizza im Park. Die nächsten Tage waren langweilig und zogen sich dahin. Er hatte noch kein Handy oder Smartphone. Wer sollte ihn auch anrufen.
Am 30. Dezember fühlte er ein Kratzen im Hals und hustete ein paar Mal so heftig, dass es ihm das Rauchen verleidete. Er lag dann auch mehr im Bett und schlief, auch über Tag. Gut, dann ging die Zeit auch leichter herum. Silvester hatte er beim Frühstück starken Schnupfen und fühlte sich sehr schwach. Er legt sich hin. Wahrscheinlich hatte er das Klopfen nicht gehört. Nun aber ging der Atem schwer und er bekam nur noch mit, dass der Notarzt ihm eine Nadel in die Ellenbeuge gelegt hatte. Die Fahrt war blitzendes Licht, blau, grell und Heulen.
Er wurde wieder wach auf der Intensivstation. Wach ist übertrieben. Aber er sah die Gestalten in blauer Montur und mit weißen Plastikschürzen und einem Visier. Er erinnerte sich, wie er als Kind Ritter gespielt hatte. Später sah er den Film Ritter der Kokosnuss und erinnerte sich damals, dass er als Kind auch so durch die Gegend gehüpft war, daran erinnerte er sich jetzt. Erinnerte sich jetzt. Und schlief wieder ein.
Am 5. Januar verstarb Hans-Jochen Barthels an der Beatmungsmaschine. Der 5. Januar war sein Entlassungstag aus dem Leben. Holger, Mona, Stoffel, Bernd, Conny und Mandy konnten nicht zur Beerdigung kommen, und die anderen wollten nicht mehr.
Der 23. Dezember war sein erster ganzer Tag in Freiheit, aber COVID-19 hatte diese merklich eingeschränkt. Kein Kino, keine Kneipe, kein Kiosk mit Stehimbiss, kein Klub, kein Kasino für Automaten … Aber Einkaufen konnte er noch und er musste es auch, denn er wollte nicht die nächsten Tage auf Pizzeria und Grillstube angewiesen sein, zumal die auch geschlossen haben konnten.
Hans-Jochen Barthels brachte seine Einkäufe in die Pension. Dann ging er doch in eine Pizzerie und bestellte eine Pizza, die er dann auf einer Parkbank aß. Gott sei Dank hatte man sich im Wetterbericht geirrt und es regete nicht in Strömen, es war sogar warm … für die Jahreszeit. Dann ging er durch die Straße, in der er früher einmal gewohnt hatte, aber er wollte eigentlich niemandem von dort begegnen und ging rasch weiter. Er trieb ihn durch den Ort, manchmal blieb er vor eiem Schaufenster stehen, manchmal setzte er sich kurz auf eine Bank. Er aß früh zu Abend. Schließlich ging er in die Pension, schaute etwas fern und legt sich hin. Einschluss und Licht aus.
Am 24. Dezember schlief er lange, wie er meinte, aber auch nicht so lange, dass es zum Frühstücken auf dem Zimmer zu spät wäre. Danach ging er im Zimmer umher. Er setzte sich, stand wieder auf, ging zum Fenster, schaute hinaus, setzte sich wieder hin, wibbelte mit den Beinen, bis er aufstand und sich anzog. Er verließ die Pension, ohne zu wissen, was er wollte oder auch nur, wohin er gehen wollte. Er war in Gedaken, wie es denn die nächsten Tage gehen sollte, grübelte und schaute nur vor seine Schuhe auf die Straße, als ihn Holger ansprach.
„Mensch, Hajo, lange nicht gesehen“, sprach Holger ihn an.
„Tach, Holgi! Schön Dich zu sehen!“ antwortete Hans-Jochen.
Sie liefen ein Stück zusammen, sprachen über dies und das, über gemeinsame Bekannte, ließen auch die Haft nicht aus. Und dann wurde daraus eine Einladung für den Abend. Es würden mit ihm auch nur fünf Personen zusammenkommen. Darauf konnte sich Barthels einlassen. Sie verabredeten sich für den Abend.
An Heiligen Abend kam Hans-Jochen Barthels zur Wohnung von Holger. Von innen hörte er leise Musik und gedämpfte Stimmen, auch ein Frauenlachen. Er zog seine Jacke aus und Holger begleitete ihn ins Wohnzimmer. Holger stellte Hajo vor. Da waren die Mona, Holgers Frau, Manuela, Monas Schwester, der Stoffel und die Gisi, der Bernd, Conny und Mandy, Dieter und Laura, also fünf Personen des eigenen und eines weiteren Hausstandes. Aber schon zog Conny Hajo aufs Sofa zwischen sich und Mandy, er rauchte, trank seinen Weißwein und aß Schnittchen. Er unterhielt sich prächtig. Da gab es nichts zu bereuen. Aber auch gar nichts. Und die Gesellschaft blieb ruhig, auch zu vorgerückter Stunde. Die Fenster aber ließ man sicherheitshalber geschlossen. In der Nacht löste sich die Gesellschaft auf und Hans-Jochen wankte durch die Stille Nacht zu seiner Pension. Ein wenig klarer wurde der Kopf. Er kam auch etwas gelüftet zur Pension.
Das Frühstück am 25. Dezember ließ Barthels ausfallen. Er ging aber später zu einer Pizzeria und aß wieder Pizza im Park. Die nächsten Tage waren langweilig und zogen sich dahin. Er hatte noch kein Handy oder Smartphone. Wer sollte ihn auch anrufen.
Am 30. Dezember fühlte er ein Kratzen im Hals und hustete ein paar Mal so heftig, dass es ihm das Rauchen verleidete. Er lag dann auch mehr im Bett und schlief, auch über Tag. Gut, dann ging die Zeit auch leichter herum. Silvester hatte er beim Frühstück starken Schnupfen und fühlte sich sehr schwach. Er legt sich hin. Wahrscheinlich hatte er das Klopfen nicht gehört. Nun aber ging der Atem schwer und er bekam nur noch mit, dass der Notarzt ihm eine Nadel in die Ellenbeuge gelegt hatte. Die Fahrt war blitzendes Licht, blau, grell und Heulen.
Er wurde wieder wach auf der Intensivstation. Wach ist übertrieben. Aber er sah die Gestalten in blauer Montur und mit weißen Plastikschürzen und einem Visier. Er erinnerte sich, wie er als Kind Ritter gespielt hatte. Später sah er den Film Ritter der Kokosnuss und erinnerte sich damals, dass er als Kind auch so durch die Gegend gehüpft war, daran erinnerte er sich jetzt. Erinnerte sich jetzt. Und schlief wieder ein.
Am 5. Januar verstarb Hans-Jochen Barthels an der Beatmungsmaschine. Der 5. Januar war sein Entlassungstag aus dem Leben. Holger, Mona, Stoffel, Bernd, Conny und Mandy konnten nicht zur Beerdigung kommen, und die anderen wollten nicht mehr.
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